Geht immer seinen eigenen Weg: David Chang, 45, Sohn nordkoreanischer Einwanderer und neuer Superstar der US-Küchenszene.

Geht immer seinen eigenen Weg: David Chang, 45, Sohn nordkoreanischer Einwanderer und neuer Superstar der US-Küchenszene.
© Gabriele Stabile / Netflix

David Chang: Haute Cuisine mit Credibility

Mit seiner »Momofuku Noodle Bar« hat David Chang den Amerikanern die Asia-Küche neu geschenkt, seine Netflix-Shows sind längst Kult bei Foodies und seine Kochbücher Bestseller. Kein Wunder, dass er in den USA zu einem der 100 einflussreichsten Menschen des 21. Jahrhunderts gewählt wurde.

Im Englischen gibt es den Begriff »Fixer« für einen Menschen, der alle Arten von Problemen löst, auch wenn diese Lösung vielleicht nicht den klassischen Regeln oder Konventionen entspricht. Hauptsache, Problem gelöst. Umgelegt auf das weite Feld der Kulinarik könnte man auch den US-Amerikaner David Chang als »Fixer« bezeichnen. Der 1977 als Sohn nordkoreanischer Einwanderer geborene Chang ist ein Mensch ohne Schnörkel – und genau so agiert er auch in der Küche. Keine unnötigen Umwege, keine Kür, kein Bullshit, nur das Ergebnis zählt. Ganz gleich, ob er ein einfaches Sandwich zubereitet oder ein Fine-Dining-Menü kreiert. David Chang ist immer zielgerichtet und effizient. Und das ist auch das Geheimnis seines Erfolgs. Lohn all der Mühe: ein Gastro-Imperium, eine Medienpräsenz, wie sie sonst nur TV-Stars haben, sowie seit vielen Jahren zwei Michelin-Sterne. Und die Gewissheit, ein großartiges Role Model für die Zukunft der Spitzengastronomie abzugeben.

Die offene Küche der »Momofuku Noodle Bar« 
im New Yorker East Village, ganz im Osten Manhattans.
© Bloomberg / Getty Images
Die offene Küche der »Momofuku Noodle Bar« im New Yorker East Village, ganz im Osten Manhattans.

Mister »Momofuku«

Das erste Mal machte sich David Chang einen Namen, indem er die traditionelle japanische Nudelsuppe Ramen neu interpretierte. Und zwar so, wie er sie selbst immer schon gerne gegessen hat: eine reichhaltige Brühe aus gebratenen Schweineknochen, Hühnchen und Dashi (einem traditionellen japanischen Fischsud), die er mit Gerstennudeln, Schweinebauch und pochierten Eiern füllte. Die volle Ladung, Geschmack und Substanz pur, nichts für Kalorienzähler. Das Ganze servierte er in seiner 2004 eröffneten »Momofuku Noodle Bar« im Osten Manhattans. Für Puristen war das eine Herausforderung, ließ Chang, der bullige Amerikaner mit asiatischen Wurzeln, doch zahlreiche Details weg. »Jeder sagt, Ramen muss genau so sein und nicht anders, aber das stimmt nicht. Das Wichtigste ist, dass es schmeckt«, brachte es der Koch später auf den Punkt. Changs Weg funktionierte, die Kritiken waren beinahe hymnisch und ebneten einer raschen Expansion den Weg. Bald folgten »Ssäm Bar« (2006), die Fine-Dining-Location »Ko« (seit 2009 zwei Michelin-Sterne), das Restaurant »Má Pêche«, »Nishi«, eine »Milk Bar«, ein Chicken-Fastfood-Konzept namens »Fuku« sowie Restaurants in Toronto, Washington, Sydney, Las Vegas und Los Angeles. Nicht alle dieser Lokale gibt es noch, so rasch Chang neue Locations eröffnet, so rasch schließt er sie auch wieder, wenn sie nicht den Erwartungen entsprechen.

David Chang in seiner 
Netflix-Show 
»Ugly Delicious« 
und als Kochbuchautor: »Nichts ist unmöglich!«
© Netflix
David Chang in seiner Netflix-Show »Ugly Delicious« und als Kochbuchautor: »Nichts ist unmöglich!«

Dass sich David Changs Karriere einmal so entwickeln würde, war dabei lange nicht abzusehen. Anders als viele Topköche fand er den Weg in die Küche erst relativ spät. Sein Vater, der selbst in der Gastronomie tätig war, riet ihm vom Kochen als Brot­erwerb ab. Chang studierte daher zunächst Religion und versuchte nebenbei, sich eine Karriere als Profigolfer aufzubauen. Aber er aß auch gerne – und er wollte kochen lernen, ganz egal, was sein Vater meinte. Also absolvierte er das French Culinary Institute in Manhattan, arbeitete danach im Restaurant »Mercer« von Jean-Georges Vongerichten und im preisgekrönten »Craft« von Tom Colicchio. Um sein Wissen über Ramen zu erweitern, ging er nach Tokio und jobbte in einem Soba-Shop, wieder zurück heuerte er im Ein-Stern-Restaurant »Café Boulud« an und merkte rasch, dass ihm die klassische Haute Cuisine wenig geben konnte. Mit 26 eröffnete er schließlich die »Momofuku Noodle Bar«, das Geld dafür gab ihm sein Vater. Die Idee dahinter: »mit Integrität zubereitete Speisen zu einem erschwinglichen Preis zu servieren«. Denn er hatte erkannt, dass New York City zu diesem Zeitpunkt mit Fine-Dining-Konzepten übersättigt war. Und gleichzeitig hatten ihm die ­großen ­Ramen-Shops in Tokio bewiesen, dass Essen nicht in einem luxuriösen Ambiente serviert werden muss, um gut zu sein.

David Chang bringt zusammen, was harmoniert und gut schmeckt, nicht was die Lehrbücher meinen, vorschreiben zu müssen.
© Christian Verlag / Gabriele Stabile
David Chang bringt zusammen, was harmoniert und gut schmeckt, nicht was die Lehrbücher meinen, vorschreiben zu müssen.

Der Durchstarter

»Momofuku« wurde ein durchschlagender Erfolg. Der blumige Name des Lokals kommt übrigens aus dem Japanischen und bedeutet »Lucky Peach«, also glücklicher Pfirsich. Diesen Namen wählten Chang und sein Co-Herausgeber Peter Meehan, ein Food-Journalist, der zuvor für die »New York Times« gearbeitet hatte, Jahre später auch für ein preisgekröntes gedrucktes Magazin, das zwei Jahre lang Foodies und Magazinliebhaber auf der ganzen Welt gleichermaßen in Verzückung versetzte. Momofuku war allerdings auch der Vornahme eines gewissen Herrn Ando. Momofuku Ando war ein japanischer Erfinder und Unternehmer, der in den Fünfzigerjahren die Instantnudeln entwickelte, mit seinem Lebensmittelkonzern Nissin vermarktete und damit schwerreich wurde – ein Schelm, wer bei dieser Namenswahl Böses denkt…

Aber zurück zu David Chang. Der stiernackige Jungunternehmer tat alles, um sich und seine Geschäftsidee ins Rampenlicht zu stellen und die Expansion seiner Gruppe voranzutreiben. Er polterte vor den Gästen mit seinen Köchen – keine schwierige Übung bei einer offenen Küche –, er erklärte bei Topköchen streng verpönte Hilfsmittel wie Instantnudeln (sic!) oder den Geschmacksverstärker Mononatriumglutamat für praktikabel und daher zulässig, er kochte Lachs in der Mikrowelle und schockte mit einem TikTok-Video davon seine Social-Media-Gefolgschaft. Und er nutzte jede Gelegenheit, um sich im Fernsehen oder auf Social Media zu präsentieren. Nicht zuletzt deshalb – also um das Geschäft mit Shows und Podcasts voranzutreiben – lebt Chang mit seiner Familie mittlerweile auch an der Westküste in der Nähe von Hollywood.

Chang, der Avantgardist

Der mittlerweile 45-jährige Koch und Unternehmer hat in den knapp 20 Jahren, die er jetzt im Business ist, Amerikas Sicht auf das komplette Kulinarikthema verändert. Was wie und in welchem Rahmen heute in den USA gekocht und gegessen wird, orientiert sich zu einem Gutteil an David Chang und den Standards, die er eingeführt hat. Die »Washington Post« fasste dieses »Chang-Effekt« genannte Phänomen folgendermaßen zusammen:

Wenn die Amerikaner seit nunmehr gut zehn Jahren in jeder kleineren Stadt Ramen essen können, wenn aus den Lautsprechern angesagter Gourmettempel heute Rap oder Upbeat-Musik schallt, wenn Sie vor einer offenen Küche in minimalistischer Ästhetik speisen oder wenn es auch in Ihrer Nachbarschaft ein neues Restaurant gibt, das von einem jungen Koch eröffnet wurde, der darin einfach das zubereitet, worauf er Lust hat – das alles ist David Changs Verdienst.

Die eingangs beschriebene »Ich mache, was mir gefällt«-Attitüde hat David Chang auch in seinem jüngsten Kochbuch vorbildhaft umgesetzt: »Zuhause kochen« ist keine klassische Rezeptsammlung mit exakten Anleitungen, sondern ein extrem vielfältiges und kluges Kompendium voll praktischem Küchenwissen. Und es ist vor allem die Einladung, sich beim Kochen etwas zu trauen und seiner Intuition, seinen Ideen oder vielleicht auch nur seinen Lebensmittelvorräten zu folgen. Und David Chang animiert darin auch seine Leser:innen, die vorhandenen Küchengeräte richtig zu nutzen, anstatt ständig neue Hardware zu kaufen – allen voran die Mikrowelle. Der Topkoch nutzt diese primär aus Bequemlichkeitsgründen – und schafft es dabei dennoch, ansprechende Speisen zu fabrizieren.

David Chang ist der Prototyp eines Topgastronomen im 21. Jahrhundert. Er kennt keine starren Regeln und Vorgehensweisen, sondern schlängelt sich behänd durch die Anforderungen, die sein Job und sein Umfeld ihm stellen. Er verkauft Hühnersandwiches um neun Dollar und zehngängige Fine-Dining-Menüs um 280 Dollar – und in beiden Fällen ist er authentisch und folgt seinen Qualitätsmaßstäben. Denn in Changs Welt ist alles möglich, einfach, anspruchsvoll oder irgendwas dazwischen.


David Chang, Medienstar

Gleich zwei Serien hat der New Yorker Gastronom David Chang bereits für den Streaminggiganten Netflix produziert. In »Ugly Delicious« hat er in bisher zwei Staffeln oder insgesamt zwölf Folgen jeweils ein kulinarisches Thema genau unter die Lupe genommen. Ob Pizza oder Tacos, Garnelen oder gebratener Reis, zu Hause Kochen oder Kochen für Kinder, Chang reist um die halbe Welt, um sich einem Thema wirklich vielfältig und ausgewogen zu nähern. Sehr unterhaltsam! In seiner zweiten Netflix-Show, »Breakfast, Lunch & Dinner«, begibt sich David Chang immer mit einem Prominenten in eine fremde Stadt, um diese gastronomisch rundherum zu beleuchten. So war er etwa mit Schauspieler Seth Rogen in Vancouver oder mit der Schauspielerin Kate McKinnon (»Saturday Night Live«) in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh.

Auch als Kochbuchautor hat sich Chang längst einen Namen gemacht. Sein jüngstes Kochbuch, »Zuhause kochen«, ist erst vor Kurzem im Verlag Antje Kunstmann erschienen, das »Momofuku-Kochbuch« mit 111 Rezepten aus Changs »-Noodle Bar« erschien vor mittlerweile drei Jahren im Christian Verlag. David Changs Memoiren »Eat A Peach« sind bislang nur in Englisch bei Clarkson Potter erschienen.


Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2023

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Angelika Ahrens
Angelika Ahrens
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