Ein Panoptikum aus 150 Jahren Wien: Das »Café Landtmann« neben dem Burgtheater feiert heuer runden Geburtstag und ist seit jeher eine der wichtigsten Bühnen der Stadt.

Ein Panoptikum aus 150 Jahren Wien: Das »Café Landtmann« neben dem Burgtheater feiert heuer runden Geburtstag und ist seit jeher eine  der wichtigsten Bühnen der Stadt.
© Alex Lang Photo

Kaffeehauskultur: Der Wiener zweites Wohnzimmer

An keinem anderen Ort wird die Essenz der Wiener Seele so spürbar wie in den klassischen Kaffeehäusern der Stadt. Auch heutzutage sind sie für viele Einheimische ein zweites Wohnzimmer.

Das Kaffeehaus ist ein Ort für Menschen, die alleine sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen«, konstatierte einst der große österreichische Literat Alfred Polgar so treffend. Und in keiner Stadt trifft dieses Bonmot wohl so sehr zu wie in Wien – heute ebenso wie vor mehr als 100 Jahren, als Polgar zu den Stammgästen des »Café Central« zählte. Denn nirgendwo sonst sind Kaffeehäuser so sehr Orte der Begegnung wie hier: Hier wird sich bei Kleinem Braunen und Sachertorte über das Leben ausgetauscht, bei einem Gemischten Satz werden Vereinbarungen getroffen und bei einem Gulasch Magazine studiert – und das von morgens bis zur Sperrstunde, oft 365 Tage im Jahr.

Orte der Begegnung

Auch die bekannte Cafétier-Familie Querfeld, die unter anderem das »Landtmann« sowie das »Café Mozart« gegenüber der Albertina führt, fühlt sich der Kaffeehaus-Tradition der Donaumetropole verbunden. »Orte mit Vergangenheit und Handwerk in bester Qualität begeistern uns. Wir lieben Tradition, lassen uns aber von ihr nicht einengen, sondern führen sie fort, indem wir neue Ideen prüfen und Möglichkeiten entfalten«, so Berndt Querfeld. »Alle unsere Café-Restaurants sollen lebendige, zeitgemäße Orte der Begegnung sein.«

Auch die wohl bekannteste Süßspeise der Welt ist untrennbar mit einem Wiener Kaffeehaus verbunden – die Sachertorte. Im »Sacher-Café« hinter der Staatsoper verbinden sich Tradition und Backkunst, gehört die Schokotorte mit der feinen Schicht aus Marillenmarmelade doch beinahe zum Besuch des Kaffeehauses zwingend dazu – bei Einheimischen ebenso wie bei Gästen. »Unsere Philosophie ist«, so Andreas Keese, Direktor des »Hotel Sacher Wien«, »die einzigartige Geschichte unserer Original-Sachertorte und der Wiener Kaffeehauskultur mit zeitgenössischem Luxus und exzellentem Service zu verbinden, um eine unvergleichliche Atmosphäre zu bieten.«

Wo Kunst lebendig ist

Dabei sind die zweiten Wohnzimmer vieler Wiener längst nicht nur Orte der Kulinarik und des Austausches – auch die Kunst wird vielerorts hochgehalten. So auch im »Café Korb«, das »eine Brücke zwischen Tradition und Moderne ist«, wie Susanne Widl, die legendäre Betreiberin des Cafés, konstatiert. »Das Wiener Kaffeehaus und das ›Korb‹ im Speziellen soll ein Ort der Kommunikation sein. Generationsübergreifend wird das ›Korb‹ diesem Anspruch gerecht. Und wenn dies noch in einem angenehmen Ambiente mit entsprechendem Service stattfinden kann, dann ist dieses Ziel erreicht.« Die Übung scheint jedenfalls gelungen. »Wer das ›Café Korb‹ nicht kennt, kennt Wien nicht«, wird Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek zitiert. Und tatsächlich: Einzigartig ist die Gestaltung der Art Lounge des »Korb« im Untergeschoß: Zeitgenössische Kunst von Peter Weibel, Peter Kogler und Günter Brus ist der Rahmen für regelmäßig stattfindende Veranstaltungen.

Auch das »Kaffee Alt Wien«, in dem die Grenzen zwischen klassischem Kaffeehaus, Beisl und Restaurant verschwimmen, setzt auf Tradition – und das seit 1922. »Unsere Priorität liegt darin, vorwiegend heimische Produkte zu verarbeiten«, sagt Inhaber Petar Hrtica. Die Herkunft der Rohstoffe zu kennen und sicherzustellen, dass sie aus nachhaltiger, artgerechter Landwirtschaft stammen, habe für ihn höchste Bedeutung. »Unsere Speisen bereiten wir ausschließlich selbst zu, und um die höchste Qualität sicherzustellen, halten wir unsere Speisekarte bewusst klein. Das Wohl der Tiere ist uns besonders wichtig, daher beziehen wir unser Fleisch ausschließlich von sorgfältig ausgewählten Kleinbauern aus Österreich.«

Alt und ehrwürdig

Einen ganz besonderen Charme, der längst nicht nur Touristen anzieht, haben die großen, altehrwürdigen Kaffeehaus-Flagschiffe wie »Central«, das »Schwarzenberg«, der »Demel« oder der »Gerstner«. In diesen heiligen Hallen der Wiener Kaffeehauskultur erwartet Gäste nicht nur herrlicher Kaffee in allen Variationen, sondern auch eine kleine Zeitreise. Nirgends kann man so schön in der Vergangenheit versinken wie in den prächtig ausgestatteten Räumlichkeiten dieser Institutionen, die seit ewigen Zeiten das zweite Zuhause für Studenten, Literaten und Kaffeeliebhaber sind.

EIN NEUANFANG

Doch Wiens Kaffeehäuser sind nicht nur Heimstätten großer Tradition, sondern beweisen immer wieder auch überraschend große Anpassungsfähigkeit. Das »Café Westend« zum Beispiel, 1875 gegründet, wurde 2023 nach einem rund einjährigen Winterschlaf von einem neuen Team unter ganz neuen Vorzeichen wiedereröffnet. »Unsere Philosophie basiert auf der Idee, ein Ort zu sein, an dem Menschen aus verschiedenen Lebensbereichen zusammenkommen, um Genuss, Kultur und Geselligkeit zu erleben. Wir glauben an die Bedeutung von gutem Essen, hochwertigem Kaffee und herzlicher Atmosphäre, die es den Gästen ermöglicht, sich zu entspannen und schöne Momente zu teilen«, so das »Westend«-Team. Zukünftig soll die kulinarische Vielfalt nochmals erweitert werden, indem neue, kreative Gerichte auf die Karte kommen. Und auch das kulturelle Programm soll weiter ausgebaut werden, so der ambitionierte Plan für das Haus vis-à-vis vom alten Westbahnhof.

Auch Jutta Scheuch möchte mit ihrem »Café Goldegg« im 4. Bezirk, im Jahr 1906 von Familie Dobner eröffnet, ein Ort der Begegnung sein – und setzt auf Gemütlichkeit, Freundlichkeit, Qualität und Tradition. Ihre Philosophie: Für die Gäste nur das Beste. »Dienstleistung und Freundlichkeit betrachte ich als Top-Marke und diese Marke wird bei uns gelebt«, so die Cafétière. »Und ich überzeuge mich bei jedem Gast, ob auch wirklich alles zu seiner Zufriedenheit ist. Es geht um eine freundliche Begrüßung und darum, durch ein kleines Gespräch den Menschen wieder in den Vordergrund zu stellen. Ich behandle die Gäste so, wie ich es mir selbst wünschen würde, wenn ich in ein Lokal gehe.« Auch das kann Wien sein.


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Erschienen in
Falstaff Wien Special

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Sandra Wobrazek
Autor