Karibisches Kulturgut

Kaum ein Destillat kann auf eine längere Tradition verweisen als Rum. Er ist der geschmacklich vielfältigste Brand der Welt – kein Wunder bei so vielen karibischen Inseln und Produktionsmethoden.

Rum kann es in puncto Vielfalt selbst mit Whisky aufnehmen. Die Stilistiken sind unglaublich variantenreich«, sagt Michael Mattersberger – ein Mann, dessen Ansicht Gewicht hat, denn sein Arbeitgeber Haromex bietet eine Palette von 800 Rums. Mattersberger sagt auch: »Mit Rum kann man Leute noch verzaubern.« Einen Grund für die beträchtliche Varietät des Rums sieht er in der großen Anzahl an Inseln sowie anderen rumerzeugenden Ländern. Und daran, dass beinahe überall eine eigene Stilis­tik entwickelt wurde. Aber auch der gesetzliche Freiraum schafft Spielraum für die unterschiedlichen Charaktere. Es gibt kaum Vorschriften, die die Herstellung regeln, und ebenso wenig existieren übergreifende kontrollierende Instanzen.

Lange Rum-Tradition in der Karibik
Die beträchtliche Zeit, die bereits Rum gebrannt wird, hat zudem viel zur Ausprägung der unterschiedlichen Stile beigetragen. Die Mount-Gay-Destillerie auf Barbados etwa wurde vor über 300 Jahren gegründet und ist nach wie vor in Betrieb. Sie schmückt sich mit dem Titel »älteste Destillerie der Welt«. Schon 40 Jahre zuvor war auf Barbados mit der Rumherstellung begonnen worden. Seit damals haben viele Zufälle und Ereignisse dazu beigetragen, dass dieses Zuckerrohrdestillat zu einer der größten Spirituosen der Welt wurde. »Erstaunlich ist nur, dass nicht die Karibik, sondern Indien und die Philippinen den meisten Rum erzeugen«, sagt Ian Burell, als Organisator des RumFest London der Botschafter von Rum schlechthin.

Durst auf hoher See als Wegbereiter
Maßgebend für die Prosperität der Rumerzeuger war ursprünglich wohl der Durst der Matrosen. Die Bestimmung der britischen Marine 1683, wonach die in ihrem Sold stehenden Seeleute mit einer Tagesration von mindestens einem Pint (knapp ein halber Liter) Rum zu versorgen waren, wurde erst 1970 aufgehoben. Aus dieser Zeit stammt der Terminus »proof«, der, verbunden
mit einer Prozentangabe, bei britischen und US-Des­tillaten heute noch die Alkoholstärke angibt. 100 Prozent proof entspricht 57,15 Volumenprozent Alkohol. Die Matrosen überprüften mögliche verdünnte Rationen, indem sie Schießpulver damit befeuchteten. Bei mindestens 100 Prozent proof lässt sich dieses entzünden.

Rhum agricole
Förderlich für den Rum war auch das Auftreten der Reblaus in Europa, das die Grundlage für den Weinbedarf vernichtete. Die Entwicklung kontinuierlicher Destillationsanlagen und die Prohibi­tion in den USA (1919–1932) trugen ihr Übriges zum Siegeszug des Rums bei. Selbst die Entdeckung der Zuckergewinnung aus Zuckerrüben und damit die sinkende Nachfrage nach Zuckerrohr hatten ihre guten Seiten. Sie veranlassten die Gouverneure auf den französischen Inseln Martinique und Guadeloupe dazu, Rum nicht länger aus dem Abfallprodukt der Zuckerindus­trie, Melasse, herstellen zu lassen, sondern aus dem frischen Saft der Pflanze. Es entstand der Rhum ­agricole, der nicht nur ein H im Namen hat, sondern auch der einzige Rum der Karibik ist, der das französische Qualitätssiegel AOC tragen darf.

Rhum agricole ist folglich mit Cachaça verwandt, weil auch dieser aus Zuckerrohrsaft gebrannt wird. Cachaças sind jedoch üblicherweise weniger vielschichtig, weil der Sirup im Vergleich zum Rhum agricole deutlich kürzer fermentiert wird. »Komplexe Aromen treten erst mit längerer Gärdauer auf, solche Rums werden schwerer und vielfältiger«, so Toni Hard, ein ausgewiesener britischer Rumkenner. Dies führt bei Rhum agricole mitunter zu recht erdigen oder metallischen Noten. Destillate aus Martinique und Guadeloupe sind daher nicht immer leicht zu verstehen. Es existieren allerdings auch sehr elegante Varianten, etwa solche, die in alten Cognacfässern gereift sind – statt in den für die ­Karibik üblichen gebrauchten Bourbonfässern. Auf Jamaika wird traditionell ebenfalls lange vergoren – dort jedoch die Melasse. Diese offenbart dadurch sehr intensive Noten. Weil Rum dort überdies auf Pot Stills gebrannt wird, also doppelt und in einfachen Brenn­blasen, entstehen sehr gehaltvolle und aromatische Produkte. Sie sind »Omas Lieblinge«, denn ­gerade in Backwaren zeigen sie sich von ihrer besten Seite.

Cocktailbasis und Barklassiker
Dagegen hat sich der leichte und moderne Stil, den Don Facundo Bacardi bereits im 19. Jahrhundert auf Kuba iniziierte, zu so etwas wie einer globalen Formel des Rums entwickelt. Dieser weiße, leichte und elegante Rum, der auf einer kontinuierlichen Brennanlage entsteht, hat sich auch als Cocktailbasis hervorgetan. Die weiße Farbe von Rum bedeutet nicht in allen Fällen, dass er nicht auch in Holzfässern gereift ist, denn eine Filterung kann nachträglich wieder für Klarheit sorgen.

Weil die Produktionsmethoden bei Rum so unterschiedlich sind, ist es kaum möglich, jeder Insel oder jedem Land, in dem Rum erzeugt wird, einen spezifischen Stil zuzuschreiben – zu unterschiedlich arbeiten die diversen Brennereien. Ein beredtes Beispiel dafür ist die Destillerie Zacapa in Guatemala. Nicht nur die Verwendung von Zuckerrohrsirup anstelle von Melasse unterscheidet sie von den meisten anderen, auch die Lagerung in ungewöhnlichen 1400 Meter Seehöhe ist ein entscheidender Faktor. Das sind jedoch nur zwei von vielen Besonderheiten bei Zacapa. Die langjährige Masterblenderin Lorena Vascez kam als junge Frau in den ehemals verstockten Betrieb »alter Männer, die nur der Tradition folgten und nicht ihrem Gaumen«, wie sie selbst sagt. Mit großer Beharrlichkeit brach Vascez mit den guten alten Sitten und folgte ­allein der geschmacklichen Verfeinerung ihrer Produkte. So betrachtet sind Komponenten wie das Mikroklima und die Böden wohl geschmacksgebend, entscheidender sind aber die Verfahren.

Ganz allgemein lassen sich allen Unterschieden zum Trotz einige Stilrichtungen erkennen: Die Demerara-Rums aus Guyana sind die elegantesten, dichtesten. Puerto Rico steht für leichte, trockene Destillate. Haiti folgt der französischen Tradition der schweren, im Pot Still gebrannten Rums. Und Barbados ist für einen leichten, balancierten und süßlichen Stil bekannt. Rum ist in der Karibik so etwas wie ein Lebensstil – oder andersherum: Er ist laut Don Navarro, einem von nur acht Maestros Ron in Kuba, »die Inkarnation der karibischen Kultur, und die muss jeder selbst leben«.

Verkostungsnotizen: Aromatische Klassiker

Bahamas:
90
Bacardi 8, 40 %, 0,7 l, € 21,–: Reifes, würziges, elegantes Duftbild, deutlich süßlich-karamellig, dunkle Holznoten und Aromen von exotischen Früchten. Hält diese Performance am Gaumen nur bedingt.

Dominikanische Republik:
94
Opthimus 25, 38 %, 0,7 l, € 90,–: Dichte süßliche Holzaromen im Duft, salzig, jodig, dunkel. Konsequent am Gaumen, wieder Honig, auch würzig, Kaffee und Kakao, sehr gut balanciert.
90
Brugal extra viejo, Gran reserva familiar, 37,5 %, 0,7 l, € 22,–:
Schön verwobene, dunkle Aromatik, würzig, Karamell, Kakao. Ähnlich am Gaumen, Süße sowie Tabak angedeutet, würzig, trocken, ­insgesamt straight.

Guatemala:
93
Zacapa 23, 40 %, 0,7 l, € 45,–: Dunkles, dichtes süßes Karamell, mit Walnuss- und Honigaromen im Duft. Ebenso am Gaumen, schmeichelnde Sherrynoten, dunkle Schokolade und Karamell.

Guyana:
92
El Dorado 15, 43 %, 0,7 l, € 42,–: Komplexe, betont helle Aromatik, blumig und beinahe dropsig. Auch am Gaumen sehr animierend, dicht und stimmig, süß und vielschichtig, Noten von Trockenfrüchten und Eichenfass.

Jamaika:
93
Appleton Estate 21, 43 %, 0,7 l, € 100,–: Trocken, süßlich, tabakig, straight, aber auch exotisch unterlegt. Konsequent am Gaumen, sehr direkt und insgesamt schlüssig.
91
Smith & Cross, Jamaica Rum, 57 %, 0,7 l, € 26,–: Ein Pot-Still-­Destillat im sogenannten Wedderburn- und Plummer-Stil, mit ­Noten von exotischen Früchten und Gewürzen, der kräftige Alkohol etwas dominant. Am Gaumen sehr geradlinig, karamellig, etwas feurig, ­jedoch stimmig.

Kuba:
92
Havana Club Selecciòn de Maestros, 45 %, 0,7 l, € 45,–: Voll und aromatisch im Duft, nussig, karamellig, Honig und Tabak. Am Gaumen sehr transparent und animierend, viel Tabak, etwas spitz.

Martinique:
93
La Mauny Cuvée du nouveau monde X.O., 43 %, 0,7 l, € 55,–:
Ein süßlich-duftiger Rhum agricole, warm und komplex. Am Gaumen lebendig, von schöner Süße und tabakigen Holznoten begleitet, straight, im Abgang fast metallisch-mineralisch.

Panama:
93
Rum Nation 18, 40 %, 0,7 l, € 70,–: Dunkles, reifes und transparentes Aroma im Duft, Walnüsse, Karamell, Kaffee, etwas Jod. Analog am Gaumen, wieder sehr dunkel, Tabaknoten, Süße angedeutet, insgesamt sehr harmonisch und klar.

Venezuela:
91
Diplomatico 12, 40 %, 0,7 l, € 33,–: Dunkle, tiefe, reife und rauchige Aromen im Duft, Tabak. Analog am Gaumen mit dunklem Holz und Karamell, schöne Übereinstimmung von Duft und Geschmack.
89
Pampero Anniversario, 42 %, 0,7 l, € 22,–: Präsentiert sich rund und harmonisch im Duft, holzig-nussig, karamellig. Analog am Gaumen, dunkles Karamell, Vanille, sauber, geschmeidig und balanciert.

Rum-Bars:
Einstein
Berlin (größtes Angebot in Europa mit 750 Sorten), www.cafeeinstein.com
Comida
Wien, www.comida.at 

Literatur:
Gerade erschienen (auf Deutsch): »Cocktailian II, Rum & Cachaça – Das Handbuch der Bar« von Helmut Adam, Jens Hasenbein und Bastian Heuser, Tre Torri Verlag

Links:
www.ministryofrum.com
www.haromex.com
www.rumfest.co.uk
www.rumfestival-berlin.de
www.rhum.de
www.koelnerrumkontor.de
www.worldofrum.net 
www.rumclub.blogspot.com 

Text von Peter Hämmerle
aus Falstaff Nr. 8/2011

Peter Hämmerle
Autor