Das Weingut Jaworek sieht es als »Mission« an, den polnischen Wein ins Bewusstsein der Konsumenten zu holen.

Das Weingut Jaworek sieht es als »Mission« an, den polnischen Wein ins Bewusstsein der Konsumenten zu holen.
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Polen: Ein Weinland entdecken

Vermehrt beweisen polnische Winzer, welche beeindruckende Weinqualität in ihrem Land entstehen kann.

Wein aus Polen? Die meisten Weintrinker reagieren darauf verwundert, manche können nur belustigt darüber lächeln. Denn Polen gilt gemeinhin als Land der Bier- und Wodkatrinker, obwohl der Wein dort seit einigen Jahren an Bedeutung gewinnt. Dass es die polnischen Winzer ernst meinen und der Weinbau für sie mehr ist als ein exotisches Abenteuer, davon kann Lech Jaworek erzählen. Der 68-Jährige betreibt im niederschlesischen Miękinia das Weingut Jaworek. Mit über 20 Hektar Reben ist es einer der größten im Land. Jaworek, dem es eine Schraubenfabrik ermöglicht, in den Weinbau zu investieren, ist einer der Pioniere im Weinland Polen.
Als er 2001 anfing in Miękinia, rund 30 Kilometer von Breslau entfernt, die ersten Rebstöcke anzupflanzen, hielten die Nachbarn ihn für »völlig verrückt«. Dabei, erklärt Jaworek, greife er doch nur eine alte Tradition wieder auf: Schon im 13. Jahrhundert sei vor allem im Westen des Landes um Zielona Góra Weinbau betrieben worden. Vermutlich pflanzten Zisterzienser- und Benediktinermönche dort die ersten Reben an. Und aus Grünberg, wie Zielona Góra damals hieß, kamen 1824 die Trauben für den ersten deutschen Sekt. Seine Reben wie Riesling, Spätburgunder, Chardonnay, Dornfelder und Gewürztraminer bezog Lech Jaworek aus Bad Dürkheim in der Pfalz. 

Während viele andere Winzer in Polen auf Piwis, pilzresistente Sorten, vertrauen, baute er von Anfang an auf Vitis vinifera, die in Europa angestammten Reben. Der Winzer mit dem weißen Schnauzbart sammelte in den letzten 15 Jahren viele Erfahrungen, auf manche hätte er gerne verzichtet: Seine ersten Weinberge legte er in einer Senke an, der Frost verursachte immer wieder Schäden. »Ich konnte nicht jedes Jahr Wein ausbauen«, sagt Jaworek, den auch manchmal der Gedanken umtrieb, »wieder aufzugeben«. Zumal ihm die polnische Bürokratie lange Zeit das Leben schwer machte, am Anfang prüften ihn gleich vier verschiedene Behörden, die sich nicht einig waren.
Die Beamten hatten keinerlei Erfahrung mit Wein, ihre Vorschriften und Vorstellungen waren nicht mit dem Alltag eines Winzers vereinbar, erklärt Lech Jaworek: Wenn nicht alle Fässer denselben Füllstand hatten, musste er Strafe bezahlen, weil die Kontrolleure ihm unterstellten, er habe heimlich Alkohol verkauft, ohne in zu versteuern. Mancher Beamte wollte auch schon von ihm wissen, wie oft im Jahr er denn Wein zu machen beabsichtige: Als sei Weinbau eine Frage der Planwirtschaft und nicht von den Abläufen der Natur abhängig. Jaworek hat allen Widerständen getrotzt, er arbeitete anfangs mit Maschinen aus der ehemaligen DDR, die Etiketten für seine Weine schrieb er lange Zeit von Hand. Inzwischen hat er in Wińsko, rund 40 Kilometer von seinem Weingut entfernt, weitere Weinberge angelegt in wärmeren und geschützteren Lagen. Aus einem Hobby ist für Jaworek längst eine »Mission« geworden: »Viele Polen wissen nicht, dass wir guten Wein erzeugen, nicht mal im nahen Breslau«, sagt er. »Das will ich ändern«.

Gut Ding braucht Weile

Es dauert bis die ersten Reben auftauchen in einer hügeligen Landschaft, die von Wiesen, Feldern und Wäldern bestimmt wird. Etwas außerhalb von Zachowice, einem Dorf 20 Minuten südlich von Breslau gelegen, stehen sie plötzlich da: Hier hat Mike Whitney auf »der grünen Wiese« sein Weingut Adoria aufgebaut. Der Kalifornier kam 1995 als Tiefbau-Ingenieur nach Polen, wo er seine Frau kennen lernte. Sein Faible für Weinbau ist wohl genetisch bedingt: Sein Onkel dozierte an der Oregon University über Rebkulturen. 2005 legte Whitney seinen ersten Weinberg an. Dabei überließ er nichts dem Zufall: Davor hatte er Klimakarten studiert und anderthalb Jahre nach dem optimalen Standort für Adoria gesucht. Er habe sicher 300 Plätze in ganz Polen angeschaut, erzäht der Mittvierziger. Als Autodidakt habe er »einiges aushalten müssen«: Seine ersten Schaumweine seien gleich dutzendweise explodiert, weil der Druck in den Flaschen und die Temperatur im Keller  zu hoch gewesen seien. Mike Whitney saß im Wohnhaus nebenan und hörte die Flaschen bersten, aber das habe ihn noch zusätzlich motiviert, »vorwärts zu kommen«.

Inzwischen verarbeitet er in seinem Keller die Trauben von drei Hektar Chardonnay, Riesling, Pinot Noir und Bacchus. Um das Dorf Zachowice sind inzwischen drei weitere Weingüter entstanden, die einen Teil ihrer Trauben an Adoria liefern. Seine Reben bezieht Whitney aus Deutschland, wo er regelmäßig unterwegs ist, um geeignete Klone zu suchen und sich auch mal einen Ratschlag einzuholen. Mit Hybriden und Piwis, erzählt der stämmige Winzer, wolle er sich nicht abgeben: »Damit will ich mein Geld nicht vergeuden.« Mike Whitney ließ sich auch von Alessandro Spatafora beraten, der an der Universität von Sienna Önologie unterrichtet. Spatafora riet ihm kategorisch davon ab, in Polen Pinot Noir anzubauen. Das sei dort »unmöglich und sinnlos«. Aber der Dickkopf hielt an seinem Vorhaben fest und wurde belohnt: Whitney konnte es erst nicht glauben, als er im Frühjahr dieses Jahres die Nachricht erhielt, dass sein Pinot Noir aus 2015 vom britischen Weinmagazin Decanter mit 90 Punkten bewertet wurde – die höchste Punktzahl, die ein Pinot aus Polen bislang erhalten hat. Mike Whitney fing als »blutiger Anfänger« an, Wein in Polen zu erzeugen, inzwischen könnte sein Pinot Noir als Pirat in mancher internationalen Verkostung überraschen.
Winnica Turnau ist das bekannteste polnische Weingut, das in diesem Jahr sogar zum ersten Mal seine Weine auf der ProWein in Düsseldorf vorgestellt hat. Turnau ist auch die Erfolgsgeschichte des modernen Weinbaus in Polen: In wenigen Jahren hat es dessen Möglichkeiten eindrucksvoll aufgezeigt. Das Weingut liegt im westpommerschen Baniewice, rund 50 Kilometer von Stettin entfernt. Kellermeister ist der deutsche Winzer Frank Faust, der auch im Rheingau Wein erzeugt. Faust, Jahrgang 1978, absolvierte seine Winzerlehre im Spitzenweingut Robert Weil in Kiedrich. Seit vier Jahren schaut er regelmäßig in Baniewice nach dem Rechten, inzwischen ist er überzeugt davon, dass man in Polen und Westpommern »überraschende Weine« erzeugen könne. Er sehe »gute Perspektiven für die Zukunft«, sagt Faust, einzig die gefürchteten Spätfröste machen ihm manchmal zu schaffen.
Turnau kultiviert auf sandigen Lössböden die weißen Reben Solaris, Chardonnay, Riesling und Johanniter, die ergänzt werden durch die roten Pinot Noir, Rondo und Regent. Mit 29 Hektar Reben ist Turnau inzwischen auch das größte Weingut Polens, allein in diesem Jahr wurden noch einmal 8,5 Hektar Jungreben gepflanzt. Die ersten Weingärten wurden 2010 angelegt, vier Jahre später konnte der erste Jahrgang gefüllt werden. Die Weine tragen Fausts Handschrift, sie sind sehr sauber vinifiziert und stehen auf den Karten der gehobenen Restaurants in Polen. Charakteristisch für die Weißweine ist ein harmonisches Süße-Säure-Spiel. In Zukunft, kündigt der Kellermeister an, will er die Weine trockener ausbauen. Damit reagiere das Weingut auch auf das geänderte Trinkverhalten im Land: »Nachdem vor allem Weine mit etwas Restsüße gefragt waren, trinken viele Polen jetzt lieber trocken.«

Bürokratische Willkür

Die Unterarme von Maciej Sondij sind in bunten Farben tätowiert, er gehört zur wachsenden Szene der Naturwein-Erzeuger in Polen. Der 43-Jährige betreibt in Warschau das Restaurant Dyletanci und einen Weinhandel mit Spitzenweinen aus Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland. Sein Weingut Dom Bliskowice, das er seit 2009 mit seinem Onkel Lech Mill führt, liegt im kleinen Dorf Bliskowice nahe der Stadt Annopol im Osten Polens. Knapp fünf Hektar Weinberge bewirtschaftet Sondij, in denen pilzresistente Reben überwiegen wie Johanniter, Hibernal, Seyval Blanc, Rondo oder Regent. Vor zwei Jahren hat sich der Winzer auch entschlossen, Riesling und Pinot Noir anzulegen. Im Moment, sagt der gelernte Architekt, »wechseln einige Winzer zu den edlen Rebsorten. Wir sind erfahren genug, um mit ihnen zu recht zu kommen.« Maciej Sondij arbeitet organisch, er habe »nie Chemie« eingesetzt, manchen seiner Weine lässt er wochenlang auf der Maische stehen, Schwefel verwendet er möglichst wenig. Weine wie sein Johanniter Ultra sorgen auch international für Aufsehen, Sondij exportiert sie auch in Spitzenrestaurants nach Dänemark, Schweden und England. 

Maciej Sondij besuchte in den letzten drei Jahren über100 Weingüter auf der ganzen Welt, immer wieder reist er auch ins Burgund. Aufmerksam und auch kritisch begleitet der umtriebige Winzer die Entwicklung im polnischen Wein: Er erinnert sich an Verkostungen vor zehn Jahren, »da waren von 100 Weinen gerade mal zehn trinkbar«. Das habe sich grundlegend verbessert. »Wir Winzer haben unser Terroir und unsere Möglichkeiten entdeckt.« Und das Terroir Polski, da ist er sich sicher, habe viel Potenzial, seinen Pinot Noir hat er auf Muschelkalk stehen. Vieles sei in Polens jungem Weinbau in Bewegung geraten, »es ist eine aufregende Zeit«, sagt Sondij. Inzwischen sind es rund 200 registrierte Winzer, die rund 1000 Hektar Weinberge bewirtschaften und sich jedes Jahr auf dem polnischen Winzerkongress austauschen. Die bürokratische Willkür, die Winzer wie Lech Jaworek noch erfahren mussten, hat nachgelassen, seit Polen 2005 von der EU als Weinland anerkannt wurde. Zentren des Weinanbaus sind Niederschlesien, das Karpatenland und die Gegend um Zielona Góra im Lebuser Land, wo schon eine »Wein- und Honigstraße« entstanden ist, die auch ausländische Gäste anziehen soll. Maciej Sondij sieht vor allem für die polnischen Schaum- und Weißweine eine »gute Zukunft«, während es an der Tannin-Qualität vieler Rotweine noch zu arbeiten gelte. Aber das Klima spiele den polnischen Winzern in die Hände, der Sommer 2016 gilt als der heißeste in Polen seit 50 Jahren. Auch die jungen Polen, hat der Winzer festgestellt, seien neugierig auf Weine aus dem eigenen Land und zum ersten Mal seit langer Zeit sei auch der Wodkaverbrauch am Sinken. »Das Weinfieber breitet sich aus«, sagt Maciej Sondij, »bald wird man nicht nur in Polen über unsere Weine reden.«

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2017

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Rainer Schäfer
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