Gourmetvisite in Brüssel

Still ist es geworden um die besten Restaurants von Brüssel. Was nicht heißt, dass man in der Europastadt nicht mehr genießt: Im Trend liegen schicke Brasserien – und Ehrlichkeit.

Zwei Steinbuttfilets brutzeln auf der Plancha, drei Lachsfilets warten auf dem Grill, ein Toast mit Markknochen nimmt unter dem Salamander eine leicht braune Färbung an. Die Brigade des »Yume« kommt ins Schwitzen, das Haus ist ausgebucht. Für uns gibt es nur noch einen Platz am Tresen, direkt vor der offenen Küche.

Profiküche statt Theater
»Offene Küchen sind ein Sicherheitsrisiko«, erklärt mein Freund Holger, ein Wahl-Brüsseler, den die Arbeit in die Europastadt verschlagen hat. »Da kann der Koch kaum tricksen. Er muss kochen.« Ich nicke und schaue rüber zu Chefkoch Jérémy Geslot, einem Mann mit kurzem dunklem Haar und Zwei-Tage-Bart. Der hat seine Augen überall. »Sauce, schnell!«, ruft er einem Kollegen zu. »Wo bleibt der Gemüsetopf?« Es ist Geslots Verdienst, nicht erst zu ­versuchen, dem Kunden Theater vorzuspielen, sondern Profiküche »live« zu bieten. Abfälle müssen prompt entsorgt werden. Passieren ­kleinere Pannen, greift »le chef« rettend ein
und ­verdreht schon mal die Augen. Mangelnde ­Hygiene, zweitklassige Zutaten, Manschen und Panschen mit Zusatzstoffen und Aromen, Aufwärmen von Convenience-Food – hier würde der Kunde es sehen.

Das »Yume« ist eine moderne Brasserie mit offener Küche. / Foto: beigestellt

Ein kleiner, an der Gräte gebratener Steinbutt kommt auf blitzweißem Teller, die Sauce Choron wird separat gereicht. Der fehlende Gemüsetopf, den Geslot eben noch angemahnt hat, das war meiner. Angesichts der perfekten Garung und der sekundengenau vor meinen Augen angerührten Sauce lässt sich die Verspätung verschmerzen.

Im »Yume« treffen klassisch-französische auf asiatisch angehauchte Gerichte. Zum Glück wird nicht auf Teufel komm raus fusioniert, ­jedem Gericht bleibt sein Charakter erhalten. Holger liefert den kulturellen Hintergrund: »Das Haus hier ist denkmalgeschützt, 1937 hat der Architekt Adrien Blomme es geplant – von außen könnte man es für hochmodern halten.« Und: »Das Lokal gehört Yves Mattagne, dem Starkoch aus dem ›Sea Grill‹, aber der kocht hier sowieso nicht.«

Bart de Pooter (»De Pastorale«) hat sich einer gemäßigten Moderne verschrieben. / Fotos: beigestellt

Worüber man in Brüssel redet ...
Für Städteporträts frage ich gerne Genießer vor Ort, über wen und was sie gerade reden. Holger blickt in sein Glas Weißwein: »Wir in Brüssel reden übers ›Alexandre‹. Wahrscheinlich, weil der Koch die Reality-TV-Show ›Top Chef‹ gewonnen hat. Ich war einmal da. Verdammt gutes Risotto mit Steinpilzpfännchen! Wir reden über das ›Kwint‹ auf dem Mont des Arts, dem ›Kunstberg‹, einfach weil es so chic ist.«

Luxusspektakel
Im »Kwint« gibt es noch freie Tische. Eine postmoderne Metallskulptur ragt quer durch den Speisesaal. Sie stammt von Arne Quinze, einem belgischen Künstler, der im deutschen Sprachraum vor allem als Ex-Mann der Ex-Frau von Tennisstar Boris Becker bekannt wurde. Von der Terrasse aus blicke ich auf die Dächer der Stadt. Serviert wird alles, was gut und teuer ist: Kaviar, Trüffeln, Foie gras sowie Lachs einer Güteklasse, die es nur selten in Supermärkte schafft. Untermalt wird das Luxusspektakel von Rühreiern, Risottos und Salaten. Manchmal nimmt die Fixierung auf das Teure kuriose Ausmaße an, wenn die Karte etwa eine »Bonbonschachtel« mit Muscheln in Trüffelcreme und Pommes preist oder »getrüffelte ­Fritten« bietet. Der Lachs mit Zitrone, frischen Algen und (Zucht-)Kaviar zeigt, dass man im »Kwint« durchaus kochen kann, auch wenn das Fischfilet ein wenig in der eigenen Sauce ­ertrinkt. Beste Wahl bleiben also die Luxus­zutaten, pur serviert.

Im »Kwint« bürgen große Namen für hohe Qualität. / Foto: beigestellt

Geselligkeit trifft Haute Cuisine
Auch wenn die Küchen von »Yume« und »Kwint« kaum verschiedener sein könnten, zeigen die Lokale doch eine Tendenz auf: Brüssel liebt die Brasserien, gesellige Lokale, in denen Essen nicht immer die Hauptrolle spielt. Ob im szenigen »Belga Queen«, im neuen »Park Side« mit stylishem Interieur oder in Institutionen wie dem »Ogenblik« und der »Taverne du Passage«, wo die Kellner den Neuankömmling schon mal misstrauisch beäugen.

Auch Spitzenköche haben das bemerkt: David Martin etwa wirkte als Küchenchef im hochdekorierten »Bruneau« – und serviert heute Fish & Chips mit Kabeljau oder gebratenes Entrecôte für 150 Gäste in der »Bozar Brasserie«. Freilich wird das Rindfleisch bei ihm im Josper, dem argentinischen Holz- und Kohleofen, gebraten.

Neu ist, dass Gäste wissen möchten, was auf den Tisch kommt: Bei »Yume« sehen sie es, im »Kwint« bürgen große Namen wie Kaviar Kaspia und Maison de la Truffe für die Provenienz der Zutaten. Und in anderen Brasserien lieben die Brüsseler Gerichte, bei denen kaum eine ­Küche etwas falsch machen kann: die Austernplatte etwa oder die Krevettenkroketten.

Die Ausstattung des »De Pastorale« stammt von Arne Quinze. / Foto: beigestelltDie Karten werden neu gemischt
Ruhig ist es hingegen um Brüssels Top-Lokale geworden. Die Köche der Stadt veranstalten halt keine Gipfeltreffen und verabschieden keine Manifeste.

Andererseits stellen die Top-Adressen die solide Mittelklasse nicht immer in den Schatten: Bei einem Besuch im reputierten »Sea Grill« glänzte die Küche des Hauses vor allen Dingen mit einem dicken, schneeweißen Kabeljaufilet, begleitet von Miesmuscheln und kleinen Kartöffelchen. Aber muss Räucherlachs als Amuse-Gueule wirklich wie ein Computerchip auf Fünf-Cent-Größe miniaturisiert werden? »Die Europastadt wurde jahrelang von ­wenigen Köchen dominiert«, sagt Bart de Pooter. »Gegenwärtig werden die Karten neu gemischt.« De Pooter lächelt unter seinem Kurzhaarschnitt. Sein »De Pastorale« in der Ortschaft Rumst liegt näher an Antwerpen als an Brüssel, er hat sich mit Kreationen wie Kabeljau mit Hopfen und Weißbier oder Steinbutt mit ­Artischocken, Anchovis, Kapern und Parmesan einer gemäßigten Moderne verschrieben. Seine puristisch-weiße Villa gilt vielen Genießern als das beste Lokal in der Brüsseler Umgebung – de Pooter hat also gut lachen. Arne Quinze, der Künstler, hat auch sein Lokal ausgestattet. De Pooters Erfolgsgeheimnis? »Man muss Über­zeugungen haben – aber die eigene Arbeit permanent infrage stellen«, sagt der junge Koch.

Feinschmecker-Mekka
Wie gern die Brüsseler essen, zeigt die Auswahl an guten Metzgereien und Bäckereien. Menschenmassen drängen sich täglich durch die Rue des Bouchers, wo hinter Plastikhummern 15-Euro-Menüs angeboten werden. Touristen lassen sich dort nieder, wo der lauteste »Rabatteur« (»Reinzieher«) agiert. Echte Brüsseler trifft man dort nicht. Die gehen ein paar Schritte weiter, etwa zu »Michel D«, genießen Jakobsmuscheln auf Topinamburpüree, Rehfilets und zarten Schokokuchen aus einer offenen Küche für 35 Euro. Das »D« im Namen steht für Doukissis. »Aber Michel hat sich zur Abkürzung entschlossen, um nicht aufgrund des griechischen Namens mit den Gyros-Wirten verwechselt zu werden«, weiß Holger. Wobei es in Brüssel durchaus gute griechische Lokale gibt, das »Notos« etwa, wo Constantin Erinkoglou Pasta mit Avgotaracho (Bottarga) auftischt.

Ehrlich schmeckt am besten
Wir gehen auf ein letztes Bier ins »Moeder Lambic Fontainas«. Die Bierkarte ist gigantisch, reicht von »3 Fonteinen Armand« über »Stone Arrogant Bastard Ale« bis zum »Zwarte Piet«. Wir bleiben dennoch beim einfachen »Kriek«.  »Gut essen ist bei uns in Brüssel ein sozialer Akt, keine Kunst um der Kunst willen. Und egal, wo wir essen, am Schluss treffen wir uns doch in der Kneipe«, sagt Holger.  Ich widerspreche nicht. An die lokale Vorliebe für ehrlichen ­Genuss habe ich mich schnell gewöhnt.

Tipp: Brusselicous 2012
Brüssel feiert mit zahlreichen Events seine ­ausgezeichnete Gastronomie, Höhepunkt ist schon im März der Bocuse d’Or Europe. www.brusselicious.be


Wo isst der Lobbyist

Die besten Adressen Brüssels

Text von Jörg Zipprick
Aus Falstaff Deutschland Nr. 1/2012