Leichte Muse: Best of Mosel

Federleicht ist er, der Mosel-Kabinett. Dass er süß ist, hat ihn in Verruf gebracht. Doch kaum ein anderer Wein hat so viel Spiel und Schliff. Jetzt feiert er eine Renaissance.

Sein Opa, sagt Ernie Loosen, habe treffend zu beschreiben gewusst, was einen guten Kabinett ausmacht: So ein leichtes Möselschen sei genau der richtige Wein, »um sich nüchtern zu trinken«. Dieses Bonmot kann man natürlich von zwei Blickwinkeln aus deuten: Nach einer längeren Probe, wie sie Winzer gerne einmal durchführen, lässt ein Kabinett mit seinen acht Volumenprozent Alkohol den Rausch sanft und freundlich ausklingen. In umgekehrter Richtung kann ein Kabinett, zum Mittagessen oder am Beginn des Abends genossen, einen milden Schwung auslösen, ohne dass die Trinkerin oder der Trinker den Zustand der Nüchternheit wirklich verlassen würde.

Dass man den Kabinett dereinst unter Ar­­tenschutz stellen müsste, das hätte sich die ältere Generation indes nicht vorstellen können. Doch in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts schien sich alles gegen den naturreinen Leichtwein verschworen zu haben: Der Zeitgeist neigte zum Kräftigen, oft auch zum Plakativen – und die Witterung mit ihrer Tendenz zu warmen Jahren mit früher Traubenreife tat das ihre, konzentrierte und süßere Weintypen entstehen zu lassen. Das Zeitfenster für die Lese des Kabinettweins werde immer enger, klagten viele Winzer. Ein, zwei Tage zu lange gewartet, schon hätten die Trauben Spät- und Auslese-Charakter. So ­stellte Global Warming die Qualitäts­pyramide auf den Kopf: In Jahren wie 2005, 2006, 2007, 2009, aber auch 2011 und 2012 wurde ein guter Kabinett zur Rarität, während kein Mangel an Weinen höherer Prädikatsstufen bestand. Das Weinbau-Genie Egon Müller hat die Zeichen der Zeit schnell erkannt: Der Scharzhofberger Versteigerungskabinett, den er seit einigen Jahren erzeugt, ist ein pfeilgerader, schlanker und dennoch ausdrucksstarker Wein – ein archetypischer Kabinett, der alleine beim Preis untypisch ausfällt. Auf der letztjährigen Auktion des Großen Rings wurde der 2013er bei sagenhaften 137 Euro pro Flasche zugeschlagen.

Clemens Busch, dessen 2013er-Kabinett bei der Falstaff-Verkostung brillierte, weiß ebenfalls, wie schwer es geworden ist, einen leichten Kabinett zu erzeugen: »Als Erstes braucht man einen Steilhang mit magerem Boden. Bei uns kommt der Kabinett aus dem obersten Bereich der Lage Marienburg, oben am Bergkamm, wo es etwas kühler und windig ist. Dieser kleinklimatische Einfluss in Verbindung mit der Steillagen-Charakteristik ergibt die besten Kabinett-Weine.« Im schwierigen Jahr 2013 mit seinem verzettelten, regnerischen Herbst hat Busch offensichtlich den richtigen Augenblick erwischt, um hoch zu klettern in den Berg und die ge­lesenen Trauben wie üblich mit der Fähre aus dem vis-à-vis der Ortschaft gelegenen Steilhang in den Keller zu bringen: Sein Kabinett reizt Dichte und Süße aus, ohne dass die Typizität des Prädikats verlassen wird. »Für unsere Verhältnisse haben wir den Kabinett früh gelesen, zwischen 10. und 12. Oktober, und das bei rund 85 Grad Oechsle. Ideal sind 83 bis 85 Grad, aber man hat ja auch nicht immer den letzten Zugriff auf die Oechsle.«

Atemberaubende Aussicht: Clemens Buschs Sohn Johannes im Weinberg. / Foto: Andreas Durst

Auch Gernot Hain, der gleich zwei seiner 2014er-Kabinettweine in Falstaffs »Best of«-Auswahl platzieren konnte, betont die Wichtigkeit des Lesezeitpunkts: »Ich hab mir das Anfang Oktober angeschaut und gedacht: Was willst du warten? Aber in der ganzen Lage Piesporter Goldtröpfchen mit ihren ­
58 Hektar gab es nur drei, vier Innovative, die früh zur Lese gegangen sind. Dabei bekommt man gerade in dieser Lage gerne mal Gradationen, die für den Kabinett eigentlich zu stramm sind.« Hain jedenfalls ist mit seiner Entscheidung vollauf zufrieden: »Die Weine sind klar definiert und in sich geschlossen.« Alles richtig gemacht.

Dasselbe kann man von Thomas Haag sagen, der vom Jahrgang 2014 einen extrem gelungenen Erstling vorgestellt hat. Nicht, dass es noch niemals zuvor einen fruchtigen Kabinett von Schloss Lieser gegeben hätte – aber nun hat Haag zum ersten Mal einen aus der Lage Wehlener Sonnenuhr gekeltert. »Meine Frau kommt ja aus Wehlen«, so Haag – sie habe diese hochkarätige Ergänzung des Lagenspektrums über Beziehungen möglich gemacht. Vom Jahrgang 2015 wird Haag ein knappes Hektar Wehlener Sonnenuhr keltern können. 2014 jedoch hat er nur eine einzige Parzelle bewirtschaftet und daher auch nur einen einzigen Wein erzeugt, eben einen fruchtigen Kabinett. »2014 brachte vom Jahrgang her nicht die Cremigkeit und die pralle Frucht, daher haben wir uns für den klassischen Kabinett entschieden. Die Mostgewichte trafen genau den Punkt, und so konnte man auch in der Süße etwas tiefer gehen.« Entstanden ist ein feingliedriger Wein, der sich momentan noch verschlossen zeigt und der eindeutig auf die Langstrecke angelegt ist. Überdies merkt man Haags Wehlener Kelterung an, dass sie das gesamte Lesegut einer Parzelle umfasst, denn sie wirkt besonders reich an Zwischentönen, besonders komplett. Ein Solitär, den es in diesem Facettenreichtum vielleicht nicht so schnell wieder geben wird.

Geduld beim Ausbau

Die Reifebeständigkeit ist eine jener Eigenschaften, die beim Kabinett besonders leicht unterschätzt wird. Fünf bis zehn Jahre sind für einen guten Jahrgang problemlos drin, wobei die Weine mit dem Alter auf wundersame Weise immer trockener schmecken, obwohl sie analytisch natürlich ihren anfänglichen Zuckergehalt behalten. Die mineralischen Eindrücke und der elegante Trinkfluss verstärken sich sogar mit den Jahren. »Es ist doch schöner, wenn so ein Kabinett drei, vier Jahre zulegt, statt schon nach dem ersten Sommer in die Knie zu gehen«, sagt auch Ernst Clüsserath, der mit seinem 2012er-Kabinett für 7,50 Euro den preiswertesten Wein in der »Best of«-Auswahl stellt.

Auch schon beim Ausbau seien Ruhe und Geduld die wichtigsten Faktoren: pressen, statische Klärung, abziehen, Spontangärung. So einfach sich das anhört, so viel handwerkliche Routine ist vonnöten, um all diese Schritte inklusive des Abstoppens der Gärung zum Erhalt des traubeneigenen Zuckers präzise durchzuführen. »Mein Keller ist ganz spartanisch ausgestattet, denn ich denke, dass die Qualität draußen wächst«, sagt Clüsserath – und fügt an, dass er den Wein deswegen so preisgünstig anbieten könne, weil sein Weingut eine »One-Man-Show« sei. Wie viele andere Enthusiasten entlang der Mosel macht Clüsserath Jahr für Jahr einen brillanten Job. Dieses Jahr ist die Gelegenheit besonders gut, sich von den Kabinett-Stückchen dieser Könner einen soliden Vorrat in den Keller zu legen.

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Weitere Bewertung unseres großen Mosel-Tastings finden Sie hier!

Text von Ulrich Sautter

Aus Falstaff Magazin Deutschland 05/2015

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland