Craft Bier: Reinheitsgebräu
Die Craft-Bier-Szene versteht sich als Gegenbewegung zur Industrie. Das in Deutschland bis heute geltende Reinheitsgebot scheint hier auf den ersten Blick hinderlich. Doch ist es das wirklich?
Es sind nicht die Inhaltsstoffe, die ein Craft-Bier zum Craft-Bier machen. »Craft« steht einzig und allein für Handwerk. Es geht also darum, dass Biere handwerklich und nicht industriell hergestellt werden. Was dabei in den Braukessel kommt, ist Sache der Philosophie der Brauerei, der Traditionen in ihrer Region und nicht zuletzt der Gesetzgebung. Die Brauerei Crew Republic hat ein hartes Pflaster für ihre Aktivitäten gewählt. 2011 eröffneten Mario Hanel und Timm Schnigula ausgerechnet in München eine Kleinbrauerei – mit dem erklärten Ziel, mittels »kreativer und spannender Biere« die »langweilige deutsche Bierwelt« zu revolutionieren. Ihr Motto: »Craft beer is not a crime!« Ihr Münchner Umfeld hielt die beiden damals für verrückt, was in der Hauptstadt des Hellen durchaus nachvollziehbar ist.
Heute, acht Jahre später, ist der Umgebung der beiden Brauer das Lachen aber vergangen. Seit dem Start fand das Bier der Crew Republic reißenden Absatz, und bald begannen Mario und Timm eine eigene Brauerei zu planen. Seit Mai 2015 betreiben sie also ihre eigene Craft-Bier-Brauerei im Norden von München, seit Sommer 2017 gar mit eigenem Craft-Bier- Garten und Taproom – die moderne Version eines Münchner Bierlokals.
Die Crew Republic ist erfolgreich, die Resultate bei Bierwettbewerben wie der Falstaff-Bier-Trophy sprechen für sich. Dabei steht Crew Republic nicht nur marktmäßig vor einer Herausforderung. Denn in Bayern gilt schließlich das Reinheitsgebot – Bier darf also nur aus Wasser, Hopfen und Malz hergestellt werden. Anders als in anderen Teilen Deutschlands sind hier auch keine Ausnahmeregelungen vorgesehen. Außerhalb Bayerns sind »besondere Biere« erlaubt – traditionelle deutsche Bierstile wie Berliner Weisse oder Leipziger Gose, die von anderen Inhaltsstoffen entscheidend geprägt werden.
Ein Kreativbier nach eigener Rezeptur, gebraut mit Zugabe von Früchten, Gewürzen oder anderen geschmackgebenden Ingredienzen, darf man in Deutschland nicht produzieren beziehungsweise nicht als Bier bezeichnen. Die Craft-Bier-Brauer außerhalb Bayerns schöpfen die gesetzlichen Grenzen voll aus. In Berlin erlebt etwa die Berliner Weisse dank handwerklicher Brauer eine echte Renaissance – mitunter getrieben von innovativen Biermachern wie Michael Lembke von der Craft-Bier-Instanz Brlo. Außerhalb Deutschlands schreibt oft nur das Lebensmittelgesetz vor, was in den Braukessel darf und was nicht.
Die Münchner Brauer von der Crew Republic sind international vernetzt, fühlen sich durch das Reinheitsgebot aber nicht eingeschränkt – sie sehen es als Herausforderung, charaktervolle, kreative Biere innerhalb der engen Vorschriften zu produzieren. Wenn die beiden beispielsweise wollen, dass ein Bier fruchtig schmeckt, dann können sie nicht einfach die Frucht beigeben, sondern müssen mit entsprechend fruchtigen Hopfensorten arbeiten. Dafür strecken die Brauer ihre Fühler nach Rohstoffen in der ganzen Welt aus. Ein Engagement, das auffällt: Im Jahr 2016, dem 500-jährigen Jubiläum des Reinheitsgebots, besuchte die damalige bayerische Wirtschaftsministerin und heutige Präsidentin des Bayerischen Landtags, Ilse Aigner, die Brauerei anlässlich der Abschlussveranstaltung der Feierlichkeiten. Hätte man das den Crew-Republic-Gründern einige Jahre zuvor angekündigt, sie hätten es wohl selber nicht geglaubt.
Die Crew Republic ist längst nicht die einzige bayerische Brauerei, die auf moderne, stark gehopfte Bierstile fernab von Hellem oder Weizen setzt. Seit 2018 braut Hoppebräu seine kreativen Bierinnovationen unweit des Tegernsees. Hier entsteht etwa das Imperial Stout Oloroso – ein ursprünglich englischer, tiefdunkler Stout-Stil, den Hoppebräu in Oloroso-Fässern reifen lässt. Ein Bier mit klarer Fassaromatik, mit kräftigen, fruchtigen Kirsch- und Röstaromen. Früchte aber beinhaltet dieses Bier nicht. Es wird nach Reinheitsgebot gebraut und anschließend drei Monate im Tank sowie vier Monate in andalusischen Oloroso-Sherryfässern gereift. Ein Bier, das so gar nichts mit den sonst in der Region verankerten Bierstilen zu tun hat und dennoch oder gerade deswegen seine Liebhaber findet.
Kritisiertes Gebot
Das Reinheitsgebot steht seit einigen Jahren in der Kritik – von Brauern in Deutschland und weit darüber hinaus. Kritisiert wird insbesondere, dass es als Qualitätsmerkmal benutzt wird, denn man könne ja auch schlechtes Malz für die Bierherstellung benutzen. Zudem setzten industrielle Großbrauereien durchaus andere Stoffe bei der Bierherstellung ein, darunter Hilfsstoffe zur Entfernung von Trubstoffen oder Malzextrakt statt echtem Malz. In der Szene ist dieser Umstand längst bekannt, doch was soll da der Weinliebhaber sagen, dessen liebstes Getränk eine weit größere Liste möglicher Zusatz- und Hilfsstoffe zulässt? Schon paradox: Für viele kleinen Braumanufakturen ist es genau die Qualität, die gegen Zusatz- und Hilfsstoffe beim Brauprozess spricht. Dennoch ist es verständlich, dass deutsche Brauereien beispielsweise kritisieren, dass sie nicht mit saisonalen Bierspezialitäten trumpfen können – etwa einem Kürbisbier im Herbst oder einem Fruchtbier im Sommer.Die erfolgreiche Schweizer Brauerei Doppelleu beispielsweise braut für den breiten Markt. Die Kreationen sind zwar klar von Bierstilen der Craft-Szene inspiriert und auch handwerklich perfekt hergestellt, begeistern aber sogar den gestandenen Lagerbiertrinker. Die Brauer aromatisieren ihr belgisch inspiriertes Weizenbier mit Orangen und Koriander – im Schweizer Bierkontext ein Alleinstellungsmerkmal. Einen Schritt weiter geht die Brauerei gar mit ihren limitierten Brewmaster Editions. Das vollmundige, leicht säuerliche Berry Vanilla Ale erinnert dank der Zugabe von Haferflocken, Erdbeerpüree, Lactose und Vanille an einen cremigen Cheesecake mit Erdbeeren. Was bei Doppelleu ein Experimentieren neben einem größeren, fixen Bierangebot ist, ist bei anderen, meist sehr kleinen Brauereien Hauptinhalt ihres Schaffens. So etwa bei Alfried Borkenstein und seiner Brauerei Alefried. Borkenstein verbrachte zunächst einige Jahre in England und stellte zurück in seiner Heimatstadt Graz fest, dass das Angebot an eigenständigen, charakterstarken Bieren zu wünschen übrig lässt. Zu tun hatte das vor allem mit der nach dem Reinheitsgebot inexistenten Zutat – der Hefe.
Borkenstein braut ausschließlich Ales, obergärige Biere also, die bei verhältnismäßig warmen Temperaturen vergären. Die Hefe gibt dem Bier zuweilen viel Charakter mit; etwas, das oft unterschätzt wird. Damit aber nicht genug: Neben Wasser, Hopfen, Malz und Hefe verwendet Borkenstein vor allem Früchte und Kräuter, die seinen Bieren ganz eigene Noten verleihen. Handgepflückte Aprikosen kamen bei ihm bereits genauso in den Braukessel wie Stachelbeeren und Fichten- oder Zirbenzapfen. Wer seine Kreationen probiert, wird in eine ganz eigene Welt entführt, zuweilen mit komplexem Aromaspiel – ganz wie beim Wein. Es wäre doch wirklich schade, würde auch in der Steiermark das Reinheitsgebot gelten und uns dieses Erlebnis vorenthalten bleiben.