Dicht aneinandergereiht wachsen die Hopfenpflanzen am Feld der Barth-Haas Group. Ihr Anbau erfordert vom Bauer ein wachsames Auge.

Dicht aneinandergereiht wachsen die Hopfenpflanzen am Feld der Barth-Haas Group. Ihr Anbau erfordert vom Bauer ein wachsames Auge.
© www.sachakreklau.de

Hopfen: Die grüne Seele des Biers

Er liebt Sonne, tiefgründige Böden und Drähte, an denen er sich hochwinden kann. Doch was Hopfen zum Bierbrauen wirklich erfordert, ist vor allem eines: viel Hingabe und Zeit vom Bauer.

Vor einem Vierteljahrhundert war der damals führende Bierjournalist Mi­chael Jackson zu Besuch ­
in einer Brauerei nahe Leipzig – durch Sudhaus und Keller wehte noch ein Hauch DDR und Jackson hoffte, dort auf altes Brauerwissen zu stoßen, das sich jenseits des Eisernen Vorhangs erhalten haben könnte. Was für Hopfen denn da verwendet werde, fragte er den Braumeister. Doch der sagte bloß: »Pellets.«
Der gute alte Braumeister hatte keinerlei Ahnung, welcher Hopfen da in Pelletsform in seine Sudpfanne kam. Denn im deutschen Sprachraum schätzten die meisten Brauereien seit den 1950er-Jahren vor allem eine Eigenschaft des Hopfens: Er sorgt im Bier verlässlich für biologische Stabilität bei gleichzeitig gut berechenbarer Bittere. Und das lässt sich eben am besten einstellen, wenn es so standardisiert wird, wie das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts üblich war. Hopfen, diese alte Kulturpflanze aus der Familie der Hanfgewächse, wurde auf hohe Leistung hin gezüchtet. Die weiblichen Blüten – nur diese sind für die Brauwirtschaft relevant – sollten möglichst viel Alphasäure bilden, denn Alphasäure ist die Leitsubstanz für die Bittere und gilt vielfach noch heute als Mess-­größe für den Ertrag im Hopfengarten.
Hopfengärten werden mit enormem Aufwand errichtet: Auf einem Feld werden die rund sieben Meter hohen Gerüste aufgestellt, dicke Stahlseile halten die Stangen und die sie verbindende Struktur für viele Jahre zusammen. An dünnen, jedes Jahr neu zu spannenden Drähten werden die über den Winter im Boden schlummernden weiblichen Hopfenpflanzen neu hochgezogen, zwei bis drei Triebe pro Draht.
Wochenlang muss sich der Bauer darum kümmern, dass sich diese zarten Pflänzchen auch brav am Draht hochranken – ein alter, bis heute gültiger Grundsatz lautet: Der Hopfen will jeden Tag seinen Herrn sehen. Dafür sprießt er dann auch gut und schnell. Die Triebe, die sich im April aus dem Boden wagen, klettern bis Ende Juni zur vollen Höhe von sieben Metern hinauf, sie bilden über den Sommer viele Seitentriebe und eine dichte Blattmasse.

Mit den ersten Craft-Bier-Brauversuchen wurden die Biere wieder bitterer und aromatischer. Neue Hopfenzüchtungen wurden populär.

Eine heikle Diva

Im August zeigen sich die Hopfenzapfen, in denen die weiblichen Lupulindrüsen heranreifen. Unbefruchtet müssen sie bleiben, sonst verlieren sie an Brauwert. Sprich: Eine bestäubte weibliche Hopfenblüte würde keine Alphasäure mehr bilden und damit kaum Bittere – also wäre sie für die Brauerei unbrauchbar. Das ist der Grund, warum rund um Hopfenkulturen alle wilden – möglicherweise männlichen – Hopfenpflanzen vernichtet werden: Wilder männlicher Hopfen könnte die ganze Ernte gefährden.
Heikel bleiben die weiblichen Hopfenpflanzen aber weit über die Ernte hinaus: Zunächst einmal muss bei der Hopfenernte alles präzise ablaufen – geerntet wird in jedem Hopfengarten genau zu jenem Zeitpunkt, zu dem die Dolden optimal gereift sind. An der Spindel, dem dünnen Stängel, an dem die hellgrünen Blütenblätter wachsen, müssen die gelben Lupulinkörnchen, kaum einen Millimeter groß, deutlich sichtbar sein und ihren spezifischen Duft abgeben. Dann heißt es, die ganzen Reben herunterzureißen und die Dolden abzupflücken. Das war noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Handarbeit, heute erledigen Maschinen den Großteil dieser Arbeit.
Kaum eine Stunde nach der Ernte sind die Dolden bereits in der Hopfendarre – einem riesigen Heißlufttrockner, der die Feuchtigkeit entzieht, bevor der Hopfen in große Säcke kommt und gekühlt wird; sowohl Feuchtigkeit als auch warme Lagerung würden den Alphasäuregehalt wieder massiv sinken lassen und dem Hopfen einen käsigen Geruch verpassen.
Auf die Alphasäure aber kommt es den meisten Brauern an – lange ging es nur da­rum, möglichst bittere Sorten zu züchten und anzubauen. Die über 200 Aromastoffe, die Hopfen aufweisen kann, hatten allenfalls in Pilsbieren eine gewisse Bedeutung. Doch selbst bei vielen Pilsbieren ist man in den 1980er-Jahren dazu übergegangen, eine reine Bittere zu bevorzugen. Denn die erwähnten Aromaöle und Hopfenharze in der Blüte sind ähnlich empfindlich wie die bittere Leitsubstanz Alphasäure – ein hopfenaromatisches Pils, das zu lange in der Flasche bleibt, kann ebenso käsig stinken wie alter Hopfen. Da war es bequemer, aromaarme Hopfensorten zu verbrauen und die Aromastoffe im Sudprozess wenig bis gar nicht zur Geltung zu bringen – gut für die Haltbarkeit des Biers, weniger gut für Liebhaber der Hopfenaromen.

Die Hopfen-Revolution

Viele Brauereien kauften sogenannte Bitterhopfensorten in Pellets-Form und setzten sie im Sudprozess ein. Das war im deutschen Sprachraum so üblich – jene mitteldeutsche Brauerei, die eingangs erwähnt wurde, ist typisch. Und erst recht entsprach es dem internationalen Trend.
Aber es gibt kaum einen Trend ohne Gegenbewegung. Und diese ging von einem Österreicher aus: Alfred Haunold, geboren 1929 in Hollabrunn, studierte Pflanzengenetik in Wien und emigrierte 1953 in die USA. An der Oregon State University in Corvallis arbeitete er an einem Hopfenzüchtungsprogramm. Das war eine ziemlich aufwendige Sache, immerhin mussten die weiblichen Kulturpflanzen mit von weit hergeholtem männlichem Blütenstaub befruchtet werden. Die Pflanzen wurden durch Stecklinge vermehrt und sowohl auf Ertrag als auch auf Schädlingsresistenz hin getestet.
Haunolds erste Entwicklung – eine Züchtung auf Basis des englischen Fuggle-Hopfens und der russischen Sorte Serebrianka – trug die wenig spektakuläre Bezeichnung USDA 56013. Wenig sprach dafür, dass dieser Hopfen die Bierwirtschaft verändern würde, jahrelang interessierte sich keine Brauerei dafür. Schließlich war es die Brauerei Coors in Colo­rado, die als erste zugriff: 1972 wurde USDA 56013 unter der bis heute bekannten Bezeichnung Cascade registriert – die erste neue US-Hopfensorte seit Aufhebung der Prohibition 1933.

Aromen-Explosion

Cascade – benannt nach der westamerika­nischen Vulkanbergkette, die das Yakima-Tal von der Pazifikküste trennt – kam ge­rade recht, als die ersten Craft-Bier-­Brauer ihre Brauversuche machten: Cascade bringt ein Grapefruit-Aroma ins Bier und schmeckt auch in hoher Dosierung nicht unangenehm. In den folgenden Jahrzehnten setzten sich kleine Brauereien mit den wiederentdeckten und wiederbelebten alten Bierstilen Pale Ale, IPA, Porter, Stout, Saison und Weißbier vom Massengeschmack ab – und der Hopfen, der im Wüstenklima des Yakima-Tals mit Tröpfchenbewässerung wächst, half bei der Differenzierung.
Die Biere wurden wieder bitterer und aromatischer. Immer neue Hopfenzüchtungen wurden populär: Aus Haunolds Zuchtversuchen kamen unter anderem Centennial, Mount Hood und Willamette auf den Markt, der Japaner Yoshitada Mori steuerte den gewürzhaften Sorachi Ace bei, aus dem Elsass gesellte sich Barbe Rouge mit einem Aroma von roten Beeren dazu, aus Nelson in Neuseeland der Nelson Sauvin, der an Sauvignon Blanc erinnert, und aus der Hallertau der Mandarina Bavaria, der, erraten, ein Mandarinen-Aroma aufweist. Alle diese Hopfen gibt es gepresst und pelletiert, als Extrakt oder auch als reines Hopfenaroma. Aber kein Brauer würde mehr die Sorte ignorieren und sagen, dass ­er sein Bier einfach mit Pellets braut.

Erschienen in
Bier Spezial 01/2019

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Conrad Seidl
Autor
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