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Grünes Pesto: Weg mit den Hauptdarstellern!

Chefredakteur Christoph Schwarz in seiner Kolumne »Geschmackssache« über eindimensionales Basilikum und aufdringlichen Knoblauch: Die italienische Paste ist ein Störenfried. Das muss sie aber nicht sein. Wer die Zutaten klug variiert, kann Schönes schaffen. Vor allem Rauchmandeln und Salzlake sind im Pesto ein echter Star!

Grünes Pesto, darauf beharrte ich lange, ist ein kulinarischer Störenfried. Basilikum – das aromatisch wohl eindimensionalste Kraut, das die Natur zu bieten hat – trifft auf Unmengen von rabiatem Knoblauch. Wer Pesto über ein Gericht kippt, stellt damit sicher, dass alles vor allem nach einem schmeckt: nach Pesto. Da ist wenig Platz für Nuancierung.

Dabei ist das »pesto genovese«, das in seiner italienischen Heimat eine stolze Tradition hat, einem Phänomen zum Opfer gefallen, dass vielen regionalen Spezialitäten blüht, die exportiert werden: Sobald der Boom einsetzt – wir erinnern uns, als die Paste einst in Studentenküchen ihren Siegeszug feierte –, macht die industrielle Massenproduktion alles nur noch schlimmer: Die Originalzutaten werden durch günstigere ersetzt. Den Unterschied schmeckt doch außerhalb Italiens eh keiner! Oder doch?

Magisches Handwerk

An sich ist das »pesto genovese« eine feine Sache, die handwerklich fasziniert: Es besteht aus Basilikum, Pinienkernen, Knoblauch, Käse (aus welchem, darüber kann man streiten – mit Parmesan, Grana und Pecorino liegt man aber nicht falsch) und Olivenöl. Erstmals Erwähnung in einem Kochbuch fand es 1863, seit damals hat sich wenig geändert. Nur die Butter, die man mit in den Mörser gab, hat sich aus modernen Rezepten weitgehend verabschiedet.

Der Einsatz des Mörser hingegen ist für Traditionalisten bis heute unumgänglich – nicht zuletzt steckt »pestare«, also »stampfen«, bereits im Namen. Wie sich die Zutaten bei Verarbeitung von Hand nach und nach zu einer homogenen Paste verwandeln, hat für Food-Enthusiasten tatsächlich etwas fast Magisches.

Das ist aber nicht der einzige Grund für die Handarbeit: Vor allem das Basilikum reagiert unangebracht sensibel auf Hitze. (Sie kennen den unhübschen Anblick von Basilikum-Blättern auf zu heißer Pizza.) Daher ist bei der Verarbeitung mittels Stabmixer oder Küchenmaschine in der Tat Vorsicht geboten. Wer dennoch zu wenig Tagesfreizeit fürs Mörsern hat, der merke sich: Kurze, kräftige Stöße sind gut – der Dauerbetrieb der Küchenmaschine birgt Gefahr.

Oma weiß es doch am besten

Damit ich die Liebe zum Pesto entdeckte, war – ausgerechnet! – eine italienische Oma vonnöten. Ich habe sie nie persönlich kennengelernt, sondern nur im Internet, als sie in einem Instagram-Video mit viel Emotion ein Pesto zubereitete. (Ob die ältere Dame tatsächlich eine Oma ist, ist in Wahrheit unbekannt und irgendwie auch irrelevant. Aber es passt gut ins Klischee.)

Meine Sympathien gewann sie, als sie zu den Nüssen griff: Statt Pinienkernen wählte sie 110 Gramm gerösteter und geschälter Pistazien, die sie mit 20 Gramm Basilikum und 10 Gramm Petersilie sowie mit 100 Gramm Parmesan, Zitronenzesten, Pfeffer und natürlich Olivenöl verarbeitete.

Sie haben es bemerkt. Für Knoblauch ist hier kein Platz. Welch Wohltat! Das schafft Raum für komplexere Aromenspiele: Die Pistazien harmonieren mit der zitronigen Frische und kräftigem Pfeffer und sind so die neuen Hauptdarsteller. Gemeinsam mit einer (überraschenden) Zutat: jener Salzlake, in der die Burrata schwimmt, die wir bereitgestellt haben. Letztere wird später mit viele Liebe auf die fertige Pasta gesetzt, klar. Erstere wird aber nicht weggeschüttet, sondern ins Pesto eingerührt. Dieses nimmt eine herrlich hellgrüne, mintartige Farbe an. Da isst auch das Auge mit.

Von der italienischen Internet-Oma ermutigt, ging ich einen Schritt weiter. Für meine neueste Kreation musste noch ein vermeintlicher Star, das Basilikum, dran glauben. Der Fokus sollte ganz auf der Nuss liegen: Ich griff zu gerösteten und gesalzenen Rauchmandeln, die es im Supermarkt gibt. 70 Gramm der Nüsse werden in der Küchenmaschine vorgehackt, dann dürfen 30 Gramm Petersilie, eine kleine Chilischote, etwas Zitronenzeste, rund 60 Gramm Parmesan, frisch gemahlener Pfeffer und gehörig Olivenöl dazu. (Wer unbedingt Knoblauch will: Nur zu, aber nicht zu viel! Eine halbe Zehe reicht.)

Das Pesto darf dünnflüssiger sein als seine traditionellen Geschwister: Es ist intensiv, hat wohltuende Schärfe und wird nicht plump unter die Pasta gerührt. Vielmehr dient es als krönender Abschluss für Penne oder Linguine in selbstgemachter Tomatensauce, auf die es aufgetupft wird. (Für die Tomatensauce schmurgeln wir die Tomaten mit Zwiebeln lange im Rohr, bis sie Kraft entwickeln, und verfeinern mit Balsamico. Aber dazu ein anderes Mal mehr.) Tomatensauce und grünes Pesto? Das harmoniert (nicht nur optisch) besser als es klingt.

Mutige sind nun auf den Geschmack gekommen: Wer sich furchtlos von den einstigen Hauptdarstellern verabschiedet, der kann Schönes schaffen! Dille etwa harmoniert gut mit Sonnenblumen- und Pinienkernen, als besonderen Kick braucht es nur noch zwei bis drei eingelegte Sardellen, etwas Zitronensaft und Pfeffer. Die Variante passt zu fast allen Lachsgerichten. Auch Minze eignet sich – etwa in Kombination mit Walnüssen und Ziegenhartkäse. Im Sommer sollte man das Rezept hervorkramen: Perfekt als Begleiter für alle Arten von gegrilltem Fleisch!

Was so eine italienische Instagram-Oma doch alles bewirken kann!


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Christoph Schwarz
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