Das Gstaader Dorf Saanen mit der 1447 erbauten Mauritiuskirche.

Das Gstaader Dorf Saanen mit der 1447 erbauten Mauritiuskirche.
© Schweiz Tourismus/Christof Sonderegger

Gstaad: Das alpine Saint-Tropez

Ob Schauspieler, Kreative, Aristokraten oder Royals – Gstaad zieht sie magisch an. Das liegt nicht etwa an Prunk und Pomp, sondern an der Ursprünglichkeit, die sich die Destination im Berner Oberland bewahren konnte. Sie ist der wahre Luxus unserer Zeit.

Ein wenig verhält es sich mit der Ferienregion Gstaad wie mit alteingesessenen Familien. Das Vermögen bemisst sich nicht in den vorhandenen Millionen, sondern in Werten, die seit Generationen kultiviert werden. Exemplarisch dafür steht die nicht ohne Stolz im Saanenland weitergetragene Anekdote des Hoteliers Andrea Scherz, dessen Haus «Gstaad Palace» zu den ersten Adressen von ganz Europa zählt.

Zwei Tage, nachdem ein russischer Clan zur traditionellen Weihnachtsfeier am 4. Januar eincheckte, habe das Oberhaupt schon wieder an der Rezeption gestanden und die vorzeitige Abreise verkündet. Auf Nachfrage was den Gästen die Laune verhagelt habe, kam die prompte Antwort: «Not enough bling!». Nachdem der Clan vom Hausherren ins schillernde Palace St. Moritz umgebucht wurde, stand auf allen Gesichtern zufriedenes Lächeln.

Protz und Bling sucht man hier nicht nur vergebens, sondern eben auch sehr bewusst vergebens. Bevor aber ein Missverständnis aufkommt: Echter Glamour gehört zu Gstaad wie das Caquelon zum Fondue Hüttli – Jetset goes gemütlich, darin eben liegt der unwiderstehliche Charme der Destination, die seit eh und je Schauspielerinnen, Aristokraten Kreative und Industrielle in ihren Bann gezogen hat. Doch: der Reihe nach.

«Come up, slow down», heisst das offizielle Motto Gstaads, und wer – wie bereits in den 1920er Jahren der amerikanische Schriftsteller F. Scott Fitzgerald – mit dem Zug anreist, wird schon beim Anblick des nostalgisch anmutenden Bahnhofs Entschleunigung finden. Im Chalet-Stil erbaut und je nach Jahreszeit mit hängenden Geranien oder dicken Schneeflocken garniert, meint man umgehend, aus der Zeit gefallen zu sein. Wo das Auge hinschaut, hat es Wiesen, Bergpanoramen und mittendrin verteilt pittoreske Holzfassaden, an denen man versucht ist, heimlich zu klopfen – vielleicht doch alles nur Pappmaché?

Von wegen. Denn ob Tourismusdirektor, Gemeindepräsident oder Käsebauer – hier will niemand einen Retortenort, und alle tragen geschlossen und auf ganz unterschiedliche Art und Weise zur alpinen Authentizität der zehn Chalet-Dörfer und fünf Täler bei. Die Richtlinien der Baubehörden etwa schreiben schon seit den 1960er-Jahren rigide den Holzhausstil samt Höhenbeschränkung auf drei Stockwerke vor. Innen können sich die Architekten ja gerne ausleben, mit Swimmingpools, unterirdischen XXL-Tiefgaragen und Luxusküchen, nach aussen aber ist Zurückhaltung angesagt.

Protz und Bling sucht man in Gstaad nicht nur vergebens, sondern eben auch sehr bewusst vergebens.

Hinzu kommt, dass die ansässigen Landwirte sich seit Jahrzehnten stoisch weigern, an internationale Immobilienunternehmen zu verkaufen. Trotz Angeboten, die Tokio und New York in nichts nachstehen. «The last paradise in a crazy world» hat die amerikanische Schauspielerin und Ehrenbürgerin Gstaads Julie Andrews ihre Liebe zu der Schweizer Postkartenidylle einst auf den Punkt gebracht. Sie, die ähnlich wie einst Liz Tylor, Roman Polanski, Madonna oder auch Formel-1-Milliardär Bernie Eccle­stone seit Jahrzehnten Grund besitzt, weiss, dass die Destination zu allen Jahreszeiten zu verzaubern versteht.

Wenn im Herbst die ersten Landwirte ihre mit leuchtend bunten Blumengestecken geschmückten Kühe zurück ins Tal treiben, ist das genauso be­glückend wie eine Kutschfahrt im Schneegestöber. Kitschig? Nun, vielleicht als Motiv auf einer Ansichtskarte. Ansonsten aber handelt es sich nicht um inszenierte Touristenattraktionen, sondern gelebte Traditionen. Nicht umsonst nennt man Gstaad das alpine Saint-Tropez – an der Côte liebt man es schliesslich auch, barfuss im Beach Club mit Blick auf Fischerboote seine Austern zu geniessen.

Um ein Haus zum Heim zu machen, braucht es Seele und Authentizität, und genau das hat sich die Ferienregion Gstaad zu bewahren verstanden. Mit einem zweigeteilten Wohnungsmarkt, der garantiert, dass Einheimische weiter im Dorf die Mieten zahlen können. Und mit 350 Bauernbetrieben samt 11.000 Kühen bei ebenso vielen Einwohnern. Hier wird der berühmte Bergkäse eben nicht nur aufgetischt, man produziert selbst. Allein die Käsegrotte der Molkerei Gstaad mit über 3000 Laibern – ein Muss!

Fragt man den ehemaligen Weltcup-Skifahrer Mike von Grünigen aus Schönried, wonach die Destination für ihn schmeckt, kommt die Antwort prompt: «Nach Käse! Aber auch nach so viel mehr – den frischen Bergblumen im Juni, nach guter Hausmannskost auf Sonnenterrassen in Bergbeizlis, Gourmetrestaurants – immerhin hat es hier über 278 Gault-Millau-Punkte und einen Michelin Stern – nach den zahlreichen Bergseen und Bächen und nach der Ruhe – Id Rueh vor Natur.»

Angenehme Augenhöhe

Wer es quirliger mag, darf sich im Sommer auf Tennis- und Beachvolleyballturniere freuen. Hier sitzen Multimillionäre einträchtig neben glacéverschmierten Schulkindern aus dem Ort vereint, Standesdünkel findet man nirgends. Die Menschen hier sind den Umgang mit Besuchern aller Klassen gewohnt und begegnen jedem hier auf Augenhöhe – wohltuend für beide Seiten.

Seit das Elite-Internat Le Rosey 1916 den Wintercampus nach Gstaad verlegte, hat es hier Privatschüler wie den ehemaligen spanischen König Juan Carlos, John Lennons Sohn Sean, Prinzessin Marie-Chantal von Griechenland oder auch den früheren CIA-Chef Richard Helms gehabt. Die Kinder samt ihrer Familien (Rothschild, Rockefeller, Borghese) bleiben der Region oft das ganze Leben verbunden, wie im Falle von Prince Albert von Monaco: «Schon als Kind kam ich mit meiner Familie her, um Ski zu fahren. Wir haben eine sehr enge und emotionale Verbindung zu der ganzen Region, weshalb ich immer froh bin, herzukommen, wenn ich kann.»

Natur als Luxus

Dass, je nachdem wie der Wind steht, sich beim Champagner-Apéro auch mal der Duft von Dung der nahen Ställe in die Luft mischt, stört niemanden. Im Gegenteil. Der Natur nahe sein, die Ursprünglichkeit des Landes spüren, nachhaltig essen, gilt mehr denn je als der neue Luxus. Nicht nur für die oberen Zehntausend. Nun war Gstaad nie die Karottenhose unter den Nobel­skiorten – mal angesagt, dann wieder aus der Mode und plötzlich wieder en vogue –, sondern hielt sich beständig an der Spitze internationaler wie nationaler Lieblings­orte, zeitlos wie die Trachten der Ein­heimischen.

Die Lage rund 1000 Meter über dem Meeresspiegel sichert ein vergleichsweise mildes Klima. Mit über 200 Kilometern Skipisten auf acht Bergen mit bis zu 3000 Metern Höhe und 185 Kilometern Winterwanderwegen weiss die Destination Bretterfreunde bei Laune zu halten, und sie überzeugt auch mit einem breiten Non-Ski-Angebot. Seit die gesundheitsbewusste, auf Work-Life-Balance gepolte Generation Z die Wanderschuhe entdeckt hat und der Lockdown auch bei weiten Teilen der Bevölkerung eine neue grüne Sehnsucht befeuert, sind es auch noch einmal mehr die Jugendherbergen, Campingplätze und kleinere Ein- bis Drei-Sterne-Hotels, die ­gefragt sind.

Nachhaltigkeit und Naturschutz hat man bereits seit Jahrzehnten im Blick. Wer die digitale Gstaad Card sein eigen nennt, darf ab einer Übernachtung hier auf ausgewiesenen Strecken im Simmental und Saanenland gratis den ÖV benutzen. Fragt man übrigens Mike von Grünigen nach seinem ganz privaten Tipp, um dem ultimativen Gstaad-Feeling auf die Schliche zu kommen, empfiehlt er einen Ausflug zum Wasserngrat: «Dort hat es die beste Aussicht über Gstaad. Auch die Wanderung Hornberg-Horneggli lohnt sich – nirgendwo sonst sieht man die Sonnenuntergänge so super wie hier.» Ein Luxus, der wirklich jedem vergönnt ist.


Tipps & Adressen

Sommet
Freunde pflanzlicher Köstlichkeiten werden bei Küchenchef Martin Göschel im «Sommet» im «The Alpina Gstaad» glücklich. Ob mediterrane oder südostasiatische Akzente – dass der Starchef gerne reist, kann man sich auf dem Gaumen zergehen lassen.
Alpinastrasse 23, 3780 Gstaad
T: +41 33 8889866, thealpinagstaad.ch

Megu
Nicht wenige Gourmets behaupten, das beste japanische Restaurant des Landes befinde sich in den Schweizer Alpen. Genauer: im «The Alpina Gstaad». Hier kredenzt Headchef und Sushi Master Tsutomu Kugota nicht nur exquisite Gerichte, sondern auch eine herausragende Auswahl japanischer Whiskys. Auch interiortechnisch ist das Lokal ein
Augenschmaus.
Alpinastrasse 23, 3780 Gstaad
T: +41 33 8889866, thealpinagstaad.ch

La Bagatelle im Hotel
Le Grand Chalet
Ob ganze Taube mit wildem Pfeffer oder Steinpilzcremesuppe mit Trüffeln, hier ist man dem siebten Himmel nah! Seit über 30 Jahren zählt das «La Bagatelle» zu den ersten Adressen im Berner Oberland. Küchenchef Steve Willié und Pedro Ferreira bieten neben klassisch französischer Küche eine preisgekrönte Weinkarte.
Neueretstrasse 43, 3780 Gstaad
T: +41 33 7487676, grandchalet.ch

Esprit Ravet im Hotel
Bernerhof Gstaad
Waadtländer Klassiker und modern interpretierte Brasseriegerichte stehen auf der Karte der passionierten Gourmetfamilie Ravet. Inmitten behaglicher Atmosphäre tischt Küchenchef Marcel Reist nach Rezepten der Ravets Köstlichkeiten auf – von 34 Stunden geschmorter Kalbshaxe zu Ravioli und dem fast schon legendären Flambierwagen.
Bahnhofstrasse 2, 3780 Gstaad
T: +41 33 7488844, bernerhof-gstaad.ch

Wasserngrat
Einmal sollte man bei einem Besuch der Destination auf der Sonnenterrasse sitzen und die spektakuläre Aussicht bewundern. Zudem überrascht die traditionelle Pistenbeiz mit bodenständiger Küche auf Top-Niveau.
Bissedürriweg 16, 3780 Gstaad
T: +41 33 7449622, wasserngrat.ch

Sarah Lau
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