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Woher die Schweiz ihre Käsevielfalt hat

Bergamasker Hirten, die grossen Kriegsmarinen sowie Berner und Waadtländer Schiffsleute waren wesentlich am Aufstieg der Schweiz zu einem vielseitigen Käseland beteiligt. So wie einige begnadete Käserinnen und Käser, denen es gelang, die Käsetraditionen neu zu interpretieren.

Noch im Mittelalter sah es in den Schweizer Alpen in Sachen Käsevielfalt nicht viel anders aus als in ihren ­Nachbarländern. Auch hier wurden die typischen Sauermilchkäse produziert – wie etwa der Bloderkäse im Toggenburg oder der Mascarpin in Graubünden. Käse, für die man über kein grosses Können verfügen musste und die vor allem der Selbstversorgung dienten. Vom 16. Jahrhundert an waren es vor allem norditalienische Hirten und Freiburger Armaillis – wie man dort die Senner nennt –, die dafür sorgten, dass sich das aus der römischen Zeit hinübergerettete Wissen über die Herstellung von süssen Käsen in den Schweizer Alpen verbreitete. Käse also, bei denen die Milch bei der Herstellung nicht mehr sauer werden musste.

Einen enormen Schub verlieh diesen Herstellungstechniken vor allem der 30-jährige Krieg (1618 bis 1648). Während in Europa grosse Teile der landwirtschaftlichen Infrastruktur zerstört wurde, blieb die Schweiz von diesem Krieg verschont. Eine Zeit, die genutzt wurde, um die bis heute bekannten würzigen, harten und dadurch exportfähigen Käse zu entwickeln. Allen voran die Käsetypen rund um den Westschweizer Gruyère, aber auch um den Sbrinz aus der Innerschweiz, zu dem man vom Typus her auch den jungen Spalenkäse und die Berner Alp- und Hobelkäse zählen kann.

Alles Käse, die schon während des 17. Jahrhunderts in grossem Stil von Schiffsleuten über Aare und Rhein nach Holland und vom Hafen im waadtländischen Vevey den Genfersee hinunter nach Genf, Lyon und bis nach Marseille verschifft wurden. Denn gross war die Nachfrage durch die Marinen der Franzosen und der Holländer, die diese Käse als vitaminreiche Nahrung für ihre Seeleute entdeckt hatten.

Der Weg zur Käsenation

Den grossen Vorsprung, den sich die Schweizer Käser in diesen Kriegsjahrzehnten erarbeitet hatten, gaben sie nicht mehr so schnell aus der Hand. Nach dem Krieg wanderten viele von ihnen aus, bauten zunächst in Frankreich und in Teilen Deutschlands die Milch- und damit die Käseindustrie wieder auf und sorgten so dafür, dass das Schweizer Käsewissen weit über die Landesgrenzen hinaus getragen wurde.

Die wachsende Nachfrage nach Schweizer Käse und Käsern führte dazu, dass sich die Schweiz ab dem 18. Jahrhundert zusehends auf die Milchwirtschaft zu konzentrieren und die Getreidefelder sukzessive in Grasland umzuwandeln begann. Immer mehr Sommeralpen wurden erschlossen, sodass bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Zahl der Käsereien auf den Alpen wie auch in den Tälern exponentiell zunahm.
Die intensivierte Auseinandersetzung mit dem Käse brachte im 19. Jahrhundert, in der Zeit der Agrarindustrialisierung, viele neue Käse hervor.

Käse als Teil der Schweizer Identität: Der Pro-Kopf-Konsum liegt bei rund 23 Kilo pro Jahr. Die Tradition reicht weit zurück.

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Aus dem «Gruyère de l’Emmental» entwickelte sich innert kurzer Zeit der grosslochige Emmentaler, im Jura begann man mit der Herstellung des Vacherin Mont d’Or und die Appenzeller fanden mit der Gewürzsulz eine Lösung, wie sie ihre doch qualitativ schwankenden Käse so vereinheitlichen konnten, dass sie exportierfähig wurden.

In dieser Zeit vervielfachte sich die Menge der hergestellten Käse. Mit den ersten wirtschaftlichen Krisen des noch jungen Industriezeitalters wanderten ab 1870 wiederum viele Schweizer Käser aus, diesmal ins russische Reich, in die USA, aber auch nach Slowenien oder nach Österreich. Auch sie trugen dazu bei, dass für die Schweiz typische Käse heute fast weltweit hergestellt werden.

Mit dem Ersten Weltkrieg verlor die Eidgenossenschaft ihre jahrhundertealte Vormachtstellung als Käseentwicklungsland. Mit der Gründung einer planwirtschaftlichen Kontroll- und Vermarktungsinstanz – der Schweizerischen Käseunion – einher gingen jedoch die Bemühungen, Käse in Form von Fondue und Raclette weltweit zu vermarkten. Mit grossem Erfolg – allerdings auch zu erheblichen Kosten für die Steuerzahler, die diese Exporte über die Jahrzehnte mit Hunderten Millionen ­Franken subventionierten.

Tradition trifft Innovation

Dass die Neugier und dass Wissen der einst führenden Käsenationen jedoch auch durch diese staatlichen Eingriffe nicht zerstört werden konnte, bewies das Ende der Käseunion in den 1990er-Jahren. Innert weniger Jahre haben die führenden Käserinnen und Käser in der Deutsch- wie in der Westschweiz die einst vorhandene Vielfalt wiederentdeckt und weiterentwickelt.

Vom Toggenburger Starkäser Willi Schmid stammen etwa Kreationen wie der Jersey Blue, der Mühlistein oder die Bergfichte, vom Waadtländer Käsekünstler Michel Beroud die Tomme Fleurette oder die Dzorette und die Berner Käseentwickler und Käsehändler von Jumi haben mit der Belper Knolle nicht nur den teuersten Käse überhaupt geschaffen (für ein Kilogramm muss man bis zu 180 Franken auf den Tisch legen), sondern auch in Zusammenarbeit mit verschiedenen Käsern grossartige neue Kreationen entwickelt.

Dass die Schweiz ihre Vielfalt pflegt, zeigt sich auch im italienischsprachigen Tessin. Hier leben die Traditionen um die Alpkäse, die Formagelle und die unterschiedlichsten Ziegenkäse noch stärker als in anderen Regionen des Landes. Auch sind die Tessiner ihren Käsen mehr als treu geblieben: über 90 Prozent aller Käse werden im eigenen Kanton verkostet. Wer diese einzigartige Leidenschaft für heimische Käse erleben will, dem ist im Herbst ein Besuch auf dem alljährlichen Alpkäsemarkt in Bellinzona zu empfehlen.

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