Gutes Timing und ein Platz auf der rechten Zugseite sind wichtig,um den berühmten Fuji beim Vorbeifahren zu sehen.

Gutes Timing und ein Platz auf der rechten Zugseite sind wichtig,um den berühmten Fuji beim Vorbeifahren zu sehen.
© Shutterstock / Blanscape

Der Shikansen: mit dem Schnellzug von Tokio bis Hiroshima

Die berühmten Shinkansen legen bis zu 320 Kilometer pro Stunde zurück und sind dabei sicher und höchst pünktlich zugleich. Mit den Schnellzügen, die dieses Jahr ihr 60. Jubiläum feiern, kann man also komfortabel durch Japan rauschen. Ein Reisebericht von der Metropole Tokio über das alte kaiserliche Kyoto bis nach Hiroshima.

Das Zeitfenster ist nur wenige Minuten lang. Und auch sonst muss alles passen: Ein Sitzplatz auf der rechten Seite und wolkenfreier Himmel sind Voraussetzungen. Einen unverstellten Blick auf den heiligen Fuji, den ikonisch-formvoll­endeten aktiven Vulkan und höchsten Berg Japans zu erhaschen, während der Shinkansen an ihm vorbeibraust, ist gar nicht so einfach. Das liegt nicht zuletzt an der Geschwindigkeit des Zuges, der auf mittlerweile neun Linien von Norden bis Süden die wichtigsten Städte Japans miteinander verbindet.

Der Shinkansen ist welt­berühmt – und verkörpert das japanische Streben nach Perfektion: Er ist mit einer Reise­geschwindigkeit von bis zu 320 Kilometern pro Stunde einer der schnellsten Züge der Welt. Vor allem aber ist er einer der sichersten: Der Shinkansen rauscht bereits seit 1964 – er wurde rechtzeitig zu den Olympischen Spielen eröffnet – durch Japan. Dieses Jahr feiert er sein 60. Jubiläum. Tödliche Unfälle seit der Einführung? Kein einziger!

Und dann wäre da noch die Pünktlichkeit. Sie hat im öffentlichen Verkehr in Japan oberste Priorität. Im Jahresschnitt liegen die Verspätungen bei unter einer Minute – so manch europäische Bahngesellschaft kann davon nur träumen. Das verlangt perfekte Planung und Disziplin, auch bei den Reisenden. Schließlich transportieren die Shinkansen Tag für Tag Tausende Passagiere.

Die wohl ikonischste Linie ist der Tokaido-Shinkansen. Benannt ist sie nach der wichtigsten Post- und Handels­straße der alten Kaiserzeit, dem Tokaido. Er verband den Regierungssitz des Tokugawa-Shogunats Edo – das heutige Tokio – mit der kaiserlichen Hauptstadt Kyoto. 53 Stationen mit Gasthäusern und Postämtern entstanden entlang der 488 Kilometer langen Route, an denen Reisende einkehren konnten. Der Weg war damals auch das Ziel.

Auch heute ist die Strecke noch die meistbefahrene Japans – die Reise geht allerdings deutlich schneller: Der Tokaido-Shinkansen verbindet Tokio über Nagoya und Kyoto mit Hiroshima; rund 400.000 Reisende sind an Werktagen auf der Strecke unterwegs – auf keiner anderen der Welt sind es mehr.

Startpunkt Tokio

Die Reise beginnt in der Metropole Tokio, deren hektischer Geschäftigkeit man mit dem Zug bequem und komfortabel entkommen kann. Nur rund vier Stunden dauert die Reise von Tokio ins rund 800 Kilometer entfernte Hiroshima, wenn man keine Zwischenstopps einlegt. Aber genau diese sind sehenswert.

Wichtigster Knoten- und Ausgangspunkt für die Reise ist die Tokyo Station, der Hauptbahnhof der Hauptstadt, der eine Sehenswürdigkeit für sich ist. Das Marunouchi-Gebäude von 1914 trotzt als roter Backsteinbau der architektonischen Moderne aus Glas und Stahl, von der er umzingelt ist. Zehn Gleise sind dort allein den Shinkansen vorbehalten. Einer davon ist der Nozomi (»Hoffnung«), der schnellste aller Züge aus der Shinkansen-Reihe, der eilig Richtung Westen schießt – und wieder zurück.

Am Bahnhof kann man sich in der unterirdischen Mall kulinarisch noch stärken – in der Ramen Street oder an einer überwältigenden Auswahl an Bento-Lunchboxen. Dann geht es direkt zum Zug. (Auch wenn es in Japan sonst eher verpönt ist, unterwegs in der Öffentlichkeit zu essen: Proviant in den Fernzügen ist erlaubt, sofern er Mitfahrende nicht mit Geruch belästigt.) Die Türen öffnen sich. Ruhig, aber rasch steigen die Fahrgäste ein, das Gepäck muss sicher verstaut werden. Und schon währenddessen ertönt sekundengenau der Pfiff. Keine Verzögerungen!

Etikette und Regeln prägen generell das Miteinander in dem dicht besiedelten Land. Am wichtigsten ist die Rücksichtnahme auf andere. Im Shinkansen bedeutet das unter anderem: kein Handyklingeln, keine Videocalls, keine lauten Gespräche! Während der Schnellzug angenehm vor sich hin rauscht, kann man so in aller Ruhe das Land vor den Zugfenstern vorbeiziehen sehen.

Unterschätztes Nagoya

Auf dem Weg nach Westen bekommt man eine Ahnung, wie weit sich die Metropolregion ausbreitet. Auch danach gehen im ländlicheren Japan die Orte oft fast ineinander über. Nach rund 45 Minuten Fahrzeit kann man denn den Blick auf den Mount Fuji erhaschen – oder eben nicht.

Kurze Zeit später steht man schon auf dem Bahnsteig in Nagoya, der viertgrößten Stadt Japans. Touristen übersehen die Industriestadt gern, die auf den ersten Blick tatsächlich recht modern gesichtslos wirkt. Doch der Zwischenstopp lohnt sich – für eine kulinarische Exkursion und das »Nagoya meshi«, die Regionalküche von Nagoya, die japanweit bekannt ist.

Auf einer der Food-Touren bekommt man einen Einblick: von Kishimen, einer typischen, flachen Nagoya-Nudel-Variante, bis zu Miso-Oden, einem eintopfartigen Gericht mit einer dickflüssigen Miso-Sauce.

Unbedingt probieren sollte man auch Hitsumabushi, eine Aal-Spezialität. Die Fische werden dafür auf einem Holzkohlefeuer gegrillt und mit der knusprigen Haut – verfeinert mit Sake oder mit Sojasauce – in millimeterdünnen Scheiben auf Reis angerichtet. Wer einfach mit dem Essen loslegt, wird von den Japanern aber womöglich schief angeguckt.

Auch hier gibt es eine regelrechte Zeremonie: Hitsumabushi isst man in mehreren Portionen. Zunächst nur den Aal, dann mit Gewürzbeilagen wie grünen Zwiebeln, Wasabi und Nori-Algen. Bei der dritten Portion gießt man grünen Tee oder Fischbrühe zu.

Kaiserliches Kyoto

Nach den modernen Großstädten, in denen mehr nach vorn als zurück geschaut wird, verspricht Kyoto eine Reise in die Vergangenheit. In der einstigen Hauptstadt des Landes, die immerhin bis in das 19. Jahrhundert Sitz des kaiserlichen Hofes war, stehen Traditionen, Kultur und Geschichte im Vordergrund.

Nicht nur im charmanten Geisha-Viertel Gion, wo man durch Gassen mit traditionellen Holz- und Teehäusern streift und mit etwas Glück tatsächlich Geishas oder auszubildende Maikos entdeckt. Vor allem auch der Überfluss an Tempeln und Schreinen ist überwältigend. Ein Besuchermagnet ist der Fushimi Inari Taisha mit seinen etwa zehntausend Torii, den roten Tempeltoren, die die Pfade zum Schrein säumen. Der im 14. Jahrhundert errichtete Kinkaku-ji hingegen ist ein goldener Pavillon-Tempel, der aus dem wunderschönen Garten herausglänzt und sich in einem See spiegelt. Besonders prachtvoll ist Kyoto zur Zeit der Kirschblüte Ende März. Ganz gleich, ob man den Garten des ehemaligen Kaiserpalastes besucht oder über den sogenannten Philosophenweg spaziert: Zur Hanami-Zeit säumen Hunderte, vielleicht gar Tausende blühende Kirschbäume den fast zwei Kilometer langen Pfad entlang eines schmalen Kanals.

So eindrucksvoll die historischen Stätten sind: Tempelhüpfen macht müde – und hungrig. Gegen Letzteres hilft ein Abstecher zum Nishiki-Markt. Kyoto ist auch ein guter Ort für ein Kaiseki-Dinner, die japanische Haute Cuisine. Das Restaurant »Hyotei« am Nanzen-ji-Tempel, einst ein Teehaus, existiert seit 450 Jahren und die Atmosphäre dort atmet die Jahrhunderte. Das Menü bietet exklusive Kulinarkunst mit vielen Gängen: ästhetisch, fein, voller Details. Übernachtet wird passend auf ausgerolltem Futon auf Tatamimatten in einem luxuriösen, historischen Ryokan: dem »Seikoro«. Beim Besuch des Onsen kann man im heißen Wasser des Bades all die Eindrücke des Tages einsickern lassen. Übrigens: Wer zwischen Oktober und Dezember 2024 in Kyoto weilt, kann dort auch ein Pop-Up des weltberühmten Lokals »Noma« erleben.

Die Stadt der Rinder

Von Kyoto aus fährt man nur wenige Kilometer und schon gibt es den nächsten Grund für einen Zwischenstopp: Es wäre zu schade, nicht in Kobe anzuhalten – der Stadt, nach der das berühmteste Rindfleisch der Welt benannt ist. In einem der vielen Restaurants wird es vor den Augen zubereitet, bevor man es sich auf der Zunge zergehen lässt.

Überhaupt gibt es ständig Anlässe, um auszusteigen. Allerdings muss man dann entschleunigen und auf langsamere Züge umsteigen. Von Nagoya aus ist es etwa nur ein Katzensprung bis ins malerische Kiso-Tal mit seinen Orten aus einer anderen Zeit. Verlässt man in Okayama den Nozomi, ist es nicht weit bis nach Uno und zur Fähre nach Naoshima – einer Insel in der Seto-Inlandsee, die sich mit Galerien und Museen einen Namen gemacht hat.

Endstation Hiroshima

Der Nozomi zischt unermüdlich noch weiter nach Westen. Auf dieser Zugreise soll Hiroshima nach 821 Kilometern die Endstation sein. Bei dem Namen kommt einem sofort eines in den Sinn: die Detonation der von den US-Streitkräften abgeworfenen Bombe, die am 16. August 1945 um 8.16 Uhr die Stadt fast vollständig zerstörte. Viele Jahrzehnte später ist Hiroshima längst auferstanden, ein wichtiger Industriestandort, und trotz der finsteren Geschichte alles andere als bedrückend, sondern jung, modern, lebendig.

An die Katastrophe wird natürlich vielfach erinnert, etwa im Friedenspark. Eindringliches Mahnmal ist die einstige »Halle zur Förderung der Industrie«, die komplett ausbrannte und seitdem in dem Zustand mit der markanten, zerstörten Kuppel erhalten wird.

Ein geisterhaftes Bild und eine weitere, spannende Seite Japans – bevor man mit dem Shinkansen zurückkatapultiert wird in den wilden Rausch der Weltstadt Tokio.

Tipps & Adressen

Tokio

Tokyo Ramen Street
Nicht nur zum Stärken vor der Abfahrt im Shinkansen: In der »Tokyo Ramen Street« in der Mall unter der Tokyo Station hat man die Qual der Wahl zwischen acht Restaurants mit unterschiedlichen, köstlichen Nudelsuppen.

1-9-1 Marunouchi, Chiyoda-ku, 100-0005 Tokyo
tokyoeki-1bangai.co.jp/street/ramen/en

Nagoya

Specialities of Nagoya Food Tour
Von Hitsumabushi bis Miso Nikomi Udon – die Küche Nagoyas bietet viele regionale Besonderheiten. Die Food Tour ist eine Möglichkeit, den Geschmack dieser Großstadt kennenzulernen.

info@nagoyaisnotboring.com, nagoyaisnotboring.com

Kyoto

Kikunoi Honten
Ein eleganter Garten und ein gut ausgestatteter Zeremonienraum sorgen für das passende Ambiente für die Kaiseki-Menüs von Küchenchef Yoshihiro Murata. Hier werden Tradition und Innovation in Einklang gebracht. Dafür gab es zuletzt drei Michelin-Sterne.

Higashiyama Ward, Shimokawarcho, 605-0825, Kyoto
T: +81 75-561-0015, kikunoi.jp

Hyotei
Die Geschichte des »Hyotei«-Restaurants reicht rund 450 Jahre zurück. Genauso atemberaubend ist die Küche mit ihren kunstvollen Kaiseki-Menüs, für die Michelin drei Sterne vergeben hat.

35 Nanzenji Kusagawacho, Sakyo-ku, 606-8437, Kyoto
T: +81 75 771 4116, hyotei.co.jp

Seikoro
Traditionell japanisch übernachtet man im charmanten, historischen Ryokan »Seikoro«. In den Zimmern wird Frühstück und Dinner im Kaiseki-Stil serviert. Zudem gibt es natürlich auch, wie in Japan üblich, ein Onsen, ein Bad für Gäste.

467 Nishitachibana-cho, Higashiyama-ku, 605-0907, Kyoto
T: +81 75 561 0771, seikoro.com

Nishiki-Market
Überdachter, rund 400 Jahre alter Markt mitten in Kyoto. Schon die Auslagen der weit mehr als 100 Händler zu erkunden, ist spannend. Vor allem kann man dort aber auch sehr gut essen – von Sushi bis Okonomiyaki.

609 Nishidaimonjicho, Nakagyo-ku, 604-8055, Kyoto
T: +81 75 211 3882, kyoto-nishiki.or.jp

Japan Guide Agency
Um mehr über die reiche Historie Kyotos zu erfahren, lohnt sich eine geführte Tour. Die Japan Guide Agency bietet unterschiedliche private Touren mit englischsprachigen Guides durch die Stadt an.

booking@j-g-a.org, j-g-a.org/kyoto.html

Kobe

Steak House Mouriya Lin
In der Stadt Kobe muss man einfach aussteigen. Und sei es nur, um das berühmteste Rindfleisch der Welt zu probieren. Im Teppanyaki Restaurant »Mouriya Lin« werden die herausragenden Steak-Spezialitäten direkt vor der Nase gebraten.

Queen’s Court Bldg. 2F, 1-9-8 Kitanagasadori, Chuo-ku, Hyogo-shi, 650-0012, Kobe
T: +81 78 325 5182, mouriya.co.jp/lin

Hiroshima

The Knot Hotel
Die Zimmer im sehr zentral gelegenen »The Knot« sind schlicht, hübsch und modern. Es gibt auch eine Dachterrasse mit Bar und toller Aussicht über die Stadt.

3-1-1 Otemachi, Naka-ku, Hiroshima-shi, 730-0051, Hiroshima
T: +81 570 009 015, hotel-the-knot.jp/hiroshima/en

Nagataya
In Hiroshima sollte man auf jeden Fall die regionale Variante der Okonomiyaki probieren. Das »Nagataya« ist auf die herzhaften Omelettes spezialisiert, die es auch mit Austern, Tintenfisch und Meeresfrüchten gibt.

1-7-19 Otemachi, Naka-ku 1F, Hiroshima-shi, 730-0051, Hiroshima
T: +81 82 247 0787, nagataya-okonomi.com

Peace Tour auf dem Rad
Radfahren in Japan und dabei die wichtigen Sehenswürdigkeiten sehen? Das kann man in Hiroshima auf einer Tour von Sokoiko Cycling,
die unter anderem auch zum Peace Park und dem Peace Museum führt.

T: +81 90 4804 7477, sokoiko-mint.com/en

Shimada Fisheries Oyster hut
Austern sind eine Spezialität in Hiroshima. Viel frischer als in der »Shimada Fisheries Oyster Hut« direkt am Meer bekommt man sie sicher kaum. Dort werden sie gegessen, wo sie geerntet werden. Und die Insel Miyajima sieht man auch.

1-2-6 Miyajimaguchi Nishi, Hatsukaichi, Hiroshima-shi, 739-0412, Hiroshima
T: +81 829 30 6356, shimadasuisan.com


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Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2024

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Sascha Rettig
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