Erfrischte Tradition: Theresa Breuer

Mit gerade mal 20 Jahren trat sie die Nachfolge ihres Vaters an – und steigerte die Qualität.

Gestern Sydney, morgen Oslo. Dazwischen, für einen Tag, Rüdesheim, zu Hause: Theresa Breuer schließt die Tür zum Keller auf und bugsiert einen hölzernen Flaschenträger samt einem halben Dutzend Flaschen die steinernen Treppenstufen hinab. Unten fragt sie: »Ist es okay, hier zu verkosten?« Skeptisch mustere ich das doppelt geschlungene Halstuch, mit dem sich die junge Frau gegen das Kellerklima gewappnet hat. Über einem T-Shirt mit gruftigem Skelett-Muster trägt sie einen langen Cardigan.

Ich lege meinen Schal ab und setze mich, denn extrem kalt ist es hier unten tatsächlich nicht. Wir sitzen nicht im Fasskeller, sondern in einem Gewölbe, das für Proben genutzt wird. Und auf diese bin ich nun tatsächlich sehr gespannt. Denn als ich das letzte Mal hier war, saß ich noch mit Bernhard Breuer in einem anderen Teil des Hauses. Das war wenige Monate vor seinem plötzlichen Tod im Mai 2004. Theresa Breuer, damals gerade erst 20 Jahre alt, fand sich von heute auf morgen in der Verantwortung für eines der angesehensten Rheingauer Güter wieder.

Routine und Autorität
Zwölf Jahre später ist Theresa Breuer immer noch eine junge Frau – doch gleich­zeitig strahlt sie Routine aus und eine natürlich gewachsene Autorität. Eine Autorität, die sich nicht zuletzt darin zeigt, dass sie Bewährtes so lassen kann, wie es ist. So etwa bei Terra Montosa, jener Cuvée aus Rüdesheimer Lagen und Rauenthaler Nonnenberg, die gerade im 25. Jahrgang auf den Markt gekommen ist und die wie eh und je abhängig vom Jahrgang mal diesseits, mal jenseits der »Trocken-Grenze« von neun Gramm Restzucker pro Liter steht. »Wir haben ja keine Temperatursteuerung im Keller«, erklärt Breuer die Beständigkeit des Wechselhaften, »nur einen kühlen Keller mit kleinen Fässern, in denen die Temperatur auch ohne Zutun nie zu stark ansteigt. Da gären manche Gebinde auf null durch und andere stoppen bei 10 Gramm oder darüber. So lässt sich dann das Puzzle legen.«

Das 2014er-Puzzle lässt ein wenig Holz anklingen und wirkt insgesamt reich und rund abgestimmt – ein charmanter Kontrapunkt zu den beiden Estate-Ortsweinen, von denen sich der Rüdesheimer zart und feingliedrig, der Rauenthaler straff und bissig probiert. »Beim Rauenthaler Ortswein, der übrigens zu 90 Prozent aus dem Nonnenberg stammt, muss man Spaß an Sperrigem haben«, lacht Breuer – und zeigt deutlich, dass sie selbst diesem Lager angehört.

Weingut Breuer: beste Lagen auf dem Schiefer des Rüdesheimer Bergs. / Foto beigestellt

Was hat sich verändert?
Natürlich stelle auch ich die Frage, die Theresa Breuer wahrscheinlich schon tausendmal gehört hat: Was hat sie verändert gegenüber der Arbeitsweise ihres Vaters? Überlegen muss sie kaum: »Das kann ich gar nicht richtig beantworten, denn ich habe ja mit meinem Vater nie zusammen gearbeitet.« Dann spricht Therasa Breuer aber trotzdem davon, dass »die Aufgabenstellungen heute andere« seien als früher. »Wir haben uns, seitdem Papa gestorben ist, von 28 auf 34 Hektar vergrößert – weil gute Angebote da waren und wir wussten, so was kommt nicht wieder.« Zudem wird der gesamte Weinberg heute nach Öko-Standard bewirtschaftet. Hermann Schmoranz, der schon Bernhard Breuers rechte Hand war, fungiert als Betriebsleiter und kümmert sich inzwischen vor allem um die Weinberge. Im Keller ist mit Markus Lundén jemand zugange, der den Betriebsstil seit seiner Lehrzeit im Hause Breuer verinnerlicht hat.

Subtile Veränderungen
Bei so viel Kontinuität kann es nicht erstaunen, dass die Veränderungen an der Stilistik der Weine eher subtil als plakativ ausfallen. Wer die markantesten Zeichen der neuen Zeit sucht, findet sie beispielsweise darin, dass die 2013er- und 2014er-Weine vom Berg Roseneck derzeit komplett zurückgehalten werden. Erst mit fünf Jahren Reife sollen sie auf den Markt kommen. Der 2012er, den ich im Glas schwenke, beginnt grade erst, seine Schiefer-Charakteristik zu offenbaren. Auch die für die Lage so typischen floralen Aromen findet man nur in Ansätzen – der Wein hat seine besten Jahre noch vor sich. Und selbst beim 2008er, den Theresa Breuer nachschenkt (»Uuuu, hat der sich anfangs schlecht verkauft. Hölle!«) hat man den Eindruck, dass bei aller kräuterigen, lakritzartigen Würze die stoffigen Reserven noch lange nicht aufgebraucht sind.

Schlichte Eleganz mit Akzenten in Türkis: Breuer-Vinothek in der Grabenstraße in Rüdesheim. / Foto beigestellt
Schlichte Eleganz mit Akzenten in Türkis: Breuer-Vinothek in der Grabenstraße in Rüdesheim. / Foto beigestellt

Auch bei Bernhard Breuer stand die Reifebeständigkeit der Weine stets im Zentrum, doch Theresa Breuer hat diese stilistische Idee konsequent weitergedacht. Und dies nicht durch einen Hang zur Nachahmung, sondern aufgrund eigener Erfahrungen: »An 2004 habe ich keine Erinnerung mehr, 2005 lief so von der Hand, aber 2006 war ganz fürchterlich. Da sind wir uns die ganze Zeit selbst hinterhergelaufen.« Es war der Bo­­trytis-Herbst, in dem auch noch der letzte Zweifler einsehen musste, dass sich die Witterung verändert: hin zu mehr Wärme, hin zu extremen Wetterlagen. »Seither bin ich lieber etwas zu früh dran, das war ein Schlüssel­erlebnis. Mein Vater hat die Lese mehr aus­gereizt, er hat den Charme der Zuckerreife noch anders wahrgenommen. Heute würde er es vielleicht auch anders machen.«

»Die Lese ist meine heilige Zeit.«
Und dann sagt Theresa Breuer so einen Satz, wie ihn nur wenige Winzer ohne akute Verkitschungsgefahr aussprechen können: »Die Lese ist meine heilige Zeit.« Ihr nimmt man diese Aussage und auch die Nachdrücklichkeit ab. Auch, weil gleich eine persönliche Erklärung folgt, die das Auge für den Beitrag der anderen erkennen lässt: »Es ist etwas gemein, wenn ich im Herbst komme und sage: Jetzt habe ich das Sagen. Aber ich bin komplett draußen während der Lese. Das Reinkommen in den Weinberg hilft enorm bei der Entscheidung, wann man wo liest. Das umfasst alle Sinne, gerade in den Berg­lagen, wo ja nur Weinberg ist und nichts anderes: wie die Reben und das Laub aus­sehen, wie sich das Laub anfasst.«

Die meisten anderen Entscheidungen treffen Breuer, Schmoranz und Lundén zu dritt, sie erstellen Cuvées gemeinsam und die Pläne für den Rebschnitt. »Nur beim Spritzplan misch’ ich mich nicht ein«, sagt die Absolventin des Geisenheimer Studiengangs für internationale Weinwirtschaft.

Ein Manifest in Flaschen
Im Glas steht der 2013er Rüdesheimer Berg Schlossberg: Mit schmalen 83 Oechsle gelesen, bringt er es auf 11,5 Volumenprozent Alkohol. Ein immens verschlossener Wein, der am Gaumen stahlig und dennoch fein wirkt, hoch verdichtet, zupackend und lang, mit einer Mineralität, die einen trifft wie ein elektrischer Schlag. Ein Manifest in Flaschen. Das Begeisternde an Theresa Breuers Art, dieses Weingut zu führen, ist, wie kongenial sie dem Markenkern nachspürt, ihn aufnimmt und weiterträgt. Dabei verleiht ihre – wenn man so sagen kann – reflektierte jugendliche Unbekümmertheit der Tradition den höchsten Glanz, den diese bekommen kann: denjenigen einer Erfrischung. So, dass sich das Alte nicht überholt und dennoch mit einer neuen Epoche in Einklang gerät.

Theresa Breuer auf der Falstaff Wein Trophy 2016:

Von Ulrich Sautter
Aus Falstaff Deutschland 2/2016

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland