Das biologisch-dynamisch wirtschaftende Weingut Bürklin-Wolf nutzt Pferdestärken zum Pflügen des Kirchenstücks.

Das biologisch-dynamisch wirtschaftende Weingut Bürklin-Wolf nutzt Pferdestärken zum Pflügen des Kirchenstücks.
© Stockfood

Forster Kirchenstück: Ein Stück vom Glück

Der teuerste Weinberg der Pfalz liegt hinter der Dorfkirche von Forst: Schon vor 200 Jahren füllte das Kirchenstück den Säckel der Landesherren. Kostbar ist dieser Weinberg auch heute noch.

Gut fühle es sich an, sagt Pfarrer Bernhard Braun, in der Kirche Sankt Margareta zu stehen und zu predigen, mit diesem wunderbaren Weinberg draußen vor dem Gotteshaus. »Sie wissen ja sicher, dass das Forster Kirchenstück schon im 19. Jahrhundert durch die bayerische Steuerverwaltung zur teuersten Lage der Pfalz wurde.« In der Tat, im Jahr 1828, als die Pfalz noch zum Königreich Bayern gehörte, katalogisierte der Fiskus die Weinberge seiner Untertanen – und machte das Kirchenstück (damals noch »Kirchenbuckel« genannt) mit einem Besteuerungsfaktor von 100 zum Maß aller Dinge. Der Steuersatz fürs Kirchenstück lag gut anderthalbmal so hoch wie bei der zweitbesten Pfälzer Lage, dem direkt angrenzenden Jesuitengarten – und drei- bis viermal so hoch wie bei einem Durchschnittsweinberg.

Einzigartiges Substrat

Dabei gehört das Kirchenstück zu jenen Weinbergen, deren Exzellenz sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Es handelt sich weder um eine Steillage noch um einen Terrassenweinberg, das Gelände fällt von halber Höhe des Haardtrands aus flach zum Ort hin ab. Selbst die Mauern, die das Kirchenstück umgeben, haben etwas ausgesprochen Unspektakuläres, denn sie reichen nicht sehr hoch, an den meisten Stellen umfrieden sie gar nicht den Weinberg selbst, sondern sie fassen eher den Boden ein – so, als formten sie einen gigantischen, dreieinhalb Hektar großen Blumentopf

Diese Fürsorglichkeit für den Boden des Kirchenstücks kommt nicht von ungefähr, denn das Substrat ist wirklich einzigartig: Es besteht aus einer Mischung aus schwarzem Basalt, rotem und gelbem Buntsandstein und weißem Kalk. Die Gesteinsstückchen sind zuweilen so klein, dass man ­versucht ist anzunehmen, sie seien das Ergebnis menschlicher Einwirkung. Zudem verbindet eine schmale, rinnenförmige Vertiefung das Kirchenstück mit dem Pfälzer Wald. Über diesen Miniatur-Kanal dürften jahrtausendelang immer wieder Fragmente des Buntsandsteins von der Haardtkante und Basalttrümmer aus dem nahe gelegenen Pechsteinkopf angeschwemmt worden sein. Zu guter Letzt liegt auch noch unsichtbar in etwa zwei Metern Tiefe unter dem Weinberg eine Kalkbank

Kultwein

»Das Kirchenstück ist auch der einzige Weinberg in Forst, der in Nord-Süd-Richtung gezeilt ist«, kennzeichnet Steffen Brahner vom Weingut Bürklin-Wolf die klein­klimatische Situation des Kirchenstücks. Schon lange vor Global Warming verspürten die Winzer offenbar das Bedürfnis, an diesem Sweetspot des Hangs die Sonnen­einstrahlung zu begrenzen. Außerdem, so Brahner weiter, sei auch die Luftströmung einzigartig. Denn abends beginne regelmäßig ein Bergwind hangabwärts zu streichen, am Kirchenstück kanalisieren die nach Norden hin etwas höheren Weinbergmauern und die Gebäude des Orts den Luftstrom, und oberflächliche Feuchtigkeit ­wird aus den Reben hinausgetragen. 

Dennoch ist das Kirchenstück auch keine besonders trockene Lage. »Der Boden ist vergleichsweise schwer«, sagt Stephan ­Attmann vom Weingut von Winning, »viel weniger vom Buntsandstein geprägt als andere Lagen der Region. Man findet rötlichen Ton und – im Vergleich zu den anderen Forster Lagen – sehr kleine Basaltsteine. In einer Handvoll Boden hat man Hunderte Basaltsplitter, die meisten nicht größer als ein Stecknadelkopf.«

Es ist eben wie immer bei absoluten Ausnahmeweinbergen ein Zusammentreffen vieler Kleinigkeiten, das die Sonderstellung ausmacht. Und auch im Geschmack eines typischen Kirchenstücks vereinen sich viele Eigenschaften: ein komplexer brenzlig-mineralischer Duft mit einer zurückhaltenden Fruchtigkeit, ein dichter, ungemein fein texturierter Extrakt mit einem delikaten Säurefaden, Fülle mit Kühle, Frische mit Reifevermögen, Noblesse mit Einfachheit. »Kirchenstück ist gleich Kultwein«, meint Anna-Barbara Acham, deren Anwesen direkt an die Kirche und also auch an die Lage grenzt. »Fertig. Alles gesagt.« Dann öffnet sie ein 2007er-Kirchenstück und lässt den Wein sprechen – und wie: Er ist voll und fein, beginnend reif und trotzdem voller Spannkraft und Elan.

Währenddessen erzählt Acham, wie ihre Familie 1934 ihre direkt hinter dem Haus gelegene Kirchenstück-Parzelle an von Buhl verkaufte, und wie es ihr gelang, 1999 ein anderes Flurstück zurückzukaufen. Als ­sich eine Forster Familie von ihrer Kirchenstück-Parzelle trennen wollte, entstand ein Bietergefecht, in dessen Verlauf die Verkäuferin zum Schluss das höhere Angebot eines Mitbewerbers ausschlug, um das Land in den Besitz Anna-Barbara Achams und damit einer Forster Nachbarin zu geben. Wenn es stimmt, dass der Winzer Teil des Terroirs ist, sagt diese Geschichte sehr viel aus über das Forster Terroir und über das Kirchenstück.

Acht Eigentümer - oder neun?

Insgesamt gibt es nur acht produzierende Eigentümer in den 3,67 Hektar des Kirchenstücks: Neben den drei Niederberger-Weingütern Bassermann-Jordan, von Winning und von Buhl sind das: Bürklin-Wolf, Acham-Magin, Heinrich Spindler, Eugen Müller und der Forster Winzerverein. Fünf der acht Betriebe produzieren in Bio-Qualität: Bassermann und Buhl, Bürklin (bio-dynamisch), Acham und Spindler. Letztere beiden Betriebe gehören zu den wirklich alteingesessenen in Forst, Familie Spindler erwarb ihren Teil am Kirchenstück im Jahr 1656, und die Vorfahren von Anna-Barbara Acham eröffneten 1712 jenes Gasthaus, das heute noch als Gutsausschank weiter existiert. Erfreulicherweise ersticken beide Betriebe nicht in ihrer Tradition, sondern werden klug und zeitgemäß geleitet und produzieren Spitzenweine, die sich vor den großen Namen nicht verstecken müssen.

Das Weingut Eugen Müller ist in den 1930er-Jahren aus einer Küferei hervorgegangen. In den letzten Jahren hat der junge Stephan Müller die Qualität deutlich gesteigert: Mit längeren Mazerationszeiten der Maische und Holzfasseinsatz strebt er danach, wie er sagt, »innere Tiefe statt Alkohol« hervorzubringen. Mit Erfolg! Darüber hinaus ist Müller der einzige Betrieb, der aus dem Kirchenstück auch einen edelsüßen Wein bereitet: In guten Jahren gibt es eine Auslese, die bezaubernd leichtfüßig daherkommt und der Lage keine Schande macht. 

Träumen darf man

Zurück in die Kirche Sankt Margareta und zu Pfarrer Bernhard Braun. Braun steht auch der Gemeinde im Nachbarort Deidesheim vor – und leitet damit auch Deutschlands einziges Pfarrweingut, mit Weinbergen im Deidesheimer Herrgotts­acker und im Ruppertsberger Reiterpfad. Kein Wunder, dass er mit einem besonderen Blick auf den freien Grasstreifen hinter der Forster Kirche und am Übergang zu den Reben blickt. »Eigentlich gehört uns auch was vom Kirchenstück, das Gelände bis zum ersten Wirtschaftsweg ist Besitz der Kirche. Zwei oder drei Zeilen Riesling würden sicher draufpassen. Ich hab’ schon manches Mal drüber nachgedacht, aber ­der Aufwand ist vielleicht doch zu hoch.« Dann setzt er nach: »Aber träumen darf man.« Da möchte man als froher Genießer dem weinkundigen Geistlichen zurufen: »Tun Sie’s, Pfarrer Braun!« Von einem solchen Glück verdient es auch das kleinste Stück, geborgen zu werden.

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2020

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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