Ein Prachtexemplar von einem Waldpilz: Mehrere hundert Arten wachsen in unseren Wäldern – man muss sie nur finden.

Ein Prachtexemplar von einem Waldpilz: Mehrere hundert Arten wachsen in unseren Wäldern – man muss sie nur finden.
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Hut ab! Warum man jetzt Pilze sammeln sollte

In unseren Wäldern wachsen mehrere hundert Arten von wilden Speisepilzen. Für eine Sammeltour ist jetzt die richtige Zeit – und wer ein paar Regeln beachtet, kann großartige kulinarische Entdeckungen machen.

Die Chance auf einen Sechser im Lotto liegt bei eins zu mehreren Millionen. Trotzdem glauben unzählige Menschen daran, in der nächsten Ziehung den Jackpot zu knacken. Als Pilzsammler an einer Vergiftung zu sterben, ist leider deutlich wahrscheinlicher – und gleichzeitig den Sammlern selbst nicht immer klar. Riskant wird es, wenn man sich unbedarft und mit wenig (oder vermeintlichem) Vorwissen in den Wald begibt.

Erfahrung bringt SIcherheit

Artikel 1 Absatz 1 des »Pilzsammel-Grundgesetzes« lautet deshalb: Nimm nur Pilze mit, die du aus dem Effeff kennst. Und die du sicher bestimmen kannst. Dafür reichen keine Pilze-App und kein Handbuch, das geht nur über jahrelange Erfahrung. Wenn man keine hat, lieber einen erfahrenen Sammler begleiten. Oder, was noch besser ist, die Ausbeute einem Experten zeigen, von denen es in vielen Orten einen gibt.

Man muss eine solche Einleitung vorwegschicken, denn jedes Jahr um diese Zeit häufen sich die Meldungen über tödliche Pilzvergiftungen, die auf Unwissen oder Überschätzung beruhen. Nicht wenige Pilze, gerade auch gesuchte Speisepilze, haben Doppelgänger, die im günstigen Fall »nur« scheußlich schmecken oder Magenbeschwerden verursachen, im schlimmsten Fall aber zum Tod führen. Deshalb noch einmal die eindringliche Warnung, nicht leichtsinnig zu sein. Lieber einmal mehr fragen.

Hunderte Sorten essbar

Wer das beherzigt, darf sich auf fantastische Stunden freuen, denn Pilzesammeln ist bekanntlich die reine Freude. Große Entdeckungen sind zu machen, lässt man Champignon-Land hinter sich und nähert sich weniger bekanntem Terrain. Warum immer die gleichen drei Pilze essen, wenn es so viel mehr auszuprobieren gibt? Allein in Mitteleuropa wachsen Hunderte Arten von Speisepilzen, deren Namen nur Kennern geläufig sind. Unbedingt merken sollte man sich: Krause Glucke, Flockenstieliger Hexenröhrling, Parasol, Roter Edelreizker, Schopftintling, Herbsttrompete und die Espenrotkappe – um nur ein paar zu nennen.

Es braucht nicht viel, um wohlschmeckende Beute zu machen. Früh aufstehen, Korb und Messer in die Hand (siehe »Dos and Don’ts«) und hinein in den duftenden Wald, die Augen stets auf den Boden geheftet. Christopher Wilbrand macht das zum Beispiel. Für sein Restaurant »Zur Post« in Odenthal im Bergischen Land sammelt der Sternekoch Pilze aus dem umliegenden Wald. Bestens gelaunt erzählt er, wie er kürzlich den »seltenen Sommersteinpilz« gefunden hat. Mit der Freude ist er nicht allein: Häufig schwingt Finderstolz über die Entdeckung mit – wer Pilze sammeln geht, begibt sich immer auch auf Schatzsuche.

Wo genau man fündig wird, verrät natürlich kein Sammler gern. Generell gilt: Pilze wachsen in Symbiose mit anderen Pflanzen und Bäumen. Röhrlinge, zu denen auch die Steinpilze gehören, kann man etwa in der Nähe von Fichten oder in Buchen-Mischwäldern finden. Allerdings greift eine solche Generalisierung zu kurz, sie wachsen auch an vielen anderen Orten.

Umami-Schub fürs Essen

Muss man auf dem Land wohnen, um in den Genuss selbst gesammelter Pilze zu kommen? Nicht unbedingt. »Sie müssen einfach aus der Stadt rausgehen – was glauben Sie, was Sie alles in den Wäldern finden«, sagt Tarık Baltacı, der wahrscheinlich beste Pilzhändler Deutschlands, der das ganze Jahr hindurch auf dem Isemarkt in Hamburg seine Ware verkauft. Für den Fall, dass man fürs Sammeln gerade keine Zeit hat, kann man jedem nur wünschen, einen wie ihn zu haben. Denn nur selten gelingt eine warme Feinschmecker-Mahlzeit so schnell und simpel wie mit Pilzen. Die Zubereitung ist einfach: heiß in Öl anbraten (vorher dämpfen ist auch eine gute Idee), damit sich die Poren schließen. Dann ein wenig Salz darüberstreuen, am Ende vielleicht noch kurz in Butter schwenken, fertig. Besser geht es kaum.

Woran es liegt, dass Pilze so gut schmecken? Pilze sind Umami-Bomben. Sie erzeugen jene Geschmacksrichtung, die in Japan entdeckt wurde und mittlerweile neben süß, salzig, bitter und sauer anerkannt ist. Umami steht für Intensität und Wohlgeschmack – praktisch ein Boost für jedes Essen. Probieren Sie es aus: Ein Pesto schmeckt vollmundiger, würziger und intensiver, wenn es neben klassischen Zutaten wie dem ebenfalls umamilastigen Parmesan, Kräutern, Öl und Nüssen auch eine gute Portion gebratener Pilze enthält.

Pilz vs. Fleisch

Der Geschmack der genannten Wildpilze übertrifft den von Kräuterseitlingen, Champignons und weiteren Zuchtpilzen um ein Vielfaches. Bei richtiger Zubereitung führen Pilze sogar Fleischesser hinters Licht. Als Klassiker gilt der Parasol mit großem Schirm: Paniert und mit einem Spritzer Zi­tronensaft hat dieser Pilz Schnitzelqualitäten. Seit die Popularität von Fleisch abnimmt und systematisch nach Ersatz gesucht wird, ist der Wert von Pilzen noch einmal gestiegen: Die Biotech-Firma Mushlabs in Berlin forscht an Fleischersatz aus Myzel, also dem Wurzelgeflecht unterhalb des Fruchtkörpers, den man üblicherweise sammelt. Wer sich noch nicht ganz umstellen möchte, sollte die Pattys von Rebel Meat aus Wien probieren, die nur zur Hälfte aus Fleisch und zur anderen Hälfte aus Kräuterseitlingen und Hirse bestehen.

Doch ehrlich gesagt: Fleisch wird komplett verzichtbar angesichts solcher Konkurrenz. Insbesondere, weil das Sammeln, die Zeit in der Natur, ein Wert für sich sind. Weitere Inspirationen gefällig? Safranschirmlinge, Stockschwämmchen, Perlpilz, Kaiserlinge … Wer davon kostet, wird den Geschmack nicht mehr missen wollen.

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2020

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Philipp Elsbrock
Philipp Elsbrock
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Von Redaktion