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Mehrwertsteuer-Debatte: Gastronomie warnt vor Massenschließungen

Ein kulinarischer Teufelskreis droht: Die geplante Mehrwertsteuererhöhung für Restaurants und Verpflegungsdienstleistungen ab 2024 gefährdet Deutschlands Gastgewerbe. Gastronome warnen vor dem Aus – und kämpfen wieder einmal um ihre Existenz.

»Geselligkeit muss ein Grundrecht bleiben«, heißt es in der Forderung der Burger-Kette »Hans im Glück«. Das klingt nicht nur dramatisch – wenn man den Gastronominnen und Gastronomen hierzulande weiter zuhört, geht es – wieder einmal – um Existenzen.

Ein Schuldiger an der ganzen Misere scheint schnell gefunden: Die Politik – obwohl sie Monate zuvor der Retter in der Not war. Aber, worum geht es überhaupt? Durch das Corona-Steuerhilfegesetz vom 19.06.2020 wurde der Mehrwertsteuersatz für Gastronomiebetriebe vom 01.07.2020 befristet bis zum 30.6.2021 von 19 Prozent auf sieben Prozent gesenkt. Die wirtschaftlich stark gebeutelte Branche sollte damit entlastet werden. Die Bundesregierung legte zweimal nach und verlängerte die Absenkung. Damit soll zum Jahresende Schluss sein. Ab 2024 gelte dann für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen wieder der reguläre Steuersatz von 19 Prozent auf Speisen – auf Getränke galt die Ermäßigung nie.

Eine Krise folgt der nächsten

Eine fatale Entscheidung, findet auch Oliver Röder, Sternekoch, Besitzer zweier Restaurants (Burg Flamersheim, Euskirchen) und Präsident der »Jeunes Restaurateurs Deutschland« (JRE). Glaubt man der von der Vereinigung initiierten Petition »Gemeinsam für den Erhalt der Gastronomie: Stoppt die Mehrwertsteuererhöhung!«, droht einer Vielzahl der knapp 150.000 gastronomischen Betriebe in Deutschland das »endgültige Aus«. Eine Befürchtung, die auch Röder teilt. Im Gespräch mit Falstaff wird schnell klar, dass sich die Gastronomie noch lange nicht von den Krisen der letzten Jahre und Monate erholt hat: Auf die Einschränkungen durch die Pandemie folgten steigende Energie- und Erzeugerpreise, der akute Fachkräftemangel, Forderungen nach höheren Löhnen und die Inflation – vor allem bei Lebensmitteln. Diese lag im April 2023 bei 17,2 Prozent.

Oliver Röder, Präsident der »Jeunes Restaurateurs Deutschland«
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Oliver Röder, Präsident der »Jeunes Restaurateurs Deutschland«

Selbst die inflationsbereinigten Umsätze liegen laut Daten des Statistischen Bundesamtes nach wie vor unter dem Vor-Corona-Niveau. Seit Beginn der Pandemie mussten mehr als 36.000 steuerpflichtige Unternehmen im Gastgewerbe schließen, also rund 16 Prozent. Um genauso viel Prozent ist der Umsatz der Betriebe, im Vergleich zu Anfang 2019 eingebrochen. Die knapp 150.000 Übriggebliebenen müssen nun ein weiteres Mal um ihre Zukunft bangen und kämpfen – wenn sie denn die Ressourcen dafür haben. Nach den Problemen und Herausforderungen der letzten Jahre seien viele von Röders Kolleginnen und Kollegen an dem Punkt: »Jetzt reicht's«. Diese Perspektivenlosigkeit betreffe vor allem Gastronominnen und Gastronomen in ländlichen Gebieten: »Zehn machen zu, und vielleicht einer auf«, erzählt Röder.

Was die Erhöhung für seine Gäste bedeuten würde, hat er schon einmal durchgespielt: »Theoretisch müssten die zwölf Prozent direkt an den Gast weitergegeben werden«. Kurzerhand wurden auf einer Karte alle Preise um zwölf Prozent teurer. Obwohl der Gastronom von seinen Gästen den Eindruck hat, dass sie sich höhere Preise leisten könnten, schluckten viele bei dem Anblick. Was vielen nicht bewusst sei: Nur dank der sieben Prozent seien die gestiegenen Kosten der letzten Monate nicht 1:1 auf den Gast übertragen worden. »Wenn die Erhöhung kommt, werden wir das an der Quantität der Gäste merken«, ist sich Röder sicher.

»Es geht auch um die Gastronomieangebote in Schulen oder Pflegeheime – und damit um die Grundversorgung«

Die Petition verdeutlicht seine Befürchtung: »Restaurantbesuche würden für große Teile der Bevölkerung unerschwinglich werden. Dies hätte nicht nur negative Auswirkungen auf die Kulinarik und das soziale Leben, sondern auch auf die Beschäftigungssituation in der Branche. Weniger Gäste bedeuten weitere Umsatzeinbußen, und leere Tische führen zu Insolvenzen.« Ein Teufelskreis.

Aber nicht nur die Quantität der Gäste würde sinken, Röder befürchtet auch eine Abnahme der Qualität der verarbeiteten Lebensmittel. Ein Punkt, bei dem der Gastronom wütend wird: »Momentan kaufen wir die Lebensmittel für sieben Prozent ein und verkaufen sie für sieben Prozent weiter« – für Lebensmittel gilt der ermäßigte Steuersatz – »warum sollten wir sie teurer verkaufen als einkaufen?«, fragt er sich. Schließlich sei Essen ein Grundbedürfnis und Gastronominnen und Gastronomen »haben damit auch einen gewissen Grundversorgungsauftrag – wir machen uns für unsere Gäste stark«. Die Gastronominnen und Gastronome selbst könnten aus den niedrigeren Steuern kein Profit schlagen. Den Kampf, den sie aktuell führen, sei primär einer für die Gäste und die Gesellschaft – darauf versuchen sie aufmerksam zu machen und hoffen auf deren Unterstützung.

Ein Irrglaube der Politik sei deshalb auch der Gedanke, mit der Anhebung wirtschaftliche Vorteile für das Land zu erzielen. Die Erhöhung führe letztlich nur zu Schließungen und dazu, dass sich niemand mehr den Besuch im Restaurant leisten kann. Das Resultat: Die Inflation würde weiter angeheizt. 

Vertrauen in die Politik

Was Röder besonders wütend macht: Bundeskanzler Olaf Scholz, im September 2021 noch Finanzminister, sprach sich in der ARD-»Wahlarena« für die dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer in der Branche aus. »Das schaffen wir nie wieder ab«, so Scholz in der Sendung. »Wenn solche Aussagen getroffen werden, muss man auch dahinterstehen«, fordern Röder und seine Kolleginnen und Kollegen. Es gehe auch um das Vertrauen in die Politik. Jetzt könne man noch dagegen steuern. Petitionen der »JRE«, des »DEHOGA Branchenverbands« oder Brandbriefe wie die von »Hans im Glück« geben nur einen kleinen Vorgeschmack, was es für die Gesellschaft bedeuten würde, sollte die Steuererleichterung zum Jahresende auslaufen. Vielen sei zudem nicht bewusst, dass nicht nur Restaurants oder Cafés betroffen sind, sondern auch Verpflegungsdienstleistungen wie Kantinen »und damit auch die Grundversorgung«, verdeutlicht Röder.

Oliver Röder mit seinen Vorstandskollegen Andreas Widmann (Vize-Präsident) und Markus Pape (Schatzmeister)
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Oliver Röder mit seinen Vorstandskollegen Andreas Widmann (Vize-Präsident) und Markus Pape (Schatzmeister)

Es scheint zumindest so, als wüssten die Gastronominnen und Gastronomen, wie sie die richtigen Emotionen auslösen können – buchstäblich über den Tellerrand hinaus. Im offenen Brief von »Hans im Glück« wird der anstehende Besuch beim Stammitaliener nicht umsonst als der möglich letzte dramatisiert. »Die Gastronomie ist das, was uns verbindet«, schreibt das Unternehmen auf seiner Website.

Hilft den unteren Einkommensschichten kaum

Fast emotionslos klingt die Gegenseite. Ökonom Dr. Stefan Bach vom »Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung« (DIW) findet die dauerhafte Senkung nur schwer begründbar: »Sie entlastet nicht den lebensnotwendigen Konsum und hilft den unteren Einkommensschichten kaum. Die drei bis vier Milliarden Euro Mindereinnahmen im Jahr, die durch die gesenkte Mehrwertsteuer auf Speisen entsteht, ließe sich sicher sinnvoller einsetzen.« Er teile die Ansicht der Gastronominnen und Gastronomen, dass es nur mit den sieben Prozent bisher gelungen sei, die enormen Kostensteigerungen nicht 1:1 an die Gäste weiterzugeben und dass es »angesichts der bereits hohen Preise es vielen schwerfallen wird, das bei ihrer Kundschaft durchzusetzen«. Trotzdem plädiert er dafür: »den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Speisen nur noch bis Mitte 2024 zu verlängern, wenn die Inflation sich wieder normalisiert hat«.

Der Sündenbock – die Politik – bleibt indes gespalten: Einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Verlängerung der Senkung lehnte die Regierungsfraktion aus SPD, Grünen und FDP im Juni noch ab. Dagegen regt sich nun Protest, auch aus den eigenen Reihen der Ampelkoalition. Sowohl die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) fordert, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz beizubehalten, als auch ihre Kollegin aus Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig (SPD). Sie kündigte einen Vorstoß dazu im Bundesrat mit einer eigenen Initiative an.


 

 

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Anna Wender
Anna Wender
Redakteurin
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