Peru: Kultur macht Küche

Peru ist eine der ältesten ­Hochkulturen – die 500 Jahre alte Fusionsküche setzt heute weltweit Trends.

Platsch. Acht Kilo pazifische Seezunge klatschen saftig auf das Schneidebrett. Feinste ­Schmiedekunst saust durch Luft und Fleisch, trennt, filetiert, häutet und säbelt – schneller, als das Auge mithalten kann. Weniger als zwei Minuten, und der Megafisch liegt in Stücken, ein Teil in gleich großen Würfeln, der andere in hauchzarten Scheibchen. Chef Javier Wong atmet kurz durch, lässt den Blick durchs ­Lokal schweifen, portioniert im Geiste. Alle Plätze besetzt, 30 Gäste gleich 30 Menüs, für jeden das Gleiche, jeder Gang mit Lenguado. Die rohen Würfel als Cebiche – marinierter Fisch –, die Scheibchen zu Tiradito komponiert, einem Carpaccio mit Vinaigrette aus ­Limettensaft, Sesamöl und Pekannüssen. Als Hauptgang des Menüs folgt ein »Chifa«-­Gericht, wobei der Fisch mit Süßkartoffeln, Bohnen, tropischen Früchten und Sojasauce blitzschnell über lodernder Flamme im Wok gerührt wird. Als »Chifa« bezeichnet man in Peru chinesisches Kolorit in der Kulinarik. »In jedem Gericht«, sagt Chef Wong, »präsentiert sich ein Teil der Geschichte unseres Landes.«

Küchenchef Javier Wong präsentiert die acht Kilo schwere Pazifische Seezunge / Foto: Paul SpierenburgViele Einflüsse
Was in unseren Breiten also als »Fusion Food« – und dank Japans Superstar »Nobu« Matsuhisa weltweit – Einzug gehalten hat, blickt in Peru auf mehr als 500 Jahre Vergangenheit zurück. Mit der spanischen Kolonialherrschaft kamen Rezepte und Produkte aus dem Mittelmeerraum, Afrika und Arabien, im 19. Jahrhundert stieß die Küche von ­Einwanderern aus Japan und China dazu.

Wong hat chinesische Wurzeln, in den ­Kreationen des 64-Jährigen findet sich ­zudem der einzigartige Reichtum indigener Ressourcen aus dem kühlen Humboldtstrom, aus Wüste, Andenhochland und Urwald. Jeder seiner Happen beweist, dass er vor diesem Hintergrund meis­terhaft arbeitet, simpel wie subtil, die Zutaten sind von höchster Qualität, die konträren Aromen ausgewogen.

Huancayo, etwa 250 Kilo­meter östlich von Lima, ist ein Handelszentrum für Agrarprodukte – der Markt ist spektakulär / Foto: Paul SpierenburgHotspot
»Chez Wong« gilt als Kultadresse in der Zehn-Millionen-Hauptstadt Lima – ein wahres »huarique«, wie in Peru kleine Entdeckungen heißen. Das einfache Lokal im Arbeiterviertel La Victoria ist von den benachbarten Häusern nicht zu unterscheiden.

Nach Wongs One-Man-Show an Tresen und Wok drängen die Gäste zum Meister, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Wong ist ein Idol in einem Land, in dem das Glück eng mit gutem Essen verbunden ist.

Er hat sich mit Fleiß und Ambitionen aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet. Jetzt wird er als »Rey de Cebiche« gehandelt, als König des in Saft von Zitrusfrüchten, Chili und roten Zwiebeln marinierten Fischs, zarte Bissen in »leche de tigre« (Tigermilch). In Peru sollen sie ihren Ursprung haben: Rohe Fischhäppchen aßen bereits die indigenen Völker des Pazifischen Beckens. Die Marinade indes könnte eine erfrischende ­Erfindung maurischer Marketenderinnen sein, die Bezeichnung eine Entlehnung aus dem Arabischen: »assukkabag« – für das, was säuerlich schmeckt. Die Frauen hatten Samen von Pomeranzen im Gepäck, als sie den Konquis­tatoren folgten. Inzwischen soll es 3000 Cebicherias in der Hauptstadt geben. Laut ­einer Volksbefragung steht Cebi­che nach »pollo a la brasa« (Grillhuhn) an zweiter Stelle bei den Lieblingsspeisen. Die Platzierung liegt an den teils mager gefüllten Haushaltskassen: Der Vogel ist eben deutlich preiswerter.

Essen mit Aussicht im ­Restaurant »Calle del ­Medio« in Cusco. Auf dem Teller rechts ­Tiradito ­Criollon, links Ceviche de las Alturas / Foto: Paul SpierenburgEin Koch, beliebter als der Präsident
Eine andere Erhebung unter der Bevölkerung zeigte den allgemeinen Wunsch, Gastón Acurio als Landesvater zu inthronisieren. Der Koch und Erfinder der Cucina Novoandina, der Neuen Andenküche, ist bekannter und vor allem beliebter als der Präsident – im Grunde der beliebteste Peruaner des 30-Millionen-Einwohner-Landes überhaupt. Er ist Herr über drei Dutzend Res­taurants in zwölf Ländern, darunter je eines in New York und Madrid, Autor zahlreicher Kochbücher und TV-Moderator. Geprägt durch die französische Küchentradition, wurde ihm nach seiner Rückkehr aus Paris bewusst, dass der Umgang mit Trüffeln und Gänseleber in Peru so abwegig war wie Kochen mit heimischen Produkten ideal. »Dazu muss man sich nur mal über die natürlichen Gegebenheiten in Peru klar werden«, sagt er. »Wir beherbergen 84 der weltweit 104 Mikroklimata. Ungeheuerlich groß ist die Vielfalt von dem, was hier wächst und gedeiht.« An erster Stelle der Mais mit 3650 Arten oder Fisch mit etwa 2000. Peru ist eine der größten Fischerei-Nationen der Welt, 600 Früchte und Tomaten kennt man dort. Und natürlich Kartoffeln, die bereits vor 5000 Jahren im Andenhochland angebaut wurden und von dort aus ab dem 16. Jahrhundert ihren globalen Siegeszug antraten. Heute sind bei Limas CIP (Internationalem Kartoffel-Zentrum) 2300 peruanische Varietäten registriert. Auf den Märkten in Lima, Cusco, Arequipa oder Huancayo versetzt diese unglaubliche Bio­diversität in Staunen. Saftige reife Früchte in allen Farben, Kartoffelstände mit 20 bis 30 Sorten im Angebot: weiße, gelbe, rote, lila und gescheckte; von ein paar Gramm schweren wie der auf natür­liche ­Weise in 4500 Meter Höhe gefriergetrockneten Chuño über die Camotillo Arenosa bis hin zur 15 Kilogramm schweren Knolle Papa ­Arracha Morada.

Dessert im Restaurant »Central« in Lima: Graviola mit Stachel­annone und Kakao / Foto: Paul Spierenburg
Dessert im Restaurant »Central« in Lima: Graviola mit Stachel­annone und Kakao 

Details zum Konzept der Cocina Novoandina, der peruanischen Küchentradition, über den René Redzepi Perus sowie weitere Restauranttipps lesen Sie im aktuellen Falstaff Nr. 07/2012 bzw. Falstaff Deutschland Nr. 05/2012.

BEST OF PERU

Text von Kiki Baron  
Fotos von Paul Spierenburg

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