Rebenverwandtschaft: Shiraz und Syrah
Shiraz und Syrah – gibt es da eigentlich einen Unterschied? In Teil eins der neuen Falstaff-Serie »Rebenverwandtschaft« gehen wir den Ursprüngen eines ungleichen Rotwein-Pärchens nach.
Mit der Verwandtschaft ist es ja zuweilen so eine Sache. Bei Reben und Wein verhält sich das nicht anders als im richtigen Leben, oder vielmehr: Es ist noch komplizierter. Denn schon bei der Klärung der Abstammung ist außergewöhnlicher Aufwand vonnöten. Gen-Analysen sind praktisch unumgänglich, will man einen Einblick in die Verwandtschaftsverhältnisse bekommen, und dabei benötigt man gleich beides: Vaterschafts- und Mutterschaftstests. Doch selbst deren Ergebnisse lassen in aller Regel einige wesentliche Details im Dunkeln, beispielsweise Ort und Zeit einer Zufallskreuzung.
Bei der Rebsorte Syrah, die mindestens seit dem ausgehenden Mittelalter den Ruf der Weine der nördlichen Rhône begründet hat, nahm man früher aufgrund ihres Namens an, dass sie von Syrakus auf Sizilien oder aus Shiraz in Persien an die Rhône eingewandert sei. Beide Erklärungsversuche haben ihre Mängel: Denn die historischen persischen Weine aus der Umgebung von Shiraz waren von weißer Farbe, und ebenso wenig plausibel erscheint es, dass eine aus Sizilien stammende Rebsorte am Ort ihrer Herkunft völlig verschwunden sein könnte.

Inzwischen vermuten die Ampelografen den Ursprung der Sorte im Gebiet der westlichen Alpen – also unweit der Nordrhône –, denn als Eltern der Syrah ließen sich zwei Rebsorten nachweisen, die in Savoyen und in der Ardèche vorkommen: Mondeuse Blanche und Dureza.
Geht man den Stammbaum weiter zurück, dann stellt sich die Syrah sogar als eine Urenkelin des Pinot Noir heraus. Die französische Linie kann demzufolge zeitliche und stilistische Priorität für sich beanspruchen – auch wenn es einen Seitenstrang der Genealogie gibt, der nach Südtirol und ins Trentino verweist: Denn auch Lagrein und Teroldego sind mit Syrah verwandt.
Die berühmtesten Verwandten aus Übersee wachsen unter dem Namen »Shiraz« in Australien. Immerhin lässt sich die Immigration der Syrah und ihre Verwandlung in den Shiraz zeitlich und hinsichtlich des menschlichen Beitrags recht gut eingrenzen. Denn der maßgebliche historische Umstand, der die Neuansiedlung der Syrah Down Under ermöglicht hatte, war der Sturz Napoleons im Jahr 1815.
Der Grund hierfür ist in den englisch-französischen Beziehungen zu suchen. Englische Botaniker und Rebenkundler, die vor der Französischen Revolution das Studium der französischen Weinbaugebiete begonnen hatten, konnten sich erst nach 1815 wieder frei in Frankreich bewegen.

Und dies taten sie dann auch innerhalb kürzester Zeit, um einen Beitrag zum Aufbau der Landwirtschaft in der fernen Kolonie zu leisten. Im Oktober 1817 gelangten Reiser nach New South Wales, die der Brite John Macarthur (1767–1834) gemeinsam mit seinen beiden Söhnen James und William in ganz Frankreich gesammelt hatte. Auf der Liste jener Pflanzen, die die monatelange Reise auf dem Schiff »Lord Eldon« überstanden, stehen »Syracuse« und »Hermitage«. Allerdings scheinen sich diese Syrah-Abkömmlinge in den Versuchspflanzungen Macarthurs nicht durchgesetzt zu haben. In einem Resümee der Experimente aus seinen letzten Lebensjahren erwähnte der zwischenzeitlich geadelte Sir William Macarthur die Rebsorte Syrah oder ihre Synonyme nicht mehr.
Als Wegbereiter des australischen Shiraz gilt daher James Busby (1802–1871), der zwischen September und Dezember 1831 Reiser von Hunderten Rebsorten sammelte. Busby nützte die Rebbestände im Botanischen Garten von Montpellier und im Jardin du Luxembourg in Paris, aber er schnitt auch in Dutzenden Weinbergen im ganzen Land Reiser. Unter den Schreibweisen »Scyras« and »Ciras« verbreitete Busby seine Syrah-Setzlinge, zunächst im Hunter Valley nahe Sydney, ab 1839 auch in Südaustralien.

Eine Frage des Stils
In Europa ist auch außerhalb des Rhônetals die Schreibweise »Syrah« gebräuchlich. Diese Benennung verweist nicht nur auf die französische Herkunft des Rebmaterials, sie ist vor allem eine stilistische Aussage: Würze und Stoffigkeit dominieren über Schmelz, Volumen und Frucht. Dabei tragen allerdings die allerbesten Syrah-Weine den Namen der Rebsorte gar nicht auf dem Etikett, denn sie werden im Einklang mit dem romanischen Prinzip unter ihren Herkunftsbezeichnungen verkauft.Archetypische Syrah-Eigenschaften besitzen die Weine der AOC Hermitage: Sie sind dunkel in der Farbe und komplex- kräuterwürzig in ihrem aromatischen Ausdruck, von mineralischem Kern und von solch stoffiger Tiefe, dass es in früheren Jahrhunderten gebräuchlich war, leichtere Bordeaux mit einem Schuss Hermitage zu verbessern. Es gab sogar ein Verb dafür: »hermitager«. An der Rhône selbst wiederum ist eine andere Form von Verschnitt gebräuchlich. Mit Ausnahme von Cornas ist es in allen Appellationen der Nordrhône gestattet, kleinere Prozentanteile Weißwein in den Rotwein zu cuvetieren, als Frische-Spender und um die Eleganz zu betonen.

Aus Falstaff Magazin Nr. 06/2016
Kühler in ihrer Anmutung, fleischig und kompakt fallen die Syrah-Weine aus, die flussaufwärts der Rhône im Schweizer Bergkanton Wallis wachsen. An der Südrhône wird Syrah kaum reinsortig an- und ausgebaut, hier wird sie vor allem als strukturgebender Cuvée-Partner für Sorten wie Grenache und Carignan genutzt. Fast überall in Südeuropa experimentieren Winzer mit Syrah – mit dem besten Erfolg dort, wo es nicht zu heiß ist. In Deutschland und Österreich wiederum benötigt die Sorte beste Lagen und aufwendige Pflege, um zu befriedigender Reife zu gelangen.
»Shiraz« ist nicht nur ein im Englischen einfach auszusprechender Name, diese Bezeichnung verweist auch auf das stilistische Vorbild der Neuen Welt: Die Weine haben Wucht und eine intensive, zuweilen rosinenartige oder portig getönte Frucht. Shiraz-Weine sind typischerweise schon in ihrer Jugend zugänglich und haben milderen Gerbstoff als die europäischen Pendants. Vor allem in Australien und in Südafrika wachsen Shiraz-Weine, aber auch in Teilen Südamerikas, in Washington und Kalifornien.

In den Anfangsjahren des australischen Shiraz glaubte man übrigens nicht, dass die Sorte zu einem roten Tischwein taugte – man bevorzugte die Produktion eines gespriteten, am Vorbild des Port orientierten Weins. Diese Tradition führen heute nur noch wenige australische Weingüter fort.
Dank moderner Kellertechnik gelingen auch in der Hitze australischer Regionen wie des Barossa Valley strukturierte Rotweine, die der Oxidation Widerstand leisten. Den besten Weinen gelingt es sogar, mit der Hitzigkeit der Frucht zu spielen und dabei der auch aus Frankreich bekannten »Wildheit« der Syrah-Würze einen genuin australischen Ausdruck zu verleihen: Auch Shiraz ist am Ende eben nichts komplett anderes als Syrah.