Eine kulinarische Institution im Herzen von Paris: Seit 1986 liegt das »L’Ambroisie« am repräsentativen Place des Vosges im 4. Arrondissement.

Eine kulinarische Institution im Herzen von Paris: Seit 1986 liegt das »L’Ambroisie« am repräsentativen Place des Vosges im  4. Arrondissement.
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Restaurant-Legenden: Götterspeise für Erdenmenschen im »L'Ambroisie«

In der griechischen Mythologie ist Ambrosia die Speise der Götter, unerreichbar für normale Menschen. Doch der französische Koch Bernard Pacaud hat mit dem Olymp eine Ausnahme ausgehandelt: Wer in sein Pariser Lokal »L’Ambroisie« pilgert und eine beachtliche Summe als Opfer darbringt, erfährt eine kulinarische Offenbarung.

Im Herzen von Paris, einen halbstündigen Spaziergang vom Louvre entfernt, liegt eine Ikone der Haute Cuisine: Das »L’Ambroisie«, seit 35 Jahren im Besitz von drei Sternen im Guide Michelin. In der französischen Hauptstadt gibt es aktuell zehn Adressen mit dieser höchsten Auszeichnung, doch keines davon kann sie so lange vorweisen. 

Dabei weicht Küchenchef Bernard Pacaud in einer Hinsicht vom Usus ab: Es gibt bei ihm nämlich keine Verkostungsmenüs. Stattdessen gibt es eine Speisekarte, die sich viermal im Jahr ändert und ausschließlich in französischer Sprache aufliegt. Sie sieht drei Gänge vor, wobei die Gäste aus je drei oder vier Optionen wählen. Hinzu kommen Käsedelikatessen und eine Nachspeise. Pro Vor- und Hauptspeise werden 120 bis 170 Euro fällig und Käse und Dessert kosten je 40 bis 60 Euro. Ist das Erlebnis diese astronomischen Preise wert?

Wer die Frage für sich mit Ja beantwortet, schätzt das akribische Handwerk und den langen Werdegang des Küchenchefs: Bernard Pacaud wurde 1947 geboren und wird im September 76. Obwohl er noch regelmäßig in der Küche steht, hat er das Restaurant längst seinem Sohn Mathieu übertragen. Wie lange haben Genießer wohl noch Bedenkzeit, bis er die Pfanne endgültig an den Nagel hängt?

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Mit Fleiß zum Familienbetrieb 

Bernard Pacaud schaut auf sechs Jahrzehnte Kocherfahrung zurück. Nachdem er in einem Waisenhaus aufgewachsen war, begann er 1962 als Küchengehilfe für Eugénie »la Mère« Brazier (1895-1977) in Lyon. Die Mutter der Nouvelle Cuisine war damals die allererste Person, die sechs Michelin-Sterne erkocht hatte. Sie sah Talent in dem halbwüchsigen Pacaud und führte ihn in die Grundlagen der hohen französischen Kochkunst ein. 

Es sollte knapp 20 Lehr- und Wanderjahre durch diverse Restaurants in Paris – darunter das seit 1942 bestehende »La Méditerranée« – dauern, bis er 1981 mit »L’Ambroisie« sein eigenes Lokal eröffnete. Mit Gattin Danièle an seiner Seite erkochte Pacaud zwei Sterne in zwei Jahren. Fünf Jahre später zog das Restaurant an seinen heutigen Standort am noblen Place des Vosges im 4. Arrondissement um, wo es rund 40 Plätze hat und dienstags bis samstags sowohl mittags als auch abends Gäste bewirtet. Seinen dritten Stern erhielt es 1988 und hält die höchste Auszeichnung seitdem ununterbrochen.

Das »L’Ambroisie« ist demnach der Urvater aller Drei-Sterne-Tempel in der französischen Hauptstadt. Nach 35 Jahren drängt sich die Frage auf, ob die hohe Dekoration noch aktuellen Wert hat oder eher ein historisches Relikt ist. Doch selbst in Zeiten von Gourmetküche mit Wildkräutern und Naturweinen betrachten Kenner die unaufgeregten, zur Perfektion gebrachten Kreationen von Pacaud immer noch als den Höhepunkt der französischen Gastronomie. Oder sollte man besser sagen: die Küche »der Pacauds«? Mittlerweile führt schließlich Sohn Mathieu Pacaud (geb. 1981) das »L’Ambroisie« mit, und das Vater-Sohn-Team gestaltet gemeinsam die Speisekarte, die dem Rhythmus der Jahreszeiten folgt. 

Einzig der Service scheidet die Geister: Die einen lieben die französische Förmlichkeit, während andere sie als unzeitgemäß steifes Getue empfinden, das die Freude am Esserlebnis schmälert.

Untypisch für ein dreisterniges Restaurant: Sowohl das Essen als auch der Wein werden nach Karte bestellt.
© Owen Franken
Untypisch für ein dreisterniges Restaurant: Sowohl das Essen als auch der Wein werden nach Karte bestellt.

Mit vier Zutaten zum göttlichen Geschmack

Ein Signature-Gericht von der Winterkarte sind die Langustinen mit Sesam-Feuillantinen und Currysauce. Mit ihrer einfachen Eleganz, den ausgewogenen Geschmacksnuancen und der symmetrischen Präsentation stehen sie beispielhaft für Pacauds Kochstil: perfekt bis ins Detail, ästhetisch ansprechend dargereicht und in Sachen Zutaten auf das Nötigste und Beste beschränkt. Mehr als vier Elemente findet man in seinen Gerichten grundsätzlich kaum. 

Das zarte Röstaroma der Langustinenschwänze und der matte Glanz der Sauce sprechen Seh- und Geruchssinn an. Die natürliche Süße der Schalentiere wird vom Curry dezent verstärkt, das hauchdünne Sesamgebäck verleiht dem Gericht Dynamik und Spinat ergänzt es mit Textur und einem Hauch Bitterkeit. Man muss kein geschulter Tester sein, um die Harmonie zu erkennen und zu schätzen.

Ebenfalls klassisch ist Pacauds Wolfsbarsch-Kreation mit Artischocke und Kaviar-Nage. Auf geringer Temperatur zubereitet, behält der Fisch eine glänzende Haut, und scheint sich im Mund wie Butter von selbst aufzulösen. Das Gemüse hält mit seiner Textur und Süße gekonnt dagegen.

Und was trinkt man zu solch ausgeklügelten Gerichten? In Abwesenheit von Menüs mit Weinbegleitung ist die Auswahl dem Gast überlassen, selbstverständlich mit fachkundiger Unterstützung. In über drei Jahrzehnten hat »L’Ambroisie« einen beachtlichen Weinkeller kuratiert. Es gibt französische Klassiker von Latours für mehrere Tausend Euro pro Flasche bis hin zum vergleichsweise günstigen Lafite-Rothschild im Glas.

Unter den Desserts ist die Schokoladentorte das konkurrenzlose Highlight. Ihre luftige Leichtigkeit beruht auf einer Schaumcreme aus dunkler Schokolade, die zwischen dem Boden und dem üppig mit Kakao bestreuten Belag förmlich herausfließt. Bei der Herstellung des dazugehörigen intensiv schmeckenden Vanilleeises werden sechs Schoten pro Liter Milch verwendet.

Familiensache: Bernard Pacaud und Sohn Mathieu stellen die vierteljährlich wechselnden Menüs gemeinsam zusammen.
© Owen Franken
Familiensache: Bernard Pacaud und Sohn Mathieu stellen die vierteljährlich wechselnden Menüs gemeinsam zusammen.

Ein Lokal mit Geschichte

Das »L’Ambroisie« liegt im Stadtteil Marais am quadratischen »Platz der Vogesen«, dem ältesten städtischen Platz von Paris. Er wurde 1605 angelegt, hieß ursprünglich »Place Royale« und ist an allen vier Seiten von einheitlich gebauten Stadtpalais mit Arkaden im Erdgeschoß umgeben. Unten waren damals Handwerksbetriebe und Händler ansässig, darüber wohnten adelige Herrschaften. Wo heute das Restaurant liegt, war einst ein Silberschmied untergebracht. Im »L’Ambroisie“ gibt es drei Speisesäle. Im mittleren und größten Saal bilden üppige Wandtapeten, Holzvertäfelungen mit Patina und ein Kristallleuchter eine festliche Umrahmung, die an Versailles erinnert. Zwischen den Gängen ist Zeit, die Details der historischen Kulisse genauer zu betrachten. 

Im ersten, etwas kleineren Raum hängt ein Wandteppich im Aubusson-Stil aus dem 17. Jahrhundert, der eine ganze Wand abdeckt. Der Kronleuchter taucht die Handvoll Tische in warmes Licht und wirft tanzende Schatten auf den weiß gefliesten Boden.

Bernard Pacaud persönlich im Speisesaal anzutreffen, kommt einer Einhorn-Sichtung gleich: »Ich bin schüchtern«, sagt der Maître über sich selbst. »Und wenn ich im Speisesaal bin, bin ich nicht in der Küche. Wenn ich jedem Tisch fünf Minuten widme, kommt schnell eine Stunde zusammen. Das ist nicht mit gehobener Küche vereinbar.« Statt mit Worten kommuniziert er mit seinen Gästen über das Essen. Und seine Botschaften »auf Kulinarisch« überwinden jede Sprachbarriere mit Leichtigkeit.

Im »L’Ambroisie« werden Klassiker der französischen Küche – darunter Kalbsbries – zur Perfektion gebracht. Mehr als eine Handvoll Elemente auf dem Teller braucht es dafür nicht.
© Gamma-Rapho / Getty Images
Im »L’Ambroisie« werden Klassiker der französischen Küche – darunter Kalbsbries – zur Perfektion gebracht. Mehr als eine Handvoll Elemente auf dem Teller braucht es dafür nicht.

Zu Gast im »L'Ambroisie«

Das stilvolle Urgestein der französischen Sterneküche besteht seit 1981. In gut vier Jahrzehnten hat sich Bernard Pacaud nicht nur vom ehrgeizigen Lehrling zum absoluten Meister des Kochhandwerks entwickelt, sondern auch vom jungen Vater zum Mentor seines Sohnes Mathieu Pacaud. Gemeinsam erstellen sie die Gerichte für die quartalsweise wechselnde Speisekarte des »L’Ambroisie«.

Das Restaurant hat Dienstag bis Samstag geöffnet. Reservierungen sind bis zu drei Monate im Voraus möglich – und zwar nicht nur theoretisch: Wer etwa einen Monat vorausplant, kann frei zwischen mehreren Zeiten mittags und abends wählen. Und Kurzentschlossene erwischen sogar am nächsten Tag noch einen Tisch zum Mittagessen.

9 Place des Vosges, 75004 Paris
T: +33 1 42785145
ambroisie-paris.com


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Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2023

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Lisa Arnold
Autor
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