© Commanderie du Bontemps

»Society of Sommeliers«: Ein Weinclub für alle

Die »Society of Sommeliers« ist Münchens erster studentischer Weinclub. Bei einem Weintasting in der TU werden viele Klischees über die angeblich elitäre Weinkultur gebrochen – jedenfalls fast. Ein Bericht in vier Gläsern.

Wer an der Technischen Universität München einem Studierendenclub beitreten will, hat viele Optionen, die vor allem nach noch mehr Arbeit klingen. Doch wer nicht noch nach Feierabend Unternehmen beraten oder einen clubeigenen Investmentfonds managen will, für den könnte die »Society of Sommeliers« interessant sein. Dort dreht sich alles ums Weintrinken.

Doch das trifft es nicht ganz, denn es wird nicht nur getrunken. Er wird auch begutachtet, gerochen, geschmeckt, verglichen – und vor allem bewertet. Denn der Club führt Weintastings für Studierende durch.

Aber ist das Studium nicht eigentlich die Zeit der Bierpong-Abende und billigen Pfefferminzschnäpse? Wer sind also die Studierenden, die sich für komplexe Bouquets interessieren, anstatt das Bier im Tornado hinunterzustürzen? Um das herauszufinden, besucht man am besten selbst eines ihrer Tastings.

© Society of Sommeliers

Glas 1: Tagaro Verdazzo Verdeca – Zitrone und Grapefruit, salzig im Abgang

Die Tische in Raum Z534 der TU sind an diesem Abend nicht mit Laptops und Notizblöcken, sondern mit Weingläsern und schwarzen Spucknapfen bestückt. Es ist italienischer Abend, insgesamt vier Weine des Landes sollen getestet werden. Durch die Verkostung führt die Münchner Weinhändlerin Constance Heuberger, zum Anfang stellt sie einen trockenen Weißen aus Apulien vor. Normalerweise ist das Publikum ihrer Weintastings deutlich älter als heute, verrät sie, und Studenten gehören sonst auch nicht unbedingt dazu.

Anders an diesem Abend, an dem circa 40 Studierende den Raum füllen, um in die Geheimnisse der italienischen Weinkultur eingeführt zu werden. 30 Euro Semesterbeitrag haben sie gezahlt, um Mitglied des Weinclubs zu sein, dafür können sie an vier bis fünf Tastings teilnehmen. Dabei stets griffbereit: Der Bewertungsbogen, in dem Geruch, Geschmack und Harmonie der verkosteten Weine irgendwo zwischen null und fünf Punkten eingeschätzt werden.

Glas 2: Zibibbo Maganza Terre Siciliane – Grüner Apfel und Honig

Inzwischen schwärmt Constanze Heuberger von den Vorzügen sizilianischer Rebsorten, während die eigenen Geschmacksknospen sich bemühen, dem Wein die verschiedensten Fruchtnoten zu entlocken. Viele der anwesenden Studierenden haben sich diesen Abend schick gemacht, einer trägt Anzug und Krawatte. Auf den ersten Blick scheint sich das elitäre Klischee zu bestätigen, das der Weinkultur zuweilen anhaftet. Und ja, sicherlich ist so mancher hier schon am elterlichen Esstisch in die Feinheiten der verschiedenen Rebsorten und Appellationen eingeführt worden.

»Hier gibt es so viele Justusse«, frotzelt Müge, die zum Studium aus der Türkei nach München gezogen ist. »Justus«, das bezeichnet spöttisch das Klischee des verhätschelten BWL-Studenten mit glatt gegeeltem Haar, der seine Miete spielend von den Zinsen des Aktienpakets finanziert, das seine Eltern ihm zum Achtzehnten geschenkt haben. Ist dieser Weinclub also nur ein besserer Elitenstammtisch? Nein, so einfach ist es nicht.

Glas 3: Michelangelo I.G.T. Fattoria Poggio Capponi – Beeren und Marmelade, scharf im Antrunk

Derweil ist der Bewertungsbogen halb gefüllt, auf die bisher getesteten Weißweine folgen nun rote Schätze der Toskana. Und wo bisher noch einigermaßen konzentriert verschiedene Noten aus dem Bouquet der Weine erschnüffelt wurden, wird inzwischen öfter laut gelacht und geratscht als konzentriert geschmeckt und bewertet.

Doch auch dafür ist der Weinclub da. Gegründet wurde er erst 2022 von Justus Bernhard, der nur zufällig den gleichen Vornamen wie das BWL-Klischee trägt. Der Spross einer rheinhessischen Winzerfamilie trinkt aus naheliegenden Gründen leidenschaftlich Wein – nur nicht gern allein. So kam er schon bald nach dem Umzug nach München mit einigen Freunden auf die Idee, einen Club zu gründen, in dem gemeinsam getrunken, die komplexe Welt des Weins aber auch für alle tiefer Interessierten erschlossen werden sollte. Mit achtzig Bewerbungen schon im Gründungssemester war das Interesse von Anfang an groß. Ein Großteil der Interessenten bestand dabei aus internationalen Studierenden.

»Weintrinken wird oft mit Privilegien in Verbindung gebracht, gilt als ein Statussymbol. Dieser Club bricht das für mich auf«

Und so zeigt sich beim genaueren Umsehen schnell, dass der Weinclub doch deutlich diverser ist, als auf den ersten Blick gedacht. Auch deswegen ist die »Society of Sommeliers« vom ersten Semester an ein komplett englischsprachiges Projekt. Und durch Partnerschaften mit Weingütern und Händlern ist gelungen, den Semesterbeitrag für Mitglieder bei dreißig Euro zu deckeln. Auch das ist für manche viel Geld, aber andere Clubs verlangen häufig Beiträge von mehreren hundert Euro. Der niedrige Mitgliedsbeitrag der Society soll möglichst allen weininteressierten Studierenden die Teilnahme ermöglichen.

Diese Offenheit für alle war Justus Bernhard von Anfang an wichtig. Daher bietet die Society of Sommeliers jedes Semester auch mehrere »Academy Sessions« an, die sich an alle Neumitglieder richten, die bisher wenig bis nichts über Wein wissen. Von den Eigenschaften von Lehm-, Quarz- und Schieferböden über die Unterschiede zwischen Fass- und Flaschengärung bis hin zu den Einflüssen des Klimawandels auf die Weinproduktion gibt es hier eine ausführliche Einführung in die Mysterien der Weinkultur. Das Ziel: Niemand soll sich aufgrund von fehlendem Wissen ausgeschlossen fühlen, alle sollen bei den Tastings mitreden können, ob Weinneuling oder Winzersohn.

Glas 4: Tagaro Terrapieno Primitivo Appassimento – schwarze Kirsche und Lakritz

Das Konzept scheint aufzugehen. Beim letzten Glas des Abends schallt das Lachen lautstark durch den Raum, die Gläser werden immer wieder nachgefüllt. So mancher probiert inzwischen mehr als einmal, bevor er sich auf eine Bewertung des Weins festlegt. Doppelt hält eben besser, oder macht einfach mehr Spaß.

Auch Müges Bewertungsbogen ist inzwischen ausgefüllt. Dass sie sich in der »Society of Sommeliers« so wohlfühlen würde, hätte sie zu Anfang selbst nicht gedacht. »Zu Beginn war ich schon eingeschüchtert«, gesteht sie. Sie sagt aber auch: »Weintrinken wird oft mit Privilegien in Verbindung gebracht, gilt als ein Statussymbol. Dieser Club bricht das für mich auf«.

»Die Spucknäpfe wurden von Anfang an wenig genutzt, gegen Ende des Abends gar nicht mehr. Wäre ja auch schade um den guten Wein«

Diese inklusive Herangehensweise hat inzwischen auch einige Tasting-Talente hervorgebracht. So gelang es der Society, sich 2023 erstmals für den »Left Bank Bordeaux Cup« zu qualifizieren. Der Weintasting-Wettbewerb richtet sich an studentische Weintasting-Clubs aus der ganzen Welt, Qualifikationsturniere werden in Nordamerika, Europa und Asien durchgeführt. Die Herausforderung: Neben einem theoretischen Test müssen nur anhand des Geschmacks die verschiedensten Eigenschaften des Weines, wie die Appellation oder der Jahrgang oder die Art der Gärung, erkannt werden. Der frisch gegründeten »Society of Sommeliers« gelang eine kleine Sensation, als sie die traditionsreichen Clubs aus Oxford und Cambridge aus dem Rennen nahm und auf Anhieb ins Finale in Bordeaux einzog.

Auch wenn dieser Wettbewerbserfolg ein Höhepunkt in der jungen Geschichte des Clubs ist: im Mittelpunkt steht der gemeinsame Spaß beim Wein probieren, bewerten, und natürlich trinken. Gegen Ende des italienischen Weintastings packen einige Mitglieder noch selbst mitgebrachte Flaschen auf den Tisch, es verspricht, noch eine längere Nacht zu werden. Die Spucknäpfe auf den Tischen wurden übrigens von Anfang an wenig genutzt, gegen Ende des Abends gar nicht mehr. Wäre ja auch schade um den guten Wein.


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Julius Seibt
Autor
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