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Wandel der Esskultur: Sparen die Deutschen am falschen Ende?

Nicht nur Sternerestaurants bleiben leer – eine veränderte Esskultur hat sich eingeschlichen: Mittagspausen beim Asiaten weichen selbstgemachten Lunch-Boxen im Büro, der Cappuccino im Café wird zum seltenen Genuss. Und selbst Gutverdiener sparen beim Essen. Geht dabei der gute Geschmack verloren? Ein Kommentar.

Es kam irgendwie schleichend. Hing sich ran an Worte wie Ausgangssperre und Homeoffice. Aber dann war sie doch ganz eindeutig da: Eine veränderte Esskultur, eine andere Lebensqualität – ein anderer Tagesablauf, der sich in das Leben der Großstädter geschlichen hat. Nicht in aller Leben. Aber bei vielen kann man es doch beobachten: Der Morgen verläuft jetzt anders, der Mittag, der Abend auch.

»Fine-Dining ist vorbei«, sagte kürzlich ein Berliner Gastronom zu mir, doch es ist ja nicht nur das. Wer sich am Sonntagmorgen in einem Kreuzberger Kiez, den Immobilien-Verkäufer schmierig als »Szenekiez« anpreisen, bewegt, der bekommt vor 10 Uhr mittlerweile nicht mal mehr einen Kaffee. Jetzt könnte man sagen, die Leute schlafen halt länger, aber das stimmt nicht so ganz.

Das ganze Leben verändert sich

Wer als Freiberufler arbeitet, als Kreativer, dem ja immer nachgesagt wird, nur in Cafés rumzugammeln, Zeitung zu lesen und dabei Flat White zu trinken, der weiß, was sich geändert hat: das ganze Leben. Hielt man Meetings früher im Café ab oder klappte dort den Laptop oder die Zeitung auf, um dann doch nur die Leute zu beobachten (also erstmal ein bisschen Inspiration für den Arbeitstag zu sammeln), kommt einem das nun wie ein Relikt aus vergangener Zeit vor. Preise von um die 4 Euro für einen Cappuccino lassen dieses dolce vita leider nicht mehr zu.

 

In Deutschland lösen schließende gastronomische Einrichtungen eher Schulterzucken und verzogene, aber zusammen gepresste Lippe aus.

 

Als ich kürzlich in der Schweiz mit der Pressesprecherin eines 2-Sterne-Restaurants sprach, fragte sie, ob nicht Berlin auch ein guter Standort für eine Dependance dieses Restaurants wäre. Da musste ich natürlich lachen und ihr erklären, dass in Berlin gerade reihenweise Sterne-Restaurants schlossen oder ihre Küche auf Bistro-Gerichte umstellten. Das liegt nicht nur an der Inflation, sondern auch daran, dass die Deutschen generell eher weniger gern Geld für Essen ausgeben, als – sagen wir – die Italiener oder die Franzosen. Sie war verwundert. Man stelle sich vor, ein kleines italienisches Dorf ohne Bar, in der sich morgens die alten Herren zum Espresso und Cornetto treffen – nicht auszumalen! In Deutschland lösen schließende gastronomische Einrichtungen eher Schulterzucken und verzogene, aber zusammen gepresste Lippe aus.

Wer soll sich das noch leisten können?

Denn es sind nicht nur die Cafés, nicht nur die gehobenen Lokalitäten, die weniger frequentiert werden. Fragt man in Büros herum, die früher ab 12.00 Uhr kollektiv den Asiaten um die Ecke aufgesucht haben, um bei Pad Thai und Phở halb private, halb berufliche Gespräche zu führen, der bekommt zu hören, dass sich heute stattdessen die Aufbewahrungsboxen im Kühlschrank stapeln, die aufgewärmt oder gleich kalt verschlungen werden.

Sind diese Zeiten etwa vorbei?
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Sind diese Zeiten etwa vorbei?

Reste von gestern, ein kleiner gesunder Quinoa-Salat, das Rezept von der Website, das damit beworben wird, nur 1,80 Euro pro Portion zu kosten. Denn fünfmal in der Woche Mittags außer Haus essen zu gehen, das bedeutet mindestens 50, eher 75 Euro die Woche zahlen zu müssen. 300 Euro im Monat also alleine für Mittagessen. Und wer soll sich das denn noch leisten können? In Zeiten von Inflation und rasant steigenden Mieten. Das wollen selbst nicht mal die, die es sich leisten könnten. Eine Studie hat gefragt, wie die Deutschen damit umgehen – also mit weniger Geld. In der Süddeutschen Zeitung wird berichtet, dass die meisten der Befragten bei Lebensmitteln sparen. 55 Prozent gaben an, beim Einkaufen im Supermarkt auf die Preise zu achten. 50 Prozent sparen beim Essengehen. Das ist mehr als bei Kleidung, Freizeitaktivitäten oder Reisen. Sogar die Gutverdiener, oft ältere Männer aus dem Westen Deutschlands, sparen beim guten Essen. Fast jeder vierte Befragte aus dieser Gruppe kauft günstiger ein und jeder Zehnte geht seltener in ein Restaurant, so die Studie.

Sparen am falschen Ende

Und das ist natürlich nicht nur tragisch für eine gesamte Branche. Wie wird es das Stadtbild verändern, wenn Cafés und Imbisse ausziehen? Wie wird es sich auf unsere Geschmackssinne auswirken, wenn wir aufgewärmte Nudeln vom Vortag und vor langer Zeit in Studentenkreisen »Reis mit Scheiß« genannte »Gerichte« zu uns nehmen, anstatt uns Pakistanischer und Georgischer Küche zu widmen? Und wird der soziale Büro-Frieden erhalten bleiben können, wenn Kolleginnen wieder ihre gefürchtete Kimchi-Box öffnen oder wir zu viel Intimes über die Kochfähigkeiten des Chefs erfahren? Vielleicht wäre es doch viel besser, bei etwas anderem kürzerzutreten. Man könnte es den Deutschen leicht machen, sie können ja weiter an ihrem Essen sparen, wenn sie einfach nicht mehr auf die Lebensmittelindustrie hereinfallen und Quatsch kaufen würden wie Protein-Produkte.

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Laura Ewert
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