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Berliner Gastronom sicher: »Es werden noch mehr Restaurants schließen«

Das Gastro-Beben in der Hauptstadt geht weiter: In dieser Woche kündigte das »theNOname« sein Aus zum Jahresende an. Doch bei all den künftig zu bewältigenden Herausforderungen blicken manche Gastronomen bereits wieder vorsichtig mit neuen Ideen nach vorne.

»Ohne Leichtigkeit keine kulinarischen Höhenflüge« bleibt dieses Mal als prägnanter Satz aus einer Pressemitteilung hängen, deren Betreffzeile sich dieser Tage häufig nur noch in Form des Restaurantnamens unterscheidet. Wieder einmal stellt mit dem »theNOname« ein Fine-Dining-Restaurant seinen Betrieb ein, wieder einmal liegt es in Berlin. »Unsere Idee, grenzenlosen Genuss zu bieten, ist nicht mit dem Mangel an verschiedensten Ressourcen zu vereinbaren«, sagt Geschäftsführerin Janina Atmadi. Es sei schwierig, Vision, Begeisterung und Leichtigkeit angesichts der politisch angespannten Lage und des zurückhaltenden Konsums der Gäste beizubehalten und dabei noch den eigenen Ansprüchen an Qualität, Kreativität und Mut gerecht zu werden. Noch ein letztes Mal soll es krachen zu Silvester, dann schließt das Sternerestaurant.

»Es werden noch mehr Restaurants schließen«, stimmt Jonathan Kartenberg in den Kanon von all den Restaurantinhabern und Küchenchefs ein, mit denen Falstaff für diesen Text gesprochen hat. Kartenberg ist Chef der Fine-Dining-Lokale »Irma La Douce« und »Eins44«. Vom Verschicken einer ähnlich gearteten Pressemitteilung wie die des »the NOname« ist er noch entfernt. Die Nachricht vom Ende des Restaurants drückte ihm dennoch stark auf sein Gemüt. Tim Tanneberger, der Küchenchef im »the NOname«, war früher einmal Kartenbergs Küchenchef. Über die Jahre hat sich Tanneberger einen Stern erkocht. »Wenn der Stern kommt, ist man erstmal mindestens ein Jahr ausgebucht«, sagt Kartenberg über gastronomische Grundgesetze, die früher einmal gegolten hätten.

Ein Mix aus vielen Faktoren

Die heutige Realität sieht anders aus. Kartenberg muss sich aktuell intensiver denn je mit der wirtschaftlichen Aufstellung für das kommende Jahr beschäftigen. »Wir müssen daran arbeiten, ganze Konzepte zu ändern – sowohl auf dem Teller und im Service als auch betriebswirtschaftlich«, sagt er. Auch, weil die Mehrwertsteuererhöhung ab Januar kommt. Besonders aber, weil so vieles zusammengekommen ist in den letzten beiden Jahren. Preisanstieg im Lebensmittelbereich, höhere Energiepreise, Inflation: Bei vielen Gastronomen, die jüngst ihre Schließung angekündigt haben, ist es ein Mix aus vielen Faktoren.

Bei der Betrachtung der einzelnen Restaurants in Berlin und ihrer Inhaber treten jedoch unterschiedliche Aspekte zutage. Die künftig zu bewältigenden wirtschaftlichen Herausforderungen eint im Grunde genommen alle. »Das ganze Jahr 2023 hat sich komplett nicht gerechnet«, sagt Yannic Stockhausen, Küchenchef des ebenfalls zu Silvester schließenden »Cordo«. »Im Frühjahr gab es Monate, in denen wir uns Geld leihen mussten. Wenn man zum Jahresende hin keinerlei Besserung sieht, ist es konsequent, zu schließen.« In Stockhausens Position kommt auch noch etwas anderes dazu: emotionaler Stress.

»Wenn man jeden Tag nur noch dafür kämpft, den Laden vollzubekommen und seine Leute bezahlen zu können, hört man ein Stück weit auf, Freude an seinem Job zu haben.«

Die Inhaber und Sterneköche umtreiben aber auch neue, kreative Schöpfungsmöglichkeiten. Das klassische Fine Dining, bei dem man an Ort und Stelle ein festgelegtes Menü serviert bekommt und dabei möglicherweise vier bis fünf Stunden in einem Restaurant verbringt, funktioniert für viele Gäste offensichtlich nicht mehr. »Das Konzept ist in dieser Form – zumindest aktuell – nicht mehr zeitgemäß«, sagt Stockhausen. Er stelle fest, dass Gäste lieber weniger Gänge haben wollen, vor allem aber selbst aussuchen wollen, was sie essen.

Ein neues, kreatives Umfeld schaffen

Für Stockhausen wird es 2024 mit einem neuen Laden weitergehen. Mit welcher Ausrichtung er diesen angehen möchte, will er erst nach dem Ende des »Cordo« verraten. Eine Idee, wie flexiblere Konzepte für Gäste künftig aussehen könnten, hat er aber schon. »Für mich persönlich bringt es am meisten Spaß, wenn man sich mit seinem Partner, der Familie oder Freunden zusammensetzt und sich aus einer Karte mit verschiedenen Speisen und Preisen ein kleines Menü zusammenstellen kann.«

Dylan Watson-Brawn, der Chef des hochdekorierten »Ernst« im Berliner Stadtteil Wedding, pflichtet bei:

»Fine Dining ist nicht das, was die Menschen aktuell wollen. Sie wollen durchaus hochwertig und gesund essen, aber zu einem günstigen Preis.«

Watson-Brawn wird sein Restaurant Ende 2024 schließen. Allerdings, so versichert er, nicht, weil man keine oder zu wenig Gäste habe. Nach vielen Jahren will man an neuen Projekten arbeiten, mehr Flexibilität an den Tag legen und ein neues, kreatives Umfeld schaffen.

»Ich möchte näher am Gast sein«

Von den klassischen Mehr-Gang-Menüs möchte auch Lode van Zuylen weg. Der Küchenchef vom »Lode & Stijn« gibt sein Restaurant bereits Mitte Dezember auf. Natürlich, diese Entscheidung habe zu einem gewichtigen Teil damit zu tun, dass das Leben der Menschen so teuer geworden ist. »Irgendwann wurde es Standard, dass wir nur 15 Gäste an einem Samstagabend hatten. Um ein Fine-Dining-Restaurant betriebswirtschaftlich führen zu können, muss es jeden Tag voll ausgebucht sein«, sagt van Zuylen. Bevor die Insolvenz drohe, wollte er lieber selbstbestimmt den Zeitpunkt für eine Schließung auswählen.

»Ich würde heutzutage nicht mehr so einfach ein Fine-Dining-Restaurant eröffnen – oder zumindest nicht so eins wie unseres«, sagt van Zuylen. Einer seiner Gründe für das Aufhören ist auch der Ort. Der Aufbau der Küche und des Gastraums passe nicht mehr zu dem, wie van Zuylen die künftige Gastronomie verstehe. »Ich möchte näher am Gast sein, die Gäste sollen uns sehen und wir die Gäste.«

Nach wie vor glaubt er daran, dass Fine Dining in großen Städten funktionieren kann, da es weiterhin Menschen gebe, die die finanziellen Mittel dazu haben und auf diese Art und Weise speisen wollen. Van Zuylen aber möchte sich fortan auf eine größere Zielgruppe fokussieren. In diesem Zuge spricht er – wie viele der Gastronomen – von der sogenannten Bistronomie: ein Mix aus Fine-Dining-Menüs an zwei bis drei Tagen in der Woche und einem Bistro-Charakter mit übersichtlicher Karte. Für van Zuylen wird es 2024 weitergehen. Neben der Arbeit in seinem Zweitrestaurant »Remi«, in dem er dann öfter kochen wird, will er sich auf die Suche nach einem neuen Ort für seine Vision einer kreativen Küche machen.

 


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Robin Schmidt
Autor
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