Über der Inka-Anlage Moray in Peru thront das »Mil«, eines der besten Restaurants der Welt.

Über der Inka-Anlage Moray in Peru thront das »Mil«, eines der besten Restaurants der Welt.
© Gustavo Vivanco

Das kulinarische Erbe der Inka

Wer als Gourmet Lateinamerika bereist, kommt an Peru nicht vorbei. Restaurants und Köche des vielfältigen Andenlandes belegen seit Jahren Spitzenplätze in Feinschmecker-Rankings. Eine Reise zu den Top 3: »Mil«, »Central« und »Kjolle«.

Sie sind die Topstars unter den Küchenchefs in Lateinamerika: Pía León und Virgilio Martínez. Das Ehepaar und ihre Teams arbeiten zusammen, doch haben sie in Perus Hauptstadt Lima jeweils ihr eigenes gastrosophisches Reich. Den Rahmen bildet die durch und durch verglaste Casa Tupac in Bohemian-Viertel Barranco. »Kjolle« befindet sich im ersten Stockwerk der Villa, »Central« im Erdgeschoss. Die breite Treppe ermöglicht kontinuierlichen Austausch. Pía León wurde 2021 von »The World’s 50 best Restaurants« als weltbeste Köchin ausgezeichnet, Virgilio Martínez steht mit »Central« in diesem Jahr auf Platz 1 der besten Restaurants in Lateinamerika, unter den weltbesten auf Platz 2.

Die dritte im Bunde ist Schwester Malena Martinez, Geschäftsführerin des Arbeitskreises »mater iniciativa«. Mitglieder sind Botaniker, Ernährungswissenschaftler und Anthropologen. In Peru, einem Land mit sagenhafter Biodiversität, betreiben sie mit Unterstützung von Indigenen breit gefächerte Lebensmittelforschung. Dabei werden essbare Pflanzen, Samen, Algen oder auch Moose analysiert und katalogisiert, um sie in die Jahrtausende alte Kultur wieder einzubringen. 5500 Gewächse sind inzwischen gelistet. Andenbauern und Amazonasbewohner profitieren, indem sie Küchen kompatibel anbauen. So ist mater Iniciativa die Seele der Restaurants. Denn sowohl die Küche von Kjolle als auch die von Central basieren auf diesen vergessenen Naturalien. Erst recht »Mil«, das dritte Restaurant des Paares. 2019 eröffnet, hat es ebenfalls einen Platz unter den besten 50 lateinamerikanischen Restaurants gefunden.

Central

Im Entrée zieht eine gewaltige Steinplatte das Augenmerk auf sich. In runden Mulden präsentieren sich fremdartige Naturalien. Bunte Knollen und Kerne, rote Beeren, Baumrinde und farbige Pulver. Alles Zutaten, die im Degustationsmenü verarbeitet werden. Jeder der 14 Gänge trägt eine Überschrift. Unter Titeln wie »Cold Sea Current -15m« »Upper Jungle 1350m« oder »Extreme Altitude 4200m« reihen sich zwei oder drei Namen der jeweiligen Komponenten, mal ist Seafood dabei, mal Wels aus dem Amazonas, mal Schweinebauch. Alles, was dazu das immense Reich der Flora hervorbringt, ist bei uns weitgehend unbekannt.

Die Meterangabe bezeichnet die topographische Höhe bzw. Tiefe des Ökosystems, aus welchem die Produkte stammen. Bei der extremen Höhe schnappt man unwillkürlich nach Luft. Nicht zuletzt, weil die Zutaten geheimnisvoll klingen. Es sind Begriffe aus dem Quechua: Kculli, Kiwichas, Choclo. Googeln? Muss nicht sein. Die umsichtigen Kellner bringen auf Wunsch die unverarbeiteten Produkte aus den Hochanden an den Tisch – violetter Mais, bordeauxroter Amaranth und großkörniger weißer Mais.

»Als wir anfingen, Perus Regionen zu erwandern, speziell um Cusco«, erinnert sich Virgilio, »fanden wir alle paar hundert Höhenmeter andere Elemente. Und wir begannen zu verstehen, dass Andenbauern in Zwiesprache mit ihrer Umwelt stehen, in dem sie hoch und runter laufen. Jeder Ort, den wir besuchten, entpuppte sich als ein anderes Ökosystem«. Entsprechend dem up and down in Perus vielfältiger Szenerie entfaltet sich das Menü zu einem einzigartigen kulinarischen Erlebnis – quasi eine Achterbahnfahrt der Aromen.


Kjolle

Der Name klingt skandinavisch, doch er bezeichnet eine andinische Pflanze mit bunten Blüten. Entsprechend farbenfroh sind die Speisen. Am offenen Tresen werden sie angerichtet. Im Unterschied zu Central bringt Pía León Erzeugnisse aus verschiedenen Ökosystemen gemeinsam auf den Teller. Keine Kreationen hat mehr als vier Zutaten, ist also entsprechend schlichter als die Küche im Erdgeschoss. Zudem kann man à la carte bestellen. Doch wer in der Bandbreite der ökologischen Produkte Perus schwelgen möchte, bestellt besser das 8-Gänge-Menü. Nebulös gleich der erste: »Black Mashua«. Das entpuppt sich als dunkles Brot, gebacken aus den Knollen einer Kapuzinerkresse.

Ein anderes Gericht heißt »Tubers« mit Olluco und Kartoffel. Peru verzeichnet um die 4000 Kartoffelsorten. Olluco, auf Deutsch Knollenbaselle, kommt in gelb, orange, rot und lila gesprenkelt.  Ungeschält und roh in dünne Scheibchen geschnitten, verpassen sie einer gekochten Kartoffel, die so lang ist wie eine Kinderhand, einen Hauch von Birne und Anis. Der krönende Abschluss: »Cacao from Moray«. Die Spaghetti aus hausgemachter Schokolade schmelzen am Gaumen. Chaco, eine gekrümelte Heilerde aus dem Altiplano kontrastiert dazu wie Krokant. »Alles ist sehr durchdacht“, sagt Pía León, »du isst nicht nur gut, sondern lernst etwas und nimmst etwas mit«.               


Mil

Die Location ist im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Der quadratische Lehmbau im Stil einer Lama-Schutzhütte thront auf 3750 Metern Höhe über dem Moray. Die konzentrischen Kreise im Heiligen Tal fungierten einst als Agrarlabor der Inkas. So wurde im »Mil« das Hauptquartier von mater iniciativa eingerichtet, dazu eine Schokoladenmanufaktur und ein Studio für Lebensmittelkonservierung. Das alles erlebt der Gast, wenn er sich Zeit nimmt, vor dem Lunch mit einem Mitglied des Serviceteams Kräutergarten, Kartoffelacker und Forschungsstätte zu besuchen. Perfekt um die Gewächse kennenzulernen, die anschließend als Kunstwerke auf oder in handgetöpferten Keramiken auf dem Tisch landen.

Das kulinarische Abenteuer ist eine Aufführung in acht Akten. Die Ouvertüre: Brot mit einer Füllung aus Püree von Kokablättern und Mais, Krupuk-artige Crisps aus gefriergetrockneten Kartoffeln namens Chuña, und ein Würfel aus Teig vom Knolligen Sauerklee. Delikates Lammtartar schließt sich an, begleitet von nussig-schokoladigem Cracker aus Canihua, Samen vom Fuchsschwanzgewächs, sowie einer Creme mit leichtem Vanilleton aus Cabuya, eine Agave. Die hauchdünne Knusperschwarte vom Schweinebauch schmückt ein knallig lila Salat von Tarwi, eine Andenleguminose, und Avocado, der Pepp dazu ein rahmiger Balsam aus Baumchili namens Rocoto. Die feurige Paste gilt als Lebenselixier aller Peruaner.

Weiter geht‘s. Unter einer Haube aus Chaco-Klumpen verstecken sich Ollucos. Die zapfenartigen Knollen werden auf spicy Chincho- Blättern gedämpft, eine wildwachsende Tagetes. Mit diesem unvergleichlichen Gericht wird das »Huatia« zitiert. Darunter versteht man einen aus diesen Brocken aufgetürmten Ofen wie er bei Andenbauern seit Jahrtausenden gebräuchlich ist. Anstatt Weinbegleitung passt zu jedem Gang jeweils eine Infusion aus Nutz- und Heilpflanzen. Das krönende Finale gilt natürlich der Schokolade. Der seltene Chuncho-Kakao stammt aus dem tropisch schwülen Urubamba Tal und gilt als älteste Kakaosorte der Welt. Die Kerne werden fermentiert, geröstet, gecrusht und gerührt, die entstandene Kakaobutter nur mit Palmenzucker dezent gesüßt. Im Mund entfalten sich Aromanoten in unbekannter Vielfalt. Schokotafeln kann im Shop erwerben. Ein köstlicheres Mitbringsel aus dem Valle Sagrado gibt es nicht.

Kiki Baron
Autor
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