Auf den steilen Terrassen rund um den Ätna stellt Frank Cornelissen einen der außergewöhnlichsten Weine Europas her.

Auf den steilen Terrassen rund um den Ätna stellt Frank Cornelissen einen der außergewöhnlichsten Weine Europas her.
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Die Rebstock-Rebellen

Ihre Methoden sind oft eigenartig, und auch ihre Weine schmecken so gar nicht nach Mainstream. In einigen Ländern Europas machen schillernde Individualisten und schräge Typen Weine der ganz anderen Art. Vielleicht sind es sogar önologische Kunstwerke.

Andreas Tscheppe mag Insekten. Besonders der Hirschkäfer hat es ihm angetan. »Ein wunderschönes Tier, das die meiste Zeit unter der Erde verbringt«, schwärmt er. »Hirschkäfer erblicken für nur wenige Wochen das Licht der Welt, gerade lange genug, um sich fortzupflanzen.«
»Die Ruhe unter der Erde, die ein Hirschkäfer braucht, die muss doch auch einem Wein guttun«, sagt Tscheppe, dem bewusst ist, dass solch ein Satz bei den meisten Menschen nur ungläubiges Staunen hervorruft. Andreas Tscheppe ist nämlich kein entrückter Tierfreund, sondern Weinmacher, allerdings einer der etwas ungewöhnlichen Art. Allein schon die Etiketten seiner verschiedenen Weine sind bemerkenswert: Jede Flasche ziert ein Kleingetier, meist sind es Krabbelwesen. Der Wein mit dem Hirschkäfer ist am erstaunlichsten. Das Fass, in dem er reift, vergräbt Tscheppe nämlich tatsächlich in der Erde. Dort bleibt es einige Monate.

Das große Krabbeln: Insekten und Käfer zieren die Etiketten von Andreas Tscheppes Weinen.
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Das große Krabbeln: Insekten und Käfer zieren die Etiketten von Andreas Tscheppes Weinen.

Ein Winzer, der seine Fässer im Garten verbuddelt? Ist der Mann noch zu retten? Doch für Tscheppe ist das alles ganz normal. Er gehört zusammen mit Winzern wie Sepp Muster oder Roland Tauss zur österreichischen Alternativweinszene. Ihre »Orange-« oder »Natural-Weine« sorgten noch vor Jahren für viel Aufsehen und waren in der traditionellen Welt der Weinmacher heftig umstritten. Inzwischen ist das anders. In vielen Ländern der Welt bedienen sich immer mehr Winzer ausgefallener Methoden: Sie verzichten mitunter auf Schwefel, erzeugen maischevergorene Weißweine mit Farben wie Fruchtsäfte oder lassen ihre oft etwas trüben Flüssigkeiten in Amphoren reifen. So wie vor Tausenden Jahren in Georgien, der Wiege des Weinbaus dieser Welt.
In Europa liegt das Epizentrum der heutigen Naturweinszene im italienisch-slowenischen Grenzland zwischen Görz und Cormòns. In kaum einer anderen Region finden sich so viele Winzer, die ihre Weine ohne Zusätze und Eingriffe im Keller verarbeiten und Weißweine auf der Maische vergären. 

Naturwein-Pionier Sepp Muster hat sein Weingut in der Südsteiermark. 
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Naturwein-Pionier Sepp Muster hat sein Weingut in der Südsteiermark. 

Einer der Pioniere dieser eigenwilligen Weinerzeugung ist Josko Gravner im Friaul, im Collio-Gebiet. Lange Zeit betrieb Gravner einen ganz normalen Weinbau – seine Weine wurden schon vor rund dreißig Jahren hoch bewertet und waren notorisch ausverkauft. Bis er eines Tages nach Georgien reiste. Gravner kam aus dem Staunen nicht heraus. Genau wie ihre Ahnen vor 5000 Jahren, keltern kleine Winzer dort noch heute ihre Weine in Tonamphoren. Gravner war begeistert und ließ sich Amphoren schicken. Er experimentierte einige Jahre, bis 2001 sein erster Amphorenwein auf den Markt kam. Die Fachwelt war entsetzt. »Verdorben und untrinkbar«, so das Urteil. Das stachelte den streitbaren Winzer erst richtig an – der Rest ist Geschichte. Josko Gravner gilt heute als der Vater der modernen Weinantike und ist damit höchst erfolgreich.

Uralte Weinkultur: Josko Gravner stellt seinen Wein in Tongefäßen, tief in der Erde eingegraben, her. 
© Alvise Barsanti
Uralte Weinkultur: Josko Gravner stellt seinen Wein in Tongefäßen, tief in der Erde eingegraben, her. 

Ein Gebiet, in dem sich erst in jüngster Zeit eine dynamische Naturweinszene entwickelt hat, ist Sizilien. Genauer gesagt das Gebiet rund um den Ätna. Der Ätna ist mit einer Höhe von 3300 Meter der größte und zugleich aktivste Vulkan Europas. In regelmäßigen Abständen bricht er aus, zuletzt im März dieses Jahres. Nur selten richtet er größere Schäden an, weshalb er von den Einwohnern liebevoll »Monjibeddu«, der schöne Berg, genannt wird. Die Menschen hier haben ihm auch viel zu verdanken. 
Nirgendwo sonst in Sizilien ist das Land so fruchtbar wie rund um den Ätna. Der Boden ist ein komplexes Gemisch aus verwitterter Lava und Sedimenten aus der Kreidezeit, reich an Mineralien. Ziemlich ideal für Wein. Umso erstaunlicher ist es, dass am Ätna zwar seit drei Jahrtausenden Weinbau betrieben wird, aber erst in letzter Zeit in herausragender Qualität. Lange Zeit belieferte man Betriebe aus dem Norden, die damit ihre Weine aufbesserten. »Als ich hierherkam, hat niemand einen Wein in Flaschen gefüllt«, erinnert sich Frank Cornelissen, ein Belgier, der sich den Ätna gezielt ausgesucht hatte, um hier Wein zu machen. 
Vor mehr als zehn Jahren ist er hierhergekommen und hat begonnen, mit völlig anderen Qualitätsanforderungen Weine zu produzieren. Authentisch sollten sie sein, unverfälscht. Aus Rebsorten, die hier seit jeher angepflanzt werden, allen voran Nerello Mascalese, der derzeit als neuer Pinot Noir oder Barolo gehandelt wird.
In seinem früheren Leben war Cornelissen Broker und handelte mit den teuersten Weinen der Welt: Mouton Rothschild, Pétrus, Romanée-Conti und so weiter. Irgendwann langweilten ihn die Edeltropfen, immer gleichförmiger und kommerzieller seien sie geworden, erzählt er.

Cornelissen liebt das Ungewöhnliche, das Quer-gegen-den-Strich-Gebürstete. Die meisten seiner Reben sind in der traditionellen »Albarella«-Erziehung ausgepflanzt, die man nur noch selten in Südeuropa findet. Knorrige, alte Bäumchen ohne Drahtgestell stehen scheinbar wild durcheinander. Sie sind nicht höher als einen halben Meter. In Wahrheit steckt ein ausgeklügeltes System dahinter, das die händische Lese erleichtern soll. Dazwischen wachsen Oliven, Mandelbäume, Gemüse, duftende Bergminze und wilder Fenchel. Auch die Tatsache, dass am Ätna keine Monokultur betrieben wird, habe ihn damals veranlasst, sich hier mit seiner japanischen Frau eine neue Existenz aufzubauen. Steil und kurvig schlängelt sich die Straße zu dem abgelegenen Bergdorf Solicchiata. 
Überall in Sizilien herrscht im Sommer brütende Hitze, nur die Hänge des Ätnas sind vom gemäßigten Kontinentalklima geprägt. Die Kombination von vulkanischem Boden und speziellem Mikroklima machen das Terroir so einzigartig. Selbst der renommierte italienische Weinguide »Gambero Rosso« verleiht in seinen Ausgaben den Gewächsen vom Ätna längst Höchstbewertungen.

Auch kleine Quereinsteiger reizt mittlerweile das Gebiet rund um den Vulkan: Giuseppe Russo ist eigentlich Pianist. Vor einigen Jahren hat er das Weingut seiner Eltern in Passopisciaro übernommen und es zu einem Bio-Betrieb umgewandelt. Er produziert inzwischen viel beachtete Weiß- und Rotweine aus autochthonen Rebsorten und wurde in Italien sogar schon zum Winzer des Jahres gewählt.

Pianist Giuseppe Russo ist einer der vielen Quereinsteiger im Weinbau rund um den Ätna. 
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Pianist Giuseppe Russo ist einer der vielen Quereinsteiger im Weinbau rund um den Ätna. 

Alberto Graci wiederum war Banker in Mailand, bis ihn die Geldgeschäfte nicht mehr erfüllten und er in seine Heimat Catania zurückkehrte. Nun ist er beseelt von der Idee, authentischen Ätna-Wein herzustellen. Die ältesten Rebstöcke wurden 1904 gepflanzt und liegen zum Teil auf einer Höhe von 1100 Meter. Sein »Quota 1000«, ein reinsortiger Nerello Mascalese, zählt inzwischen zu den besten Rotweinen Italiens. 

Der Ätna ist längst zu einer Hochburg für Naturweine geworden, zumeist biologisch oder biodynamisch produziert, ohne Zusatzstoffe und möglichst ohne Eingriffe im Keller.

Alberto Graci ist von der Idee beseelt, authentischen Ätna-Wein herzustellen.
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Alberto Graci ist von der Idee beseelt, authentischen Ätna-Wein herzustellen.

Frank Cornelissen ist sicher der radikalste Vertreter dieser Gruppe. Die Rebstöcke werden überhaupt nicht mehr behandelt, »unnötige menschliche Eingriffe«, wettert Cornelissen. Die Lese erfolgt so spät wie möglich, oft erst Mitte November, danach werden die Trauben in Tonamphoren vergoren, die bis zum Rand in Lava eingegraben sind: vier bis sieben Monate, in Ausnahmejahren auch schon mal doppelt so lange. Geschwefelt werden die Weine so gut wie gar nicht. Cornelissens Weine sind allesamt offen, pur und ohne jegliche Maskierung. Nacktes Fleisch. Eine Direktheit, die manche überfordert, ja brüskiert. Kein Funken Gefälligkeit.

Der Boden um den Ätna ist reich an Mineralien – Frank Cornelissen nutzt das für seinen Weinanbau.
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Der Boden um den Ätna ist reich an Mineralien – Frank Cornelissen nutzt das für seinen Weinanbau.

Dem Vorwurf, die einzelnen Flaschen würden sich zuweilen stark unterscheiden, begegnet er gelassen: »Was glauben Sie, wie groß die Schwankungen bei Pétrus sind«, lächelt der Belgier verschmitzt. »Das habe ich damals als Broker ständig erlebt.«

Falstaff-Tipp

Weinkünstler aus Europa kennenlernen: Der neue »Just Taste«-Shop bietet die Chance, sich durch 600 Weine zu verkosten, online gibt es »Tasting Packs«.
Just taste
Stubenring 16, 1010 Wien
www.justtaste.com

Festewochenthema: Europa

Die Filmschau »Europa erzählen« geht davon aus, dass es eine gemeinsame Erzählung Europas nicht gibt – vielmehr zeichnet sie ihre Vielfalt aus. Mehr dazu:
»Europa erzählen«

Aus dem Falstaff Spezial Wiener Festwochen 2017

Herbert Hacker
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