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Espresso: Neapels kleine Schwarze

Für einen richtig guten Espresso muss man einiges beachten – die Neapolitaner wissen, wie man den kurzen Schwarzen richtig zubereitet, serviert und genießt.

Neapel ist die Kaffeehauptstadt der Welt. Zumindest, wenn es nach den Neapolitanern geht. Wer durch die Stehcafés der Stadt zieht, ist geneigt, ihnen recht zu geben: Prächtiges italienisches Design trifft hier auf die zeitlose Kunst des richtig starken Espressobrühens.

»Neapel sehen und sterben« ist ein zwar berühmtes Zitat, aber doch ein bisschen übertrieben – die Stadt ist weder brandgefährlich noch tödlich schön. Viel passender wäre: »Neapel sehen und ganz, ganz viel Kaffee trinken.«
Neapel ist eine der, wenn nicht die Hochburg italienischer Kaffeekultur. In jedem Häuserblock sind mindestens zwei Cafés ­zu finden, die eine Art Wohnzimmer-Ersatz sind für Neapolitaner mit ihren oft kleinen, sehr dunklen Wohnungen. Freunde treffen sich hier auf einen schnellen Tratsch, Familien unterbrechen ihren Sonntagsspaziergang, ­um mit den Nachbarn zu plaudern, und selbst als kaum des Italienischen mächtiger Fremder fühlt man sich nach drei Besuchen in ­der gleichen Bar als Stammgast akzeptiert.

Von Hipster-Kaffeetrends verschont geblieben

Die meisten dieser Bars sind schon seit sehr langer Zeit hier. Von dem aktuellen Boom an schicken Cafés mit teuren Bohnen, Single-Origin-Espresso und Filterkaffee, der nach Rhabarber, Tee oder Zitrone schmeckt, ist die Stadt komplett verschont geblieben. Kaffee in Neapel ist sehr klein, sehr heiß, sehr schwarz, sehr bitter, und das ist so selbstverständlich, dass Neapolitaner dazu nicht »Espresso«, sondern schlicht »caffè« sagen. Sicher, Cappuccino gibt es hier auch – aber der ist meist nur für alte Damen und Touristen.

Die Abnutzung macht den Charme

Auch Neapel hat große, berühmte Kaffeehäuser aus dem 19. Jahrhundert, in denen einst die Intellektuellen der Stadt verkehrten, und die optisch eher an Wien oder Paris als an Süditalien erinnern – etwa das »Gran Caffè Gambrinus«, das in jedem Reiseführer steht, oder das »Gran Caffè La Caffettiera«. Hier gibt es, ganz wie bei ihren Schwestern im Norden, bunte Torten, Kaffee mit Schlagobers und jede Menge fotografierende japanische Touristen. Interessanter aber sind die kleinen, alten Stehcafés. Die richtig guten bieten eine Ge­mütlichkeit und Vertrautheit, wie nur jahrzehntelanges Nicht-Renovieren es einem Ort verpasst. Es sind im Idealfall in Würde gealterte Orte, die mit jedem Gast, jedem Kaffee, jeder Abnützung schöner werden und die einen Zauber verströmen, den man nicht planen oder bauen, sondern sich nur erarbeiten kann.

Viele sind Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahre gegründet worden und haben sich bis heute sehr wenig verändert – und im besten Fall fühlt es sich so an, als läge das nicht am Stillstand, sondern an ihrer Vollkommenheit. Das berühmte »Caffè Mexico« auf der Piazza Dante etwa ist ein Musterbeispiel des Futurismus der 1950er-Jahre, mit knallorangen Röhren, die wie Stalaktiten von der Decke hängen, einer ebenso orangen Kaffeemaschine mit mächtigen Hebeln und Mitarbeitern in Matrosen-Outfits.

Im »Café do Brazil«, seit 1955 unverändert, steht der Barista wie ein Hohepriester auf einem Podest hinter seiner Kaffeemaschine, die Kaffeetrinker scharen sich an der Bar wie Gläubige um die Kanzel. Und im »Caffè Mastracchio« nahe der Via Toledo wird im­mer noch jeden Tag die Designertheke aus den 1960er-Jahren auf Hochglanz poliert.

Cafe do Brasil: Die traditionelle Bar am Vomero ist ein Tempel des Kaffees: Der Barista steht hier erhöht hinter seiner Maschine wie hinter einem Altar.
© Tobias Müller
Cafe do Brasil: Die traditionelle Bar am Vomero ist ein Tempel des Kaffees: Der Barista steht hier erhöht hinter seiner Maschine wie hinter einem Altar.

Rituale: in maximal drei Schlucken trinken

Zahlreiche kleine Rituale gehören in Neapel zum Kaffeehausbesuch: Der Kaffee wird in ein, zwei, maximal drei Schlucken getrunken, eine Prozedur die selten mehr als zwei Minuten in Anspruch nimmt und aus der Zeit stammt, in der der Espresso erfunden wurde: als schneller Kick für die Fabrikarbeiter, denen die Stechuhr keine lange Kaffeepause gönnte. Es gehört zum guten Ton, dem Barista – ­es sind so gut wie ausnahmslos Männer – pro Espresso 10 Cent Trinkgeld auf die Bar zu legen. Das funktioniert besonders gut, weil ein Espresso, im Stehen genossen, fast immer 90 Cent kostet. Inkludiert ist ein Glas Wasser, wahlweise mit oder ohne Kohlensäure, mit dem der Mund entweder für den Kaffee vorbereitet oder danach vom gar bitteren Geschmack befreit werden kann. Oft wird der Kaffee bereits vom Barista vorgezuckert, ähnlich, wie in Japan der Sushimeister über die richtige Menge Sojasauce und Wasabi für den Fisch entscheidet. Wer das nicht will, muss den Kaffee »amaro«, bitter, bestellen. 

Hygiene-Tipps für traditionelle Bars

Die Tassen werden in traditionellen Bars in kleinen Wasserbecken mit sehr heißem Wasser gelagert, um sie zu desinfizieren und warm zu halten. Wer der Hygiene trotzdem nicht vertraut, dreht seine Kaffeetasse so, dass er sie mit der linken statt mit der rechten Hand zum Mund hebt, weil diese Seite der Tasse weniger oft benutzt wird. Und wem die Tasse nach dem Wasserbad ­zu heiß ist, der kühlt den Rand zuerst mit ­ein wenig Kaffee, mit dem kleinen Löffel ­auf den Rand gestrichen, ab.

Zwei Kaffee zahlen, nur einen trinken

Weil Neapolitaner auf viel verzichten können, aber sicher nicht auf Kaffee, ist eine ­Spezialität der Stadt der Caffè sospeso, der »aufgeschobene« Kaffee: Der Kunde bezahlt dabei für zwei Kaffee, trinkt aber nur einen. Der zweite wird für einen noch unbekannten Gast aufgehoben, der sich selbst keinen Kaffee leisten kann. Die nachbarschaftliche Praxis ist alt, war aber lange vergessen und erlebte erst dank der Wirtschaftskrise und zahlreichen afrikanischen Flüchtlingen einen kleinen neuen Aufschwung. Mittlerweile wird ­in manchen Lokalen sogar »Pizza sospeso« angeboten. (Das ist nicht ganz so großzügig, wie es für Mitteleuropäer klingt: In ­Neapel ist Pizza zum Mitnehmen schon f­ür 1,50 Euro zu haben.)

Die fünf M für guten Kaffee

Die Neapolitaner sind stolz auf ihren Kaffee und die Kultur drumherum. Für guten Kaffee, erzählen sie, sind die fünf M ausschlaggebend: »miscela«, die Mischung der Bohnen ­– meist werden mehrere Robustas und ein ­wenig Arabica gemischt; »mulino«, die rich­tige Mühle und der richtige Mahlgrad – gute Baristi, sagt man, passen ihn an das Wetter ­an; »macchina«, die Kaffeemaschine; »maneggio«, die richtige Bedienung (in Neapel kommen so gut wie ausschließlich manuelle Espresso-Maschinen mit großen Hebeln zum Einsatz, automatische Maschinen mit Knöpfen sind verpönt); und »mantenimento«, die gute Pflege der Maschine, die regelmäßig geputzt werden und makellos sauber sein muss.

Zu günstige Preise für Starbucks

Alte, stark ausgeprägte Traditionen und sehr günstige Preise machen es für Nespresso und Starbucks schwer, hier Fuß zu fassen. Büros und Geschäfte haben meist keine ei­gene Kaffeemaschine, sondern rufen in der nächsten Bar an und lassen sich ihren Kaffee liefern. Wer durch die Stadt geht, wird regelmäßig jungen Männern, den Kaffeeboten, mit Tabletts und kleinen Plastiktassen oder Gläsern begegnen, ähnlich wie die Tea Boys in Indiens und Nordafrikas Städten. Auch die Restaurants bieten selten Kaffee an, sondern lassen für die Gäste ins Lokal liefern. Und wer dann immer noch nicht genug hatte, kann sicher sein: Auf seinem Heimweg wird es jede Menge Gelegenheit geben, noch viel mehr Kaffee zu trinken.


TIPP

Kaffee trinken mit dem »König von Neapel«.
Amedeo Colella, der sich selbst der »König von Neapel« nennt, leitet amüsante kulinarische Führungen durch die Stadt – Kaffee inklusive. www.culinarybackstreets.com


Erschienen in
Falstaff Rezepte 02/2019

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Tobias Müller
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