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Essay: Geliebte Paréa

Genuss ist in Griechenland ein sozialer Akt. Gegessen wird mit der »Paréa« – der Clique, den Menschen, mit denen wir beisammen sind. Denn alleine ist auch das Paradies nur eine andere Hölle. Der deutsch-griechische Journalist Michalis Pantelouris mit einer Liebeserklärung an seine zweite Heimat.

Die Terrasse auf dem Hügel mit den Tischen voller kleiner Teller fühlt sich an wie einer der schönsten Orte der Welt, zumindest für die, die das Glück haben, hier zu sein. Ein Traum, eigentlich so, wie Griechenland immer ein Traum ist – ein Traum vom einfachen, glücklichen Leben im Licht der Mittelmeersonne, einem Ort, den die Götter sich als Sitz ausgesucht haben. Hier hat die Geschichte Europas begonnen. Hier ist der Ursprung jeder Idee, die wir je verfolgt haben: von der Herrschaft des Volkes, jedes Einzelnen, über das eigene Schicksal. Vom Verstehen der Welt durch die Vernunft und die Wissenschaft. Und von der Geschichte, dem Fühlen der Welt durch das Erzählen – die Poesie, das Theater, die Tragödie. Hier hat es begonnen.

Heute hat Griechenland nichts mehr von seiner antiken Größe und immer noch alles, was sie inspiriert hat. Wenn man weiß, wo man suchen muss. Man spürt die Kraft der eigenen Neuerfindung zum Beispiel in den Restaurants jener jungen Köchinnen und Köche, die in den Krisenjahren ins Ausland gegangen sind wie so viele ihrer Generation, und die in vergangenen Jahren zurück in der Heimat die Impulse setzen.

Die Hälfte aller Griechen lebt in Athen, doch jede Familie hat »das Dorf«, aus dem sie stammt – und in dem sie ihren Garten betreibt. Für den Deutsch-Griechen Michalis Pantelouris, Jahrgang 1974, liegt dieses Dorf auf der Insel Evia. Dort verbringt der Olivenöl-Experte und Chefredakteur der Zeitschrift »Max« seine Sommer – sonst lebt er in Hamburg und Wien.
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Die Hälfte aller Griechen lebt in Athen, doch jede Familie hat »das Dorf«, aus dem sie stammt – und in dem sie ihren Garten betreibt. Für den Deutsch-Griechen Michalis Pantelouris, Jahrgang 1974, liegt dieses Dorf auf der Insel Evia. Dort verbringt der Olivenöl-Experte und Chefredakteur der Zeitschrift »Max« seine Sommer – sonst lebt er in Hamburg und Wien.

Restaurants wie das vor zwei Jahren eröffnete »Bostani« auf der Kykladen-Insel Sifnos sind Kinder des neuen Griechenlands, und weil Griechenland sich so oft neu erfunden hat, muss man sagen: des ganz neuen, des Nachkrisen-, Nach-Covid-Griechenlands. Der Name Bostani bezeichnet eigentlich einen Garten am Haus, in dem die Kräuter für die Küche wachsen. Küchenchef Nick Thomas – ein Grieche, nur der Name ist anglisiert – kocht auf hohem Niveau farm-to-table, was in Griechenland einigermaßen neu ist, und gleichzeitig das Normalste auf der Welt. Die meisten Griechen, zumindest die außerhalb von Athen, haben einen Garten, in dem sie Gemüse und Kräuter ziehen. Einen Zitronenbaum vielleicht. Oliven. Oregano wächst überall wild. Die griechische Küche, also die echte griechische Küche, die es nie wirklich bis nach Deutschland geschafft hat, lebt nicht von Rezepten, sondern der Qualität der Produkte. Wer einmal am Mittelmeer eine Tomate gegessen hat, hat in deutschen Supermärkten ja nur noch die Wahl, ob er lachen oder weinen soll. Das ist in Wahrheit die erste von den wenigen – nämlich zwei – Zutaten der griechischen Küche: intensiver Geschmack.

Eine Welt, wie sie sein soll

Die zweite elementare Zutat der griechischen Küche ist die »Paréa«, ein Wort, das es im Deutschen nicht gibt. Wenn Sie einen Griechen fragen, wird er sagen, es bedeutet so viel wie »Clique«, aber das stimmt nur teilweise. Es meint die Gruppe der Menschen, mit denen wir jetzt gerade zusammen sind. Es ist vielleicht das wichtigste Wort, das Sie kennen müssen, wenn Sie Griechenland verstehen wollen.

Alles hier ist ein sozialer Akt in dem Sinne, dass Menschen zusammenkommen. Wir haben es gerade erlebt, in der sogenannten Euro-Krise: Ihren letzten Groschen geben Griechen im Kafeneion aus, unter Menschen. Vor die Wahl gestellt, im besten Restaurant der Welt zu essen oder mit der besten Paréa, würden Griechen fragen: Was soll da die Wahl sein? Allein ist das Paradies nur eine andere Hölle. Mit wem soll man reden, streiten, lachen, trinken und tanzen? Und was soll ein Leben sein ohne das? Nein, Essen ist nichts, das man allein macht.

 

Es herrscht eine völlig falsche Einschätzung von Griechenland, und die Griechen überall auf der Welt haben dazu beigetragen.

 

Eine griechische Tafel ist voll mit kleinen Gerichten, von denen sich jeder nimmt. Alles ist ein sozialer Akt. So funktioniert das Land. Jeder hier hegt ein tiefes Misstrauen gegenüber dem bestenfalls zu drei Viertel gut funktionierenden Staat und eigentlich allen Institutionen, und das aus leidvoller Erfahrung, aber wir hier, wir essen gemeinsam. Wir sind eine gute Paréa. Es ist die gute Welt – wie sie sein soll.

Macht der Beziehungen

Es gibt eine völlig falsche Einschätzung von Griechenland, und Griechen überall auf der Welt haben dazu beigetragen. In der Euro-Krise, die vor 15 Jahren begann, war das freundliche, menschliche, sorgenfreie Griechenland in der Wahrnehmung plötzlich ein korruptes, zurückgebliebenes, unverschämtes Land. Beide Wahrnehmungen waren falsch, aber gerade in Deutschland kam hinzu, dass die meisten Menschen, die glaubten, Griechenland zu kennen, in Wahrheit griechische Inseln in den Sommermonaten und »ihren« Griechen von der Taverne »Samos« an der Ecke kennen – in der es einen Herkules-Teller mit Metaxa-Soße gibt.

Alles Dinge, die man in Griechenland zum Glück so wenig findet wie einen Ouzo vor dem Essen, also die effektivste Möglichkeit, die Geschmacksknospen zu betäuben. Der Wirt hat gerne jahrelang die Vorurteile bestätigt, dass man in seiner Heimat nicht alles so genau nimmt, denn der Ruf von uns Griechen als Lebenskünstler hat uns bis dahin unendliche Sympathie eingebracht. Wirklich gestimmt hat er nie. Der, nun ja, Vorteil eines schlecht funktionierenden Staates ist nur, dass man aufwächst mit der natürlichen Gewissheit, dass alles, worauf du dich verlassen kannst, die ­Verbindungen zu Menschen sind. Deine Familie, deine Freunde, deine Paréa.


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Michalis Pantelouris
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Von Redaktion