Dass Frauen beim Schlachten selbst Hand anlegen ist keine Seltenheit mehr.

Dass Frauen beim Schlachten selbst Hand anlegen ist keine Seltenheit mehr.
© Jakub Kapusnak

Female Butcher: Frauen behaupten sich in einer Männerdomäne

Sie trotzen dem Vorurteil, Schlachten sei nichts für Frauen: ein Porträt über moderne Fleischenthusiastinnen und ihren persönlichen Zugang zu einer zutiefst archaischen Handlung, die schon lange nicht mehr den Männern vorbehalten ist.

20 Sekunden. Mehr dürfen zwischen Bolzenschuss und Stechen, dem Öffnen der Venen von Schlachttieren, nicht vergehen. So verlangt es das durch Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 europaweit einheitlich geregelte Tierschutzgesetz bei Schlachtungen.
20 Sekunden, die für Isabell Wiesner höchste Konzentration bedeuten. Weitere anwesende Personen – in der Regel sind das Teilnehmer an den von ihr und ihrem Mann Christoph angebotenen Schlachtkursen – dürfen sich der Landwirtin in dieser Zeit auf höchstens drei Meter nähern. »Ich hatte mal einen Fotografen dabei, der lag fast unter der Sau. Wenn ich schießen und stechen muss, kann ich aber keine Rücksicht darauf nehmen, ob jemand freie Sicht hat. Seither bestehe ich auf Abstand«, erklärt Wiesner. Andernfalls könne sie eine tiergerechte, sprich möglichst angst-, schmerz- und stressfreie Schlachtung nicht gewährleisten – was Wiesner zutiefst widerstrebt.

Routiniert, aber keine Routine

Stressfrei zu schlachten, bedeutet, das Tier in seiner gewohnten Umgebung zu erlegen, also etwa am Feld in der Herde, so wie es auch Isabell und Christoph Wiesner handhaben. Seit 1999 züchten die beiden Aussteiger auf ihrem Bio-Hof »Arche De Wiskentale« in Wischathal in Niederösterreich Mangalitza-Schweine in Freilandhaltung. An ihre erste Tötung erinnert sich Isabell Wiesner noch genau: eine Ziege, kurz vor dem Sterben, die sie von ihrem Leid erlösen wollte. »Es war nicht so, dass ich mich geweigert hätte, aber bis dahin war für mich immer klar: Christoph schießt. Er war allerdings auf Urlaub. Am Telefon hat er mir dann erklärt, wo ich den Schlachtschussapparat ansetzen muss«, erzählt Wiesner. Heute schießt und sticht einmal sie, einmal ihr Mann, je nachdem, wer in der besseren Position ist, um rasch handeln zu können.

»Es sind immer Respekt und Demut dabei, egal wie oft und wie viel wir schlachten. Das ist wichtig, nur so können wir eine gute Qualität liefern.«
Isabel Wiesner, Landwirtin

Isabelle Zernitz-Wieser
© Jürgen Schmücking

Keine reine Männersache

Ihr Wissen und ihre langjährige Erfahrung in der Zucht, Schlachtung und Verarbeitung von Mangalitzas geben Isabell und Christoph Wiesner regelmäßig bei Kursen und Workshops im In- und Ausland weiter. Unter den Teilnehmern sind so gut wie immer Frauen. Klischeehaftes Denken ist hier allerdings fehl am Platz, auch wenn das Schlachten und Zerlegen größerer Tiere eine gewisse körperliche Kraft erfordert, die Frauen gerne abgesprochen wird. »Wenn die Sau 150 Kilo wiegt, tut sich jeder schwer, egal ob Mann oder Frau«, stellt Isabell Wiesner klar. Viele Teilnehmerinnen wollen sich in erster Linie bewusster mit dem Thema Fleischkonsum auseinandersetzen und einen besseren Einblick in das Produktionssystem erhalten.

Zu ihnen gehört etwa Ernährungs- und Gesundheitswissenschaftlerin Theres Rathmanner, die von ihrer Kursteilnahme auch beruflich profitiert. Diskussionen rund ums Fleischessen könne sie nun authentischer und anschaulicher bestreiten, auch wenn sie bei Schlachtungen bislang nur Zuschauerin war. »Für mich wäre es nur konsequent, auch ­einmal selbst zu schlachten. Diesen Schritt habe ich aber noch vor mir«, so Rathmanner. Auch Haubenköchin Simone Jäger war ­bereits drei Mal zu Gast auf der Arche. Ursprünglich hätte sie das Erlernte als Küchenchefin eines Heurigen mit eigener Schweinehaltung anwenden sollen. Vor dem ersten Bolzenschuss kam jedoch der Jobwechsel »Die Verarbeitung ganzer Tiere habe ich schon in der Ausbildung gelernt. Es ist aber ein Unterschied, ob du nur zerlegst oder auch tötest und ausweidest. Zuletzt habe ich ­Isabell beim Kaltrühren des Blutes assistiert, allein das ist eine andere emotionale ­Ebene«, sinniert Jäger.
Tatsächlich selbst Hand angelegt hat schließlich Neo-Landwirtin Alexan­dra Kaminek. Gemeinsam mit ihrem Mann Oliver bewirtschaftet sie seit 2011 den »Biohof No. 5« in Wien-Stammers­dorf, auf dem Mangalitzas und Hühner gehalten und für den Eigengebrauch geschlachtet werden. »Unsere erste Schlachtung haben wir versemmelt, das Tier ist uns entwischt. Wer schon einmal versucht hat, ein ausgewachsenes Schwein auf einem 0,5 Hektar großen Gelände zu fangen, weiß, dass das eher aussichtslos ist«, erinnert sich Kaminek. Drei Tage später stand Familie Wiesner unterstützend zur Seite, seither verläuft jede Schlachtung auch im Alleingang reibungslos. Um das Fleisch in der Buschenschank und ab Hof verkaufen zu können, werden Tiere auch vereinzelt zur Schlachtung zum Fleischer gebracht. Für ­Kaminek geht dabei aber ein wesentlicher Aspekt verloren: »Schritte auszulagern, ist zwar arbeitserleichternd, aber nicht befriedigend. Christoph und Isabell haben uns beigebracht, in Ruhe und mit Bedacht nose to tail zu zerlegen und zu verarbeiten. Das kann ein Fleischer gar nicht leisten.«

Die Haubenköchin Simone Jäger ist gern gesehener Gast bei der Arche.
© Stefan Fürtbauer
Die Haubenköchin Simone Jäger ist gern gesehener Gast bei der Arche.

Internationale Bewegung

Auch im Ausland steigt die Zahl der Fleisch­liebhaber, die wissen wollen, wie Tiere fachgerecht getötet und verarbeitet werden. Entsprechend groß ist mittlerweile das Angebot an Schlachtkursen, allen voran in den USA. Treibende Kraft hinter der weiblichen Nose-to-tail-Bewegung ist die Kalifornierin Kate Hill. Die gelernte Köchin lebt und unterrichtet seit 1990 die Kunst der französischen Charcuterie auf ihrem Bauernhof »Camont« in Frankreich, von wo aus sie die ganze Welt bereist, um Laien wie Fachleuten gleichermaßen die Metzgerskunst zu lehren. 2011 gründete sie das internationale Frauennetzwerk »Grrls Meat Camp«, über das sich Bäuerinnen, Metzgerinnen, Köchinnen und andere Frauen gegenseitig unterstützen und ihr Wissen über die Fleischverarbeitung ­teilen. Nach Treffen auf amerikanischen ­Farmen fand 2016 aufgrund der hohen Nachfrage junger Bäuerinnen auch erstmals ein Workshop in Australien statt. Fleisch und traditionelle Geschlechterrollen, das war wohl einmal.

Vollständiger Artikel in falstaff KARRIERE 05/2017.

Sonja Planeta
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