Kalte Küche: 39 Prozent der Deutschen kochen einer Umfrage zufolge täglich. Die Zahl sinkt.

Kalte Küche: 39 Prozent der Deutschen kochen einer Umfrage zufolge täglich. Die Zahl sinkt.
© Gina Müller

Lieferservice: Von Pizza über Burger bis zu schwarzem Trüffel

Monatlich 22 Millionen Liefergerichte deutschlandweit: Der Lieferdienst-Markt ist dynamisch, kompetitiv und setzt nun auch auf gehobene Küche.

Den ganzen Winter über sah man immer wieder Pink. Nicht nur auf den Straßen der Großstädte, sondern auch in den Medien. Der strapaziöse Arbeitsalltag der pink gewandeten »Foodora«-Radboten war laufend »talk of town«. Zwischendurch verkündete »Ubereats« dann seinen Launch in Wien – als erster deutschsprachiger Stadt –, und der Online-Essenslieferdienst »Delivery Hero« schluckte seinen Konkurrenten »Foodpanda«. Die Berliner von »Delivery Hero« erfreuen sich aktuell an einer Firmenbewertung von 3,1 Milliarden US-Dollar. Damit ist man neben »Spotify« das höchstbewertete Start-up Europas.

Genau genommen bräuchte man nicht einmal einen genaueren Blick in die Zahlen zu werfen, um zu realisieren: Dieser Markt ist in Bewegung – und die Klimax noch nicht erreicht. 22 Millionen Deutsche bestellen laut Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMA) mindestens einmal im Monat und das deutsche Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vermeldete unlängst, dass die Kochlust weiter abnimmt. Zwar ist die Zahl von 41 Prozent, die 2015 angaben, täglich selbst kochen, nur auf 39 Prozent gesunken – aber dennoch: Es skizziert ein Bild, das Essenslieferdienste und Investoren nur zu gerne betrachten. Und: Es sollte auch Gastronomen inspirieren!
Nun ist der Pizzakurier keine neue Erfindung und auch der Inder, der neben Vindalho auch Schnitzel und Kebab zustellt, ist längst eine lieb gewonnene Institution. Quasi der Tante-Emma-Laden der Lieferdienste. In welchem Land auch immer: Pizza und Burger sind nach wie vor die Favoriten – und werden das vermutlich auch noch eine Weile bleiben. So bestätigt etwa Bodo von Braunmühl, seines Zeichens Head of Corporate Communications bei »Delivery Hero«: »Es stimmt, dass Deutsche und Österreicher beim Bestellen von Essen noch vergleichsweise konservativ sind. Bei uns ist das traditionelle Bild vom Pizzaservice noch stärker verankert als in anderen Ländern.«
»Foodora«, das zum »Delivery Hero«-Netzwerk gehört (wie z. B. auch »Lieferheld.de« oder »yamm.at«), besetzt dagegen ein ganz anderes Segment. »Wir achten bei der Auswahl unserer Partnerrestaurants immer darauf, unseren Kunden die Gerichte der angesagtesten Restaurants der Stadt nach Hause, ins Büro oder im Sommer auch in den Park zu bringen«, erklärt Vincent Pfeifer von »Foodora« Österreich. Die Restaurants werden »nach bestimmten Kriterien kuratiert. Dazu zählen unter anderem die Art der Küche, eine passende Lage oder auch die Bewertung auf verschiedenen Portalen.« Die Anzahl der Partner konnte »Foodora« in Wien innerhalb eines knappen Jahres auf 250 verdoppeln. »Bei den Bestellungen haben wir innerhalb dieser Zeit ein Wachstum von 280 Prozent verzeichnet.« 400 Fahrer arbeiteten Anfang 2017 für das 2014 gegründete Start-up. Nur in Wien, versteht sich. International sind es 7000.

Pflicht: Service-Orientierung

Mit »&samhoud places« hat »Foodora« in Amsterdam sogar ein Zwei-Sterne-Lokal auf seiner Menükarte. Es sind nur wenige Gerichte, die zugestellt werden, aber das Beispiel zeigt, wohin der Weg gehen könnte. Zumindest für eine kleine, spezielle Zielgruppe. »Gehobene Küche ist mit Sicherheit ein Trend und wird nach unserer Einschätzung weiter stark wachsen«, sagt etwa von Braunmühl vom Vermittlerriesen »Delivery Hero«, der alleine im Headquarter 1000 Mitarbeiter beschäftigt. »Haubenküche ist realistisch, aber der Fokus liegt auf Qualitätsessen mit breiterer Auswahl.«
Das Geschäft ist und bleibt dabei ein lokales, auch wenn es cross-europäische Netzwerke sind, die den Markt unter sich aufteilen. Für die Gastronomen, die mit dem Außer-Haus-Gedanken liebäugeln, heißt es: Prioritäten setzen und Entscheidungen treffen. Will man selbst seine Fahrer auf den Weg schicken und nur etwa zehn bis 15 Prozent Provision für die Vermittlung abgeben oder voll und ganz auf die Logistik der großen Namen setzen? Um die 30 Prozent sind fällig, wenn man sozusagen das Full-Service-Paket wählt – dafür profitiert man als kleines Restaurant aber auch vom Marketing-Impact und Know-how der Partner.
Übrigens ist auch das keine neue Erfindung. Das französische Unternehmen »Resto-in« übernahm bereits 2006 die Logistik für ausgewählte Pariser Restaurants. Über zehn Jahre später wird den Restaurants die gesamte Technologie gestellt – zur Bestellaufnahme, Auslieferung oder fürs Tracking. Abschrecken sollte einen das nicht, wie von Braunmühl versichert – der dabei einen der Sätze formuliert, die man verinnerlichen sollte: »Man muss nicht technikaffin sein, sondern serviceaffin. Für uns ist es essenziell, dass ein Gastronom ›Foodora‹-Kunden mit der gleichen Hingabe bedient wie seine Restaurantgäste.« Ob der Fahrer dabei durch den Hintereingang ins Lokal geschleust wird oder beim Haupteingang reindarf, ist reine Geschmackssache und hat herzlich wenig mit der Qualität der Speisen zu tun.

80 Prozent via Telefon

Der »Food Delivery Market« ist nicht nur ein, sondern aktuell der gewichtigste Part des »Internet of Food« (IOF). Mit dem Flyer in der Hand die Pizza del Casa zu ordern, ist nach wie vor Usus – 80 Prozent der Österreicher greifen laut Studie aus dem Jahr 2015 zum Handy, nur acht Prozent tippen auf eine App. Man darf aber davon ausgehen, dass sich diese Parameter werden verschieben werden. Auch die Barzahlung an der Tür wird zwar vielleicht nicht gänzlich verschwinden, aber seltener. Ganz zu schweigen vom quälenden »Wo bleibt mein Essen?«-Gedanken, den wohl jeder kennt, der sich ab und an was kommen lässt.
Es gilt, den Überblick zu bewahren. Laut Marketagent-Studie wird die ideale Lieferzeit eines Zustellservices mit 28 Minuten beziffert (Mittelwert), knapp unter 40 Minuten sind gerade noch akzeptabel für die Befragten. Unter 15 Minuten wird sogar mit schlechter Qualität assoziiert. Viele Zahlen, die man für sich abwägen und gewichten muss. Das weiß auch Stefanie Heckel, Pressesprecherin von Dehoga. »Die Zusatzkosten müssen in der Gesamtkalkulation berücksichtigt werden. Mit Blick auf die Preissen­sibilität der Kunden und die Wett­bewerbs­situation sind Provisionen von 15 Prozent oder mehr eine große Herausforderung – die Branche ist ohnehin sehr arbeitsintensiv, die Personalkosten sind hoch und die Gewinnmargen oft gering. Im Liefergeschäft muss daher hochgradig professionell gearbeitet werden, damit es sich rechnet.« Auch Heckel geht davon aus, »dass es noch Wachstumspoten­zial gibt«.

Artikel aus Falstaff Karriere 01/17.

Nicola Afchar-Negad
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