In den Steilhängen von Randersacker vor den Toren Würzburgs gelangen die Silvanertrauben für Experimente wie »Pure Grapes« bis zur perfekten Reife.

In den Steilhängen von Randersacker vor den Toren Würzburgs gelangen die Silvanertrauben für Experimente wie »Pure Grapes« bis zur perfekten Reife.
© Michael Wilfling

Silvaner Superstar

In den 1960er-Jahren war der Silvaner Deutschlands wichtigste Rebsorte. Dann wurde es still um ihn, einzig Franken trug das Feuer der Tradition weiter. Und heute?

Es steckt eine extreme Energie in dem Berg«, sagt Horst Sauer aus Escherndorf und meint dabei die Weinberglage mit dem schönen Namen »Lump«. »Lump« nicht wie »Schurke«, sondern wie »Lumpen« – weil durch jahrhundertelange Erbteilungen Kleinstparzellen entstanden sind, dem Volksmund zufolge schmal wie ein Fetzen Stoff. Sauer besitzt gleich ein paar Hektar in diesem Steilhang, der sich wie ein Parabolspiegel an den Main schmiegt – und holt Silvaner vom Feinsten aus der Lage. »Der Lump ist ein Silvaner-Paradies, aber er fordert uns körperlich. Wenn du raufgehst, machst drei Schritte nach oben und rutschst zwei zurück, und wenn du runterläufst, geht’s so schnell, dass dir der Wind entgegenkommt.« Die Mühen lohnen sich jedoch für Sauer und seine Escherndorfer Kollegen, deren Weine die vielen Facetten des Silvaners zeigen, ohne ein unveränderliches Merkmal des Lump zu überdecken: seine rauchige Mineralität, die aus dem Muschelkalk im Boden kommt.
Für den Biowinzer Manfred Rothe aus Nordheim am Main spielt der Muschelkalk sogar im Keller eine Rolle, man könnte sagen: eine gewichtige. Denn Rothe nützt die Steine aus seinem Sommeracher Weinberg, um die Deckel seiner Tongefäße zu beschweren. Eine Gummidichtung sitzt auf der tönernen Öffnung der in der Erde versenkten Qvevris, auf der Dichtung ruht eine passgenaue Scheibe aus Edelstahl – und auf dieser Scheibe liegen vier, fünf größere Brocken Kalk. Im Tongefäß darunter wiederum ruht der Wein – auch nach der Gärung noch monatelang mitsamt den Beerenschalen. Und das nicht nur bei roten Trauben, sondern auch bei Frankens weißer Leib-und-Magen-Sorte, dem Silvaner.

Weingut Horst Sauer - Horst Sauer und seine Tochter Sandra holen aus der Escherndorfer Lage »Lump« rauchig duftende, kraftvolle Silvaner, deren Geschmack den Muschelkalk-Boden widerspiegelt.
© Michael Wilfling
Weingut Horst Sauer - Horst Sauer und seine Tochter Sandra holen aus der Escherndorfer Lage »Lump« rauchig duftende, kraftvolle Silvaner, deren Geschmack den Muschelkalk-Boden widerspiegelt.

Ausgelöst wurde Rothes Experimentierfreude durch die Suche nach einem Silvaner mit besonders langem Reifepotenzial. Zunächst begann er, mit Maischegärungen im Holzfass zu experimentieren. Auf einer Tagung über die historische Weinbereitung im Kaukasus knüpfte Rothe schließlich einen Kontakt nach Georgien – und konnte bald darauf zwei 1200-Liter-Gefäße erwerben. Im Herbst 2012 versenkte er erstmals einen Silvaner-Ertrag in einem seiner beiden Qvevris. Im Frühjahr 2013 kam dann der große Moment: »Beim Öffnen habe ich Blut und Wasser geschwitzt«, lacht Rothe. Doch der Wein war noch drin in den Qvevris – die Versiegelung der Poren mit Bienenwachs hatte gehalten. Und der Wein? Schmeckte so gut, dass Rothe diese Art der Silvaner-Kelterung seither in jedem Herbst wiederholt hat.
Rothes Pioniertat ist beispielhaft für die unbändige Lust an der Erkundung neuer Silvaner-Stile, die die Winzer erfasst hat – vor allem in Franken, aber nicht nur dort. Und nicht von ungefähr ist der Testsieger unserer Probe ein Wein, der das Beste des konventionellen Handwerks mit experimenteller Neugier verbindet. Letztlich könnte man den siegreichen und unisono hoch bewerteten Silvaner namens »Pure Grapes« sogar als eine Art Nachahmung der Qvevri-Weinbereitung mit moderneren technischen Mitteln bezeichnen. »Gemeinsam mit meiner Tochter und meinem Schwiegersohn haben wir uns Folgendes ausgedacht«, beginnt Armin Störrlein aus Randersacker zu erzählen: »Wir lassen die Silvaner-Maische wie beim Rotwein gären, Richtung Orange Wine. Aber mir gefällt die oxidative Sherry-Note nicht, daher wollten wir das Positive des Orange Wine mitnehmen, aber mit einem leichten Oxidationsschutz.«

Weingut Störten & Krenig - In den Steilhängen von Randersacker vor den Toren Würzburgs gelangen die Silvanertrauben für Experimente wie »Pure Grapes« bis zur perfekten Reife.
© Michael Wilflinger
Weingut Störten & Krenig - In den Steilhängen von Randersacker vor den Toren Würzburgs gelangen die Silvanertrauben für Experimente wie »Pure Grapes« bis zur perfekten Reife.

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie es bei der Planung gearbeitet hat in Störrlein, der von jeher für Weine bekannt ist, die handwerklich intelligent gemacht sind, ohne darüber im Stil technisch zu werden. Bislang standen sie für eine abgeklärte fränkische Klassik: trocken, ungekünstelt, langlebig. Jetzt haben Störrlein und sein Schwiegersohn Martin Krenig diesen Stil ins Experimentelle übertragen. Störrlein berichtet weiter: »Aus dem Ertrag alter Reben haben wir das Beste ausgesucht, absolut gesunde Trauben. Dann haben wir auf das übliche Mahlen verzichtet – wir haben ein neues Gerät, das die Beeren beim Entrappen intakt lässt.
Die ganzen Beeren haben wir dann randvoll in einen kreisrunden, zunächst oben offenen Stahltank gefüllt. Dann haben wir den Deckel mit Gärspund aufgesetzt. Schließlich beginnt im unteren Bereich des Gefäßes ganz langsam die Gärung, weil dort von selbst etwas Saft austritt. Und dann breitet sich die Gärung langsam aus, wobei …«, und nun lässt Störrleins Stimmfärbung mehr und mehr Begeisterung durchklingen, »noch ein zweiter Vorgang abläuft: Die Beeren gären nämlich auch innerlich, bevor sie aufplatzen und Saft freigeben. Ich hab’ nach dem Ende der Gärung Dutzende einzelne Beeren probiert, die schmecken alle anders, denn eigentlich ist jede Beere ihr eigener Gärbehälter!« Die Gärung dauerte bis Weihnachten, stets luftdicht abgeschlossen. Dann wurde die Maische schonend gepresst und der Jungwein trüb in Barriques abgezogen. Der Erstling aus dem Jahrgang 2015 war der Falstaff-Jury in der Blindprobe fulminante 96 Punkte wert. 

Weingut Reiss - Das Weingut von Martina und Christian Reiss besitzt Weinberge in Würzburgs Paradelage Stein – und nützt für einen ihrer Stein-Silvaner Tonamphoren aus Kreta für den Ausbau.
© Michael Wilfling
Weingut Reiss - Das Weingut von Martina und Christian Reiss besitzt Weinberge in Würzburgs Paradelage Stein – und nützt für einen ihrer Stein-Silvaner Tonamphoren aus Kreta für den Ausbau.

»Das Salz in der Suppe«

Natürlich stehen aber nicht ausschließlich Maischegärungen für die Dynamik der neuen Silvanerlandschaft Frankens: Manche Betriebe versuchen den Ausbau in einem Behälter aus Granit, andere nützen Beton-Eier, oder sie perfektionieren einfach die traditionelle Kelterung mit Spontangärung im großen Holzfass. »Dass dabei Weine entstehen, die polarisieren«, sagt Robert Haller vom Würzburger Bürger­spital, «ist doch gerade das Salz in der Suppe.« »Große Weine müssen polarisieren«, ist der Gutsdirektor überzeugt, der im eigenen Weingut in den letzten Jahren die kompromisslos trockene, auf Mineralität fokussierende Linie zugespitzt hat. Da Hallers Argument durchaus etwas für sich hat, widmet Falstaff im Tasting-Teil einen kleinen Abschnitt denjenigen Weinen, die zwar nicht die höchsten Durchschnittsnoten bekamen, über die jedoch am leidenschaftlichsten diskutiert wurde.
Bemerkenswert an der Nouvelle Vague des Silvaners ist zudem, dass sie fast alle Betriebsgrößen und -formen erreicht hat. Vorneweg gehen wie stets die kleineren Familienweingüter, doch auch in den großen Weingütern und sogar in den Genossenschaften ist jede Menge Bewegung – und Kollegialität. Die zwei am meisten exponierten Betriebe, die Würzburger Spitäler, haben in den letzten Jahren die stilistische Prägnanz ihrer Weine nochmals gesteigert. »Zudem sieht man auch in den Weinbergen, dass die Spitäler wieder führend sind«, sagt mit Björn Probst der Verwalter eines weiteren Weinbau-Schwergewichts, nämlich der Fürstlich Castell’schen Domänenverwaltung. 

Winzerhof Thörle - Die Hügellandschaft Rheinhessens ist die zweite Heimat des Silvaners – besonders auf Betrieben, die das Potenzial der Sorte erkannt haben wie demjenigen von Johannes und Christoph Thörle.
© Ullrich Knapp
Winzerhof Thörle - Die Hügellandschaft Rheinhessens ist die zweite Heimat des Silvaners – besonders auf Betrieben, die das Potenzial der Sorte erkannt haben wie demjenigen von Johannes und Christoph Thörle.

»Die Reben stehen außerordentlich gut ge­pflegt da. Aber nehmen Sie zum Beispiel auch einen anderen größeren Betrieb wie Wirsching. Stilistisch ganz anders als wir in Castell, aber da ist ungemein viel Zug dahinter, die sind innovativ und machen exzellente Arbeit.« Probst selbst muss sein Licht im Jahr eins nach der Berentung seines Vorgängers Karl-Heinz Rebitzer – Träger der Falstaff-Lebenswerk-Trophy – ebenfalls nicht unter den Scheffel stellen. Neben dem brillanten Großen Gewächs aus dem Schlossberg belegt dies auch der ungemein solide bereitete 2016er Basis-Silvaner »Schloss Castell«. »Wir stufen einzelne Partien Orts- und Lagenwein zu Guts-Silvaner ab und werten diesen dadurch natürlich auf«, so Probst.
Dabei ist es vielleicht auch generell eine der großen Tugenden der Sorte Silvaner, dass sie nicht nur an der Spitze der Qualitätspyramide überzeugt – sondern im gut gemachten Alltäglichen eine Stärke besitzt. Neben den polarisierenden Kelterungen widmen wir daher auch den Basisweinen und Schnäppchen einen Kasten auf den Tasting-Seiten des hinteren Heftteils. Gerade das Einstiegssegment legt aber auch einen Finger in die Wunde, wenn es um andere Silvaner-Herkünfte als Franken geht: Denn in der Pfalz, in Rheinhessen und in Baden – allesamt früher einmal bedeutende Silvaner-Regionen – ist die Imagekrise der Sorte noch nicht vorüber. Für den findigen Weinkenner hat dieser Umstand immerhin den Vorteil, dass sich dort interessante Weine für kleines Geld finden lassen.

Weingut Rothe - Biowinzer Manfred Rothe aus Nordheim am Main ließ sich zwei 1200-Liter-Qvevris aus Georgien kommen – und nützt sie zur Vergärung von Silvaner.
© Ulrich Sautter
Weingut Rothe - Biowinzer Manfred Rothe aus Nordheim am Main ließ sich zwei 1200-Liter-Qvevris aus Georgien kommen – und nützt sie zur Vergärung von Silvaner.

Doch dauerhaft kann der Silvaner-Aufschwung nur Bestand haben, wenn die Winzer für guten Wein auch anständige Preise erzielen. Neben Franken ist Rheinhessen hier die zweite treibende Kraft. Zwar ist es erst eine kleine Gruppe, deren Silvaner-Begeisterung ein gewissermaßen fränkisches Ausmaß erreicht hat. Doch ihre Exponenten senden starke Lebenszeichen, wie etwa der Winzerhof Thörle mit seinem Lagen-Silvaner »Probstey«, der sich in der Falstaff-Blindprobe als einziger Nichtfranke in der Best-of-Auswahl platzieren konnte. »Als wir den elterlichen Betrieb übernommen haben«, so Johannes Thörle, »war es meinem Bruder und mir ein Anliegen, die alten Sorten nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Ich selbst bin stark von Philipp Wittmann beeinflusst, der schon Anfang der 2000er-Jahre Westhofener Silvaner mit Holz gemacht hat. Wenn man Trauben halbiert, von Hand entblättert, eine Maischestandzeit, Holz- und Hefelagerung einsetzt, dann gibt das etwas ganz anderes als den frischen, nussigen Typ Spargelwein.«
Nachholbedarf sieht Thörle hingegen noch beim Prestige der Sorte, vor allem im Ausland: »Wir haben im Betrieb einen Exportanteil von vierzig Prozent, aber das kommt hauptsächlich durch Riesling und Spätburgunder zustande. Der Riesling hat dem deutschen Wein im Ausland Anerkennung verschafft. Bis die Sommeliers auch andere Sorten entdecken, dauert es.« Dabei, so Thörle, habe der Silvaner das Zeug dazu, im Export »ein zweites Standbein« zu werden: »Wir haben in Deutschland natürlich auch tollen fassgereiften Chardonnay und Sauvignon Blanc. Aber der Silvaner ist eben etwas ganz Spezielles. Das kann niemand sonst.«

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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