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Weingüter Wegeler: 36 Jahrgänge »Geheimrat J«

An historischer Stätte, in Wiesbadens Restaurant »Ente« im Hotel Nassauer Hof, luden die Weingüter Wegeler zu einer Zeitreise ein – zurück bis zum Jahr 1983, als in Deutschland erstmals ein hochkarätiger trockener Markenwein kreiert wurde: der nach Julius Wegeler benannte »Geheimrat J«.

Ende der 1980er Jahre erschien eine eigentümlich lange, schlanke Schlegelflasche auf dem deutschen Weinmarkt, die neben dem Etikett mit der Aufschrift »Geheimrat J« auch ein kleines Faltbriefchen um den langen Hals baumeln hatte. Dort fand der neugierig gewordene Weinkunde ein Konterfei von Geheimrat Julius Wegeler, und einige Erklärungen zum Sinn und Zweck dieses neuen Markenweins.

Solche Erklärungen waren unverzichtbar, denn zuvor waren Markenweine vor allem etwas für die unteren Etagen des Supermarktregals gewesen: Sie hießen »Liebfrauenmilch«, »Katzenstriegel«, »Sorgenhobel« oder so ähnlich und enthielten Weinqualitäten der einfachsten Art. Da große Mengen hinter solchen Etiketten standen, war das für Winzer und Genossenschaften trotz der niedrigen Verkaufspreise von vier oder fünf D-Mark ein gutes Geschäft, zu. Für den Ruf des deutschen Weins war es eine Katastrophe.

Ein völlig neues Markenversprechen

Mit dem »Geheimrat J« aber kam nun ein völlig anderes Konzept auf den Tisch – und es machte ein völlig neues Markenversprechen: Der Wein wurde als hochwertiger Rheingauer Riesling positioniert, vertrieben nicht im Supermarkt, sondern im Fachhandel und in der Gastronomie. Durch den Verschnitt von Grundweinen aus verschiedenen selbst bewirtschafteten Lagen wollte das Haus Wegeler seinen Kunden zugleich ein reproduzierbares Geschmacksprofil bieten, verlässlich beispielsweise bei der Speisenbegleitung, sowie stets – auch das damals revolutionär – im trockenen Bereich des geschmacklichen Spektrums.

 

Anja Wegeler-Drieseberg und Ralf Frenzel bei der Begrüßung der Gäste auf der berühmten Treppe in Wiesbadens Restaurant »Ente«.
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Anja Wegeler-Drieseberg und Ralf Frenzel bei der Begrüßung der Gäste auf der berühmten Treppe in Wiesbadens Restaurant »Ente«.

1983 war der erste Jahrgang, der von diesem Wein erzeugt wurde. Nahezu 40 Jahre später luden nun die Familie Wegeler gemeinsam mit dem heutigen Inhaber Ralf Frenzel und mit Wegeler-Geschäftsführer Richard Grosche zu einer Vertikalen nach Wiesbaden, die alle bis anhin erzeugten 36 Jahrgänge umfasste. »Heute, unter den Bedingungen des Klimawandels, ist das Konzept des Geheimrat J zeitgemäßer denn je«, unterstrich Richard Grosche in seinen Begrüßungsworten. Wurde in den 1980er Jahren der Verschnitt von Weinen aus mehreren Spitzenlagen vor allem dazu genützt, schwach reife Jahre in die Balance zu bringen, so kann das Cuvettieren heute dabei helfen, die Folgen von Hitze und Trockenheit auszugleichen. Und Ralf Frenzel, der als junger Sommelier in der »Ente« das damalige Wegeler-Team um Kellermeister Norbert Holderrieth maßgeblich mit beeinflusst hatte, das Wagnis eines solchen Weins einzugehen, bedauert nach vierzig Jahren eigentlich nur, dass der »Geheimrat J« heute preislich unterhalb der Großen Gewächse angesiedelt ist.

 

Heute, unter den Bedingungen des Klimawandels, ist das Konzept des Geheimrat J zeitgemäßer denn je.

 

Wie präsentierte sich der Wein nun aber in den vier Jahrzehnten, die zur Verkostung standen? Zunächst fiel auf, dass die ersten produzierten Jahre wahre Perlen sind, die heute noch ungewöhnlich vital und ausdrucksstark im Glas stehen. Mitte der neunziger Jahre wanderten dann die Restsüßegehalte an den oberen Grenzbereich der Definition »trocken«, und manche Jahrgänge spielen auch mit einem Hauch mehr an Botrytis, als man es aus den Anfangsjahren gewohnt war. In den 2010er-Jahren werden die Weine wieder trockener und fokussieren immer stärker auf Extrakt und Mineralität. Höchst beeindruckend ist jedoch quer durch alle Jahrzehnte, wie man eine komplexe Rheingauer Riesling-Identität im Glas wiederfindet, die zugleich auf ganz andere Art raffiniert ist, als es bei den großen Einzellagen-Charakteren im Format des Großen Gewächses der Fall ist. Trotzdem kann man, wenn man diese Weine probiert, nicht den geringsten Zweifel daran haben, wo im deutschen Riesling-Kosmos man sich befindet: im Herzen des Rheingaus. Zu den Komponenten verriet Kellermeister Michael Burgdorf, dass »oft Rüdesheimer Berg in der Cuvée ist, manchmal auch Eiserberg (also ein Gewann der Oestricher Lage Lenchen) oder Landgeflecht (ebenfalls Oestrich), und fast immer relativ viel Rothenberg (aus Geisenheim)«.

 

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland