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Abenteuer im Topf: Warum Brennesseln das köstlichste Unkraut überhaupt sind

Tobias Müller widmet sich den nicht alltäglichen Genüssen. Diesmal: Brennnessel-Risotto.

Nichts schmeckt so sehr nach Frühling wie frische wilde Kräuter. Das erste Grün, das aus der Erde stößt, vibriert nur so vor gerade erwachten Aromen. Wer es genießt, der fühlt auf der Zunge all die wundersame Kraft, mit der die noch winzige Pflanze in den kommenden ­wenigen Monaten zu blühender Größe ­treiben wird. Einer der ersten und vielseitigsten grünen Frühlingsboten ist die Brennnessel. Gerade jetzt, wenn sie jung und zart ist, schmeckt sie herrlich nach Frühlingswald und frisch erwachter Triebkraft, ein wenig krautig-­grün und zartbitter, ein bisserl nach ihrem Verwandten, der Minze, und nach einer ihr botanisch völlig fremden Pflanze, dem Grüntee, und ganz erstaunlich würzig.

So wie so vieles harmoniert sie besonders gut mit anderen Köstlichkeiten, die gleichzeitig Saison haben: Morcheln, Spargel oder frische Eier sind alle wunderbare Brenn­nessel-Begleiter, bei den Tieren bietet sich vor allem Fisch (Maischolle!) oder Wild (Maibock, der dem Namen zum Trotz schon ab 15. April geschossen wird) an. Die Brennnessel ist fast in ganz Eurasien verbreitet – und wird in vielen Gegenden schon sehr lange gegessen. Im Westen, in England, wird sie oft mit Haferflocken und Zwiebeln gemeinsam gekocht und dann in Speckfett zu einer knusprig-salzigen traditionellen Osterspezialität gebraten, dem »Dock Pudding«. Im fernen Osten, in Tibet, ist Brennnesselsuppe eine Art National­gericht, der tibetische Dichter und buddhistische Heilige Milaraspa soll sich im elften Jahrhundert jahrelang von nichts anderem ernährt haben, bis er grün wurde.

In Mitteleuropa ist die wohl verbreitetste Art, Brennnessel zu genießen, der Brenn­nesselspinat: Ich mische dafür gerne Brennnessel und klassischen Spinat etwa eins zu eins, weil der Brennnesselgeschmack trotzdem intensiv ist und es für eine Portion Brennnesselspinat für vier sonst erstaunlich viele Brennnesseln und Sammelaufwand braucht. Mit reichlich Obers oder ­Sauerrahm gemischt und mit einem Hauch Muskatnuss gewürzt ist er süchtigmachend gut und schmeckt ganz und gar nicht nach Reformhaus.

Krautig, frisch mit Aromen von Grüntee und Seegras: Brennnesseln sind erstaunlich komplex und köstlich.
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Krautig, frisch mit Aromen von Grüntee und Seegras: Brennnesseln sind erstaunlich komplex und köstlich.

Wer das Ganze feiner püriert und mit etwas gutem Fond oder Grüntee mischt, macht schnell herrliche Suppe daraus. Am besten mit pochiertem Ei und frittierten Brennnessel­blättern servieren – die schmecken für eine Waldpflanze erstaunlich wie Nori, getrocknetes Seegras, und sind ebenso knusprig. Und wer Brennnesseln lieber trinken statt essen will: Es muss nicht immer Brenn­nesseltee sein. Mit Brennnesselsirup (Tee machen, eins zu eins mit Zucker mischen) oder Infusion (in Alkohol einlegen) lassen sich herrliche Cocktails mischen. Meine liebste Brennnesselspeise aber ist vielleicht das Brennnessel-Risotto. Die Pflanze selbst hat eine natürliche Affinität zu Reis und die Italiener eine ebensolche zu Wildpflanzen – die Mischung ist daher ganz besonders gut.

Wer selber ernten geht, nimmt erstens Handschuhe mit und pflückt am besten nur die Triebspitzen samt den ersten ein, zwei Blattpaaren – darunter wird die Nessel ein wenig fasrig (immerhin wurden aus den Pflanzen jahrhundertelang Seile und Textilien hergestellt). Je frischer und jünger der Trieb, desto besser der Geschmack und die Konsistenz. Sammeln Sie im Zweifelsfall lieber an schattigen, kühlen Plätzen.

So geht Risotto mit Brennnesseln

Gießen Sie einen bis eineinhalb Liter Suppe oder Grüntee in einen Topf und waschen Sie den Risottoreis (etwa eine große Tasse) darin. Abseihen. Das sorgt dafür, dass Sie die Reisstärke ungetoastet in die Suppe bekommen, was gut für die Sauce ist. Geben Sie so viele gut gewaschene Nesseln in den Topf, wie Sie in die Flüssigkeit packen können. Zum Kochen bringen, von der Hitze nehmen und wie einen Tee ziehen lassen. Zwei weitere ordentliche Hände Brennnesseln kurz dämpfen, bis sie gerade einmal ein wenig zusammen gefallen sind – zwei, drei Minuten reichen völlig, es geht nur darum, die Nesseln ein wenig zu disziplinieren. Sie können natürlich auch die Nesseln aus der Suppe weiterverarbeiten, statt eine frische Portion zu verwenden. Da Brennnesseln aber wirklich kein knappes Gut sind, arbeite ich hier gern verschwenderisch. Den Großteil mit etwas Dämpfwasser sämig pürieren und einige gedämpfte Blätter ­aufheben.

Ordentlich Butter in einem großen Topf mit schwerem Boden schmelzen. Zwei klein gehackte Frühlingszwiebeln (oder wilde Zwiebeln, wer welche findet) darin auf mittlerer Hitze braten, bis die sie glasig geworden sind. Die Hitze etwas hochschalten und den Reis drei, vier Minuten mitbraten, bis alles ein wenig getoastet riecht. Mit einem kräftigen Schuss sehr trockenem Weißwein ablöschen und die Flüssigkeit verdampfen lassen. Hitze auf mittel zurückschalten. Die Suppe abseihen. Zwei Schöpfer zum Reis geben und bei gelegentlichem Rühren verdampfen lassen. So lange wiederholen, bis der Reis al dente gekocht ist. Inzwischen einige schöne Brennnessel­blätter gut trocken tupfen und in etwas Pflanzenöl knusprig frittieren. Auf Küchenpapier gut abtropfen lassen. Geriebenen Parmesan, gedämpfte Brennnessel und Brennnesselpüree unterrühren. Mit frittierten Brennnesselblättern anrichten und servieren. Wer will und kann, mischt noch gebratene weiße Spargelspitzen oder Morcheln hinein.


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Tobias Müller
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