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Bordeaux En Primeur Jahrgang 2023:  Das System »En Primeur« auf dem Prüfstand 

Die Faszination für die reifefähigen Speisenbegleiter aus der Gironde scheint ungebrochen, das Marktumfeld für Bordeaux ist in letzter Zeit aber beängstigend eingetrübt und der Sekundärmarkt schwächelte in bisher nicht gekannter Art und Weise.

Einmal mehr sind rund 5000 Weinprofis für die Vorstellung der Jungweine persönlich nach Bordeaux angereist, um sich ein Bild davon zu machen, was der neue Jahrgang zu bieten hat. Keine andere Region offeriert eine derartige Fülle an Spitzenweinen. Und wenn auch die Faszination für die reifefähigen Speisenbegleiter aus der Gironde ungebrochen scheint, so hat sich das Marktumfeld für Bordeaux in letzter Zeit beängstigend eingetrübt. Zuletzt schwächelte der Sekundärmarkt in bisher nicht gekannter Art und Weise. Wer in den letzten Jahren »En Primeur« einkaufte, wurde für sein Investment in den meisten Fällen nicht belohnt. Das System ist an einem Scheideweg angelangt.

Bei strahlendem Frühlingswetter ist das Gedränge erstaunlich groß, Einkäufer und Journalisten aus aller Welt belagern förmlich die prominenten Châteaux, auch die Handelshäuser können nicht über mangelnde Besucher klagen. Dieser Trubel mutet angesichts der tatsächlichen Marktlage eher anachronistisch an, denn die steigenden Preise, angetrieben von Energie- und Lohnkosten sowie der anhaltenden Inflation, lassen jetzt nicht unbedingt erwarten, dass es dieses Mal in Bordeaux anders sein wird, als man es gewohnt ist: alles super, alles großartig und daher auch wieder teurer. Nein, so wird das wohl nicht gespielt. 

Die Preise müssen deutlich runter, das Niveau von 2019 ist angesagt, also bis zu 30 Prozent weniger als im Vorjahr. Dort liegt das Ziel, geht es nach dem Handel. Zusätzlich wäre aber ein toller Jahrgang die qualitative Voraussetzung. Erste Verkostungen von Falstaff vor Ort legen nahe. Der Jahrgang ist gut, aber nicht groß, es gibt Ausreißer nach oben wie nach unten, die Regionen präsentieren sich inhomogen – eine komplexe Ausgangslage.

Zur Preisgestaltung

Eine Analyse von Liv-Ex zeigt deutlich, dass die Tendenz für feine Bordeauxweine in den vergangenen zwei Jahren eindeutig negativ war. Der Index »Bordeaux 500« – es ist der breiteste im Fine-Wine-Bereich mit 500 gehandelten Weinen – verlor seit Februar 2022 immerhin 10,3 Prozent. Noch härter wurden aber die Sammler der Spitzenweine getroffen. Der »Bordeaux 50«, der alle Premiers Crus beinhaltet, lag beachtliche 15,3 Prozent unter 2022. Betrachtet man den gesamten Fine-Wine-Handel, dann wird deutlich, dass Bordeaux, das vor fünf Jahren noch rund 60 Prozent Marktanteil in diesem Segment innehatte, heute nur mehr etwa 40 Prozent ausmacht. Andere Regionen wie Italien, das Burgund, Kalifornien und die Champagne haben hier klar zulegen können. Der Sekundärhandel mit feinen Bordeauxweinen, so zeigt Liv-Ex, war vor einem Jahr noch so gestaltet, dass die angebotenen Mengen auch verkauft werden konnten. Aktuell ist dreimal soviel an Bordeauxwein in Flaschen auf dem Markt, wie dieser verkraften kann. Vergleicht man die Preise der jungen Weine, mit jenen aus Jahren wie 2001, 1996 oder 1995, die jetzt eine gute Trinkreife bieten, dann liegen diese oft sogar unter den jüngsten Jahrgängen.

Beunruhigend für Investoren

Was die Analyse der fünf Jahrgänge 2021 bis 2017 zeigt, ist beunruhigend für Investoren. Nur 45 Weine der 500 im »Bordeaux 500« Index haben seit ihrer Release ein Ergebnis im grünen Bereich. Besonders positiv sind zuletzt Beychevelle, Calon-Ségur und Carruades de Lafite aufgefallen. Die besten Resultate brachten im Fünfjahresschnitt drei Weine vom rechten Ufer, die nicht im Index geführt werden, weil sie nur sehr beschränkt in Subskription verfügbar sind: Jene Glücklichen, die sich Le Pin (+21%), Lafleur (+67%) und Pétrus (+82%) aus Pomerol leisten können und diese zugeteilt bekommen, zählen zu den Gewinnern im En-Primeur-Kauf. Lafites Carruades performte mit 22,9 Prozent und Beychevelle mit 20,3 Prozent plus unter den verfügbaren Weinen am besten.

Und die Kehrseite der Medaille sind jene Weine, die heute um einiges weniger kosten als in der Subskription, und die Liste ist leider so lange wie prominent besetzt. Angeführt wird das Negativ-Ranking von Neo-Premier Grand Cru Classé A Château Pavie mit minus 28 Prozent, Cos d’Estournel-Liebhaber überzahlten um 24,2 Prozent, L’Evangile liegt bei minus 23 Prozent oder Pape-Clément mit minus 20,9 Prozent und L’Angélus mit minus 17 Prozent. Auch ausgesprochene Lieblinge der Kritiker wie La Mission Haut-Brion (-20,3%) oder Haut-Bailly (-17%) mussten im Sekundärmarkt in den letzten fünf Jahren Federn lassen.

Ein Auslaufmodell?

Wie groß ist eigentlich der Anteil eines Weines, der über das En-Primeur-System auf den Markt kommt? Natürlich setzen die Weingüter nicht den gesamten Jahrgang über Subskription ab, aber bei vielen dürfte es deutlich weniger sein, als man annehmen könnte. Klar ist die Sache bei Latour, dort gibt es keinen En-Primeur-Verkauf. Auch von einigen anderen Spitzengütern ist bekannt, dass sie die EP-Mengen zugunsten eines späteren Verkaufszeitpunktes deutlich gedrosselt haben. Dazu zählen Mouton-Rothschild oder Palmer. Es gibt keine offiziellen Zahlen, Experten schätzen die Größenordnung des En-Primeur-Volumens abhängig von Qualität und Menge auf etwa nur noch 15 bis 30 Prozent der jeweiligen Gesamtmenge. Früher wurde der Erfolg einer En Primeur-Kampagne an der Geschwindigkeit und Menge der abgesetzten Kisten bemessen. Heutzutage sind immer weniger Betriebe auf dieses frühzeitige Geschäft angewiesen. Kommt der Wein später, bleibt den Weingütern selbst mehr vom Gewinn, und das mag manchen unsensibel hohen En-Primeur-Preis erklären. Andererseits haben die Bordelaiser Handelshäuser übervolle Lager und angesichts des Zinsniveaus keine große Lust schwer verkäufliche Ware zu finanzieren. Je weniger prominent ein Wein, desto widerstrebender wird dieser vom Négoce gelistet. Daher müssen auch klassifizierte Weingüter nolens volens in Zukunft über eigene direkte Verkaufsstrukturen nachdenken und solche sehr rasch realisieren. Für alljene, die lieber gefüllte, gereifte Weine kaufen wollen, wird das Angebot in den kommenden Jahren definitiv wachsen. Das En-Primeur-Geschäft scheint sich immer mehr zum Auslaufmodell zu entwickeln.

Am Montag, dem 29. April, kommen, so ist es intern angekündigt, die Premiers Crus mit den Preisen heraus und dann wird es sehr rasch gehen. Die üblichen Verdächtigen wie Pontet-Canet oder Cos d’Estournel werden in ihrem Windschatten laufen, dann wird sich schnell zeigen, wo das Preisniveau liegt. Ist es zu hoch, dann wird ein Teil der Weingüter vielleicht gar keinen Absatz für ihre Weine finden, und Ende Mai ist die Kampagne mit Sicherheit gelaufen. Die Weingüter müssen vor allem dem Négoce gute Preise anbieten, damit sie eine ordentliche Marge verdienen können, denn 90 Prozent der Händler in Bordeaux steht das Wasser finanziell bis zum Hals. Können diese ihre Zinsen nicht mehr bedienen, könnte dies eine fatale Kettenreaktion zur Folge haben. Denn schon heute schenkt der Handelsplatz Bordeaux Topweinen aus aller Herren Länder von Brunello bis Napa Valley aufgrund ihrer deutlich höheren Rentabilität ein stetig wachsendes Augenmerk – keine gute Nachricht für die klassifizierten Bordeauxweine aus dem Mittelfeld. Hier haben schon manche Produzenten die dezidierte Absage der Handelshäuser erhalten. Man ist bezüglich En-Primeur-Geschäft an ihren Weinen mangels Profitchance nicht mehr interessiert – egal, zu welchem Preis sie angeboten werden. Bordeaux stehen spannende Tage ins Haus.

Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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