Blick vom Haardtrand über die Reben in die Rheinebene – hier aus den Weinbergen des Weinguts Bassermann-Jordan.

Blick vom Haardtrand über die Reben in die Rheinebene – hier aus den Weinbergen des Weinguts Bassermann-Jordan.
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Deutsche Weinbaugebiete: Die Pfalz

In der Pfalz – das kann nicht erstaunen – schmeckt der Wein anders als in anderen deutschen Anbaugebieten. Doch den Pfälzern selbst ist dieses Unterscheidungsmerkmal nicht aussagekräftig genug. Sie nützen die Steigerung: »anderster«, oder eben: »annerschter«. Über eine Region, die man einfach gernhaben muss.

Nun gut, der Duden wird im fernen Berlin herausgegeben. Auch wenn seine Redaktion sogar eine Zeitlang in Mannheim und damit unmittelbar vor den Toren der Pfalz, auf der badischen Seite am anderen Ufer des Rheins, saß: Die Duden-konforme Hochsprache muss vor dem Differenzierungsreichtum des Pfälzer Dialekts kapitulieren. Denn der Duden kennt das Wort »anders« nur als Adverb. Als Bedeutungen führt er auf: »auf andere, abweichende Art und Weise, verschieden, andersartig, fremd, ungewohnt«. Adverbien lassen sich nicht steigern: »heuterer»? »beinaherer«? Nonsens. Aber »annerschter«, das geht. Zumindest in der Pfalz.

Werner Jülg, Winzer aus Schweigen ganz im Süden der Pfalz an der Elsässer Grenze, nützt den Ausdruck sogar, um Unterschiede innerhalb der Pfalz zu benennen: »Die Pfalz«, sagt Jülg, sei »Wasser, Wald, Wei, Weck und Woscht,« Wobei, so fügt er an, die Wurst in der frankophilen Südpfalz ganz allgemein für gutes Essen stehe und nicht unbedingt im Wortsinn zu nehmen sei wie beispielsweise im Kontext des berühmten Bad Dürkheimer Weinfestes, genannt Wurstmarkt. »Wir in Schweigen haben diesen Elsässer Einschlag, bei uns lebt man annerschter.« Und er setzt nach: »Die Südpfalz ist jungfräulicher als andere Teile der Pfalz, die Strukturen wie etwa in Deidesheim gibt es bei uns nicht.«

© Stefanie Hilgarth / carolineseidler.com

An der Mittelhaardt geht es ums Ganze …

Was Jülg mit »Strukturen wie in Deidesheim« meint, das kann man auf wissenschaftlich fundierte und zugleich recht amüsante Weise in einem Aufsatz des Mannheimer Soziologieprofessors Richard Utz aus dem Jahr 1998 nachlesen: Die Pfalz habe, so resümiert Utz, im Lauf des 18. und 19. Jahrhunderts ein spezielles Weinbürgertum hervorgebracht. Dieses habe die Idee entwickelt, »Qualitäts- statt Quantitätsweine zu erzeugen« und habe zugleich die Konsumidee etabliert, »Wein kultiviert zu genießen, statt unmäßig zu trinken«. Damit ebneten die reichen und einflussreichen Familien der Mittelhaardt den Weg für den »modernen Weinbau und die moderne Geschmackskultur rund um den Wein«.

Utz’ Feststellung wird von den historischen Fakten mehr als gedeckt. So berichtet etwa Johann Philipp Bronner 1833, dass man dem Südhang in Deidesheims Lage Grainhübel ein größeres Gefälle gegeben habe, indem man am Nordrand des Weinbergs eine etwa vier Meter hohe Mauer errichtet und den entstandenen Hohlraum mit Erde aufgefüllt habe. Bronner weiter: »Solche Höhen mit Grund auszufüllen, muß ungeheures Geld gekostet haben. Wie ich schon berührt habe, man staunt, welcher Aufwand hier gemacht wird, um den Weinbergen eine günstige Lage zu geben, und welche kostspielige Bodenbearbeitungen hier vorgenommen werden, um das Möglichste zu erreichen. Es herrscht hier ein hoher Grad von Intelligenz, und alle Mittel und alle Regeln werden hier angewandt, um nach richtigen Prinzipien den Weinbau zu treiben.«

Wahrzeichen Deidesheims: das Hotel »Deidesheimer Hof« vis-à-vis der Kirche.
© Shutterstock
Wahrzeichen Deidesheims: das Hotel »Deidesheimer Hof« vis-à-vis der Kirche.

Ein zweites Motiv, das gerade die Deidesheimer Verhältnisse kennzeichnet, war der planvolle Expansionsdrang einzelner Familien: Pierre Jordan wanderte 1708 als Teenager aus Savoyen in die Pfalz ein und heiratete eine begüterte Witwe, dann nach deren Ableben eine zweite. Seine beiden Söhne verheiratete Jordan mit zwei Schwestern aus der vermögenden Familie Reichardt, die einige der besten Lagen in Forst und Deidesheim besaß. Damit war der Grundstein für ein Weinbau-Imperium gelegt, das 1848, beim Ableben von Andreas Jordan, der dritten Generation der Pfälzer Jordans, rund 50 Hektar erstklassiger Weinbergslagen umfasste. Den Fliehkräften des Napoleonischen Erbrechts und seiner Neigung, Besitztümer durch Erbteilung zu zersplittern, wirkten die namhaften Deidesheimer Familien durch eine gezielte Heiratspolitik entgegen, die auch Über-Kreuz-Ehen von Cousins und Cousinen arrangierte.

Nachdem Andreas Jordans Schwester Auguste Franz Buhl geehelicht hatte, wurden die beiden Kinder dieses Ehepaars dann wieder mit den Kindern verheiratet, die Andreas Jordan mit seiner vermögenden Gattin Josefine Stengel gezeugt hatte: Franz-Peter Buhl heiratete Andreas Jordans Tochter Josefine, während Andreas Jordans Sohn Ludwig Andreas mit Serafine Buhl den Bund fürs Leben einging. Eine Generation später heiratete Auguste Jordan Friedrich Deinhard aus Koblenz – und band somit auch diese einflussreiche Weindynastie an die Mittelhaardt. Es ist mehr als eine Randnotiz, dass die Weingüter Bassermann-Jordan, von Buhl und von Winning (ehemals Dr. Deinhard) auch heute noch dominant in Deidesheim sind – und dies seit 2007 durch die Pioniertat des Neustädter Unternehmers Achim Niederberger wieder in ein und derselben Hand. Rechnet man den heutigen Weinbergsbesitz dieser drei Weingüter zusammen, auch das ist bemerkenswert, dann erweist er sich als etwa dreimal so groß wie 1848.

Handwerk, Holz und Geduld: im Keller des Weinguts Bürklin-Wolf.
© Heroes of Riesling / Dr. Bürklin-Wolf
Handwerk, Holz und Geduld: im Keller des Weinguts Bürklin-Wolf.

… und bleibt dennoch menschlich

Irgendwie annerschter ist in der Pfalz aber selbst das Geschäft mit den großen Lagen und ihrer Bewirtschaftung. Das wird anhand einer kleinen Umfrage deutlich, die Falstaff durchführte und in deren Rahmen namhafte Winzerinnen und Winzer gebeten wurden, ihr Bild von der Pfalz mit kurzen Worten zu umreißen. Bettina Bürklin von Guradze vom Wachenheimer Weingut Bürklin-Wolf etwa, deren Familie seit dem frühen 17. Jahrhundert in Wachenheim Weinbau betreibt und die in denselben Spitzenlagen wie die großen Deidesheimer Betriebe begütert ist, rückt in ihrer Antwort den Begriff »Heimat« ins Zentrum: »Die Pfalz ist meine Heimat, die mich durch die Offenheit der Menschen und ihrer Lebensfreude, ihrem südländischen Flair und ihrer kulinarischen Vielseitigkeit jeden Tag neu begeistert«. Außerdem, so Bürklin von Guradze weiter, empfinde sie große Dankbarkeit für die Möglichkeit, auf einzigartigen Terroirs Rieslinge von Weltrang erzeugen zu können. 

Auch Steffen Christmann, der das Gimmeldinger Weingut seiner Familie in siebter Generation führt und zudem als VDP-Präsident eine dezidiert überregionale und internationale Perspektive aufweisen kann, spricht zuerst von »Heimat«, wenn er nach einer Definition der Pfalz gefragt wird: »Die sanften Hügel der Haardt mit ihren großartigen Lagen am Rand des Pfälzerwaldes«, das sei für ihn der Inbegriff der Pfalz. Und weiter: »Wunderbare Kollegen und eine fantastische Gastronomie – von der Weinstube bis zum Zwei-Sterne Restaurant – schenken uns eine unglaubliche Lebensqualität, sodass wir uns nicht vorstellen könnten, woanders zu arbeiten und zu leben.«

Auch Sabine Mosbacher, dritte Generation des namhaften Weinguts im Ort Forst, wo die teuersten Weinberge liegen, nennt bei der Bitte, die Pfalz mit knappen Worten zu charakterisieren, vor allem die Atmosphäre: »entspannte Weinkultur, lebensfrohe Menschen, mildes Klima, viel Licht, großartige weite Landschaft – mit herrlichem Übergang von Weinbergen in den angrenzenden Pfälzerwald«.

Summieren wir diese Aussagen, dann kann man festhalten: Die schwindelerregenden Summen, die im Raum stehen, wenn man über die Bewertung von Weinbergen spricht – in Forst kann ein Hektar schnell eine Million wert sein, wenn denn überhaupt je ein Fitzelchen Land auf den Markt kommt –, haben nicht verhindert, dass die Inhaber der Weingüter geerdet geblieben sind. Sie leben gerne hier. Und sie wissen sehr genau, dass die Lebensqualität der Pfalz nicht nur mit den 100-Euro-Flaschen aus den besten Lagen und Top-Betrieben zu tun hat: Die Pfälzer Lebensart glänzt nicht nur am Sonntag, sondern auch und gerade am Werktag. Und dazu tragen die Zehn- und Acht-Euro-Flaschen aus Hunderten von teils überregional gar nicht bekannten Weingütern (und einem halben Dutzend Genossenschaften) ebenfalls ihren erklecklichen Anteil bei. 

Mandelblüte am Geilweilerhof.
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Mandelblüte am Geilweilerhof.

Offenheit, Lebensfreude – und Kulinarik

Ganz ähnlich verhält es sich auch im Kulinarischen: Saumagen, Fleeschknepp oder Bratwürste mit Rieslingkraut werden zwischen Zellertal und Schweigen mit ebenso viel Sorgfalt gekocht und aufgetischt wie Pfälzer Erbsen Edamame-Style oder eine Langoustine mit Vadouvan, belgischer Endivie und Kalamansi. Offenheit und Lebensfreude, diese auch in unserer kleinen Umfrage so oft genannten Attribute der Pfälzer Lebensart, sind Garanten für die Leidenschaft und die Experimentierfreude von Köchen und Winzern. Natürlich ist der Pfälzer Weinbau vor allem berühmt für Riesling und Burgundersorten. Doch es kann nicht erstaunen, dass es Pfälzer Winzer waren, die in Deutschland mit als Erste südliche Rebsorten wie Viognier oder Syrah erprobt haben, oder gar Tempranillo und Sangiovese. Licht und Wärme hat die Pfalz jedenfalls ausreichend auch für solche Weine.

Die ebenfalls in den Antworten mehrfach wiederkehrende landschaftliche Schönheit des Haardtrands wird jeder bestätigen können, der mal dort war. Und die Aussage »Wir können uns nicht vorstellen, woanders zu leben« ist ganz sicher nicht PR-getrieben. So verweist auch der Laumersheimer Winzer Philipp Kuhn auf den Refrain eines Lieds der Mundartband »Die anonyme Giddarischde«: »… annerschtwo is annerscht, und halt net wie in de Palz …«. 

Anderswo ist es anders. Und eben nicht mal annerschter!

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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