Schon mit 19 Jahren in Wiesbadens »Ente« Herr über eine Weinkarte mit 1400 Positionen, heute Strippenzieher im Hintergrund: Ralf Frenzel.

Schon mit 19 Jahren in Wiesbadens »Ente« Herr über eine Weinkarte mit 1400 Positionen, heute Strippenzieher im Hintergrund: Ralf Frenzel.
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Im Dienst des Genusses: Ralf Frenzel im Portrait

Ralf Frenzel ist mit dem Magazin »FINE« nicht nur Falstaff-Mitbewerber, sondern hat in den 45 Jahren seiner bisherigen Karriere in Dutzenden Kontexten von Wein und Kulinarik Spuren hinterlassen. Seit zwei Jahren ist er auch Mehrheitsgesellschafter bei den Weingütern Wegeler.

Ralf Franzel war 15, als ihn nichts mehr zu Hause hielt: Er wollte raus aus den ärmlichen Verhältnissen im Hunsrück, nur weg von der freudlosen Maloche im Restaurant des Stiefvaters. Raus, raus, einfach nur raus. Nur wohin? In Bad Ems im »Staatlichen Kurhaus« gab es eine Lehrstelle als Koch. Als Frenzel am ersten Morgen antrat, hieß es: Komm in einer Stunde wieder. In den Auslagen eines nahen Kiosks fiel dem Jugendlichen eine Zeitschrift namens Der Feinschmecker ins Auge. »Da standen Geschichten drin über Burgunderweine und namhafte Köche«, erinnert sich Frenzel noch 45 Jahre später. Er kramte seine Münzen zusammen, um das Magazin zu kaufen. Beim Lesen begann er zu verstehen, was ihm in der Lehre bevorstehen könnte: Denn am Herd in Bad Ems stand ein Chefkoch alter Schule, der seinen Escoffier gelesen hatte und – das »Kurhaus« hatte zu dieser Zeit Ambitionen – über eine Brigade von 40 Personen gebot. 

Siebzigerjahre – eine Zeit des kulinarischen Aufbruchs in Deutschland, in einem Land, das endlich nicht mehr Nachkriegs-Deutschland sein wollte. Eine Befreiung. Auch für Frenzel persönlich, den es weiter trieb und drängte: Als er das 1979 im Graefe und Unzer Verlag auf Deutsch erschienene Buch »Frankreichs große Köche und ihre Küchengeheimnisse« in die Hand bekam, nutzte er die erstbesten freien Tage, um, inzwischen 16, nach Burgund zu trampen. Freilich nicht, um vor den Toren Lyons bei Paul Bocuse oder Alain Chapel Essen zu gehen oder um bei Rousseau oder DRC Weine zu verkosten, dafür hätten damals weder das Geld noch seine Beziehungen ausgereicht. Doch der Junge wollte einmal dort gewesen sein und wenigstens von außen einen Blick auf die Legenden erhaschen. Dass er mehr Geld brauchte, wenn er dieser Welt näher kommen wollte, war ihm klar. Und so besserte er sich, zurück in Deutschland, den schmalen Lehrlingslohn auf, indem er Aigner-Portemonnaies zweiter Wahl im Fabrikverkauf für fünf Mark das Stück erwarb und dann in Frankfurt auf der Straße für 50 Mark weiterverkaufte. Die ersten angesparten 1.000 Mark investierte der strebsame junge Mann in Lacoste-Hemden.

Frenzel wusste jetzt, was er wollte. Als das Küchenkonzept in Bad Ems dem staatlichen Betreiber zu teuer wurde und der Chefkoch entlassen wurde (»der Nachfolger machte nur noch Tüten auf«), zog Frenzel weiter: zu Franz Keller nach Oberbergen, nach Mainz in den »Hilton Grill«, ins »InterContinental« nach Frankfurt. Mit 19 bekam er eine Stelle in Wiesbadens »Ente vom Lehel« im Hotel »Nassauer Hof«. Seines profunden Weinwissens wegen wurde ihm ein Job auf den Leib geschneidert, den es vorher in Deutschland noch gar nicht gegeben hatte: den des Sommeliers. Frenzel wurde zur rechten Hand von Hans-Peter Wodarz und baute eine Weinkarte mit 1.400 Weinen auf, was die ohnehin schon angesagte »Ente« zum Tempel von Entscheidern aus allen Branchen machte. »Da ich ein fotografisches Gedächtnis habe, habe ich Leute wie Henri Nannen, Josef Viehhauser oder andere Prominente aus der Zeitschrift erkannt, wenn sie in der ›Ente‹ auftauchten.« Alle wollten den jungen Wein-Nerd kennenlernen. »Und dazu kamen«, sagt Frenzel, »meine Freundlichkeit und mein unverschämt ­gutes Aussehen.«

Auch dem schillernden Wein-Impresario und Raritätenhändler Hardy Rodenstock blieb Frenzel nicht verborgen. Schnell wurde der junge Mann Rodenstocks rechte Hand, bei Dutzenden Raritätenproben sekundierte Frenzel und dirigierte eine vielköpfige Servicemannschaft zu den Gästen, die in mehreren Sälen parallel an den Proben teilnahmen. Ob alle der alten Weine echt waren, die Rodenstock servieren ließ? Frenzel legt eine DVD ein, auf der ein Fernsehbeitrag des österreichischen Fernsehens zu sehen ist, gefilmt in der Optik der Achtzigerjahre während eines dreitägigen Probenmarathons im »Arlberg-Hospiz« in Lech. Damals, sagt Frenzel, während er immer wieder geradezu entzückt die Namen einzelner Gäste ausruft, damals seien solche Verdächtigungen nie im Raum gestanden.

Das Faible und die Sensibilität für den reifen Wein hat Frenzel jedoch nie mehr losgelassen. Vertikalproben – gerne auch solche, die ein ganzes Jahrhundert überspannen – sind ein integraler Bestandteil seiner publizistischen Arbeit, vor allem in FINE, dem 2008 gegründeten Wein­magazin. Seit zwei Jahren ist der reife Wein auch in anderer Form in Frenzels Leben getreten: Denn mit der Übernahme einer Mehrheit an den Weingütern Wegeler kam Frenzel in den Besitz eines Bestands reifer Weine, wie es ihn in dieser Form außerhalb der legendären Bestände des Klosters Eberbachs nirgendwo sonst gibt in Deutschland. 

Frenzel schiebt das Rolltor zu einem Hochregallager auf, und der Blick öffnet sich nach oben: Sieben Gitterbox-Etagen hoch und sicher zwei Dutzend Abteile längs liegen Rieslinge aus den Wegeler-Weinbergen im Rheingau und an der Mosel: Bernkasteler Doctor, Wehlener Sonnenuhr, Rüdesheimer Berg Schlossberg, Geisenheimer Rothenberg – quer durch alle Jahrgänge und Prädikate, trocken und edelsüß. Ein Schlaraffenland, das vor allem zwei Menschen zu verdanken ist: Rolf Wegeler, der traditionsbewusst die Gewohnheit des alten Weinhandels fortführte, reife Weine vorzuhalten, und Wegelers Schwiegersohn Tom Drieseberg, der seit Mitte der 1990er systematisch Bestände unter dem Titel »Vintage Collection« aufgebaut hat.

Wenn Frenzel auf die produzierende Seite wechselt, dann mit dem Blick eines Menschen, der in 40 Jahren kaum ein Tätigkeitsfeld in Wein und Kulinarik ausgelassen hat. Noch von der »Ente« aus ermutigte er deutsche Winzer, mehr und bessere trockene Weine zu keltern, auch an der Entwicklung der Wegeler-Marke »Geheimrat J« war er beteiligt. Kellermeister Norbert Holderriet brachte die ersten zwölf Flaschen des Premierenjahrgangs 1983 persönlich in die »Ente«. 1986 gründete Frenzel gemeinsam mit Karl-Heinz Wolf, Bernd Siebdrat und George W. Kastner den Weinhandel »Wein Wolf« und wurde geschäftsführender Gesellschafter beim Schwesterunternehmen »Grand Cru Select«. Anfang der 1990er-Jahre arbeitete Frenzel für Willi Leibbrand, dem neben mehreren Supermarktketten und der Lederwarenmarke Goldpfeil auch Hotel und Weingut »Schloss Reinhartshausen« gehörten. Für Leibbrand entwarf Frenzel ein Konzept, den Weinhändler »Hawesko« und »Feinkost Käfer« zu übernehmen. »Was wir vorhatten, war eine Art deutscher Gegenentwurf zu LVMH«, sagt Frenzel. Doch der Deal scheiterte am Widerstand der anderen Geschäftsführer in der Leibbrand-Gruppe. »Ich habe ich mich verraten gefühlt. So kam es, dass ich nach Leibbrands Tod nach Kuba ging: Ich wollte europäische Waren nach Kuba exportieren und umgekehrt, in der Hoffnung, das Land stehe vor einer politischen Öffnung.« Eine Fehleinschätzung, die Frenzel viel Geld kostete. Doch die Rückschläge hielten ihn nicht auf: Aus der »Cuba Projekt Agentur« wurde die CPA! Communikations- und Projektagentur, über die Frenzel Dienstleistungen für Handel und Gastronomie erbringt. 

Deren erster Coup war die Entwicklung des Sendungskonzepts »Alfredissimo« mit Alfred Biolek, einer soften Art von Themenplacement inklusive, etwa wenn Biolek beim Kochen einen Wein trank. Die zugehörige Buchreihe stieß Frenzel auch die Tür zur Verlagswelt auf und führte einige Jahre später, 2004, zur Gründung des Tre-Torri-­Verlags. Mit über 200 erschienenen Büchern – die laut Website 15 Millionen Exemplare verkauft haben – wurde Tre Torri zu einem der großen Player am Markt für Wein- und Kulinarikbücher. Zu einem so großen Player, dass ihm 2021 sogar die Kronjuwelen aus dem Verlags­imperium von Graefe und Unzer zufielen, die Marken Hallwag und Teubner. Aber auch das Vermarkten von Themen wurde mehr und mehr Frenzels Geschäftsfeld: »Wissen Sie, wer den ›Maggi Kochstudio Treff‹ erfunden hat? Frenzel. Wer hat Braufactum aufgesetzt? Frenzel.« Die Kooperationen sind Legion: Gaggenau, Bosch und Siemens, die Berlinale, »How to Spend it« mit der FAZ, Real und Metro, Jeunes Restaurateurs, die Deutsche Bahn, Beef, Steigenberger. »Wer hat das erste deutsche Wildbuch gemacht, mit dem Karl-Josef Fuchs vom Hotel Spielweg sogar in die Vogue kam?«. Manche der Kooperationspartner, so Frenzel weiter, seien aber zu eitel, um öffentlich zu sagen: Wir haben Frenzel an Bord geholt. Das wurmt ihn, das ist zu sehen und zu hören, wenn er darüber spricht. Dabei gehe es – und jetzt zieht er die Summe unter sein Geschäftsmodell – immer wieder um das eine Thema: »Wie kann man gute Produkte nachhaltig erzeugen und am Markt platzieren, sei es im Volumengeschäft oder im Highend?«

Und dann lädt Frenzel zu einer Ausfahrt in die Reben. Man spürt förmlich, wie er in der freien Natur aufatmet. Der Blick vom Rand des Niederwalds auf den Rüdesheimer Berg Schlossberg ist atemberaubend schön an diesem Novembertag. In Assmannshausens Höllenberg stellt sich Frenzel – zu Wegeler gehört ja auch das Weingut Krone Assmannshausen – unter den Hollywood-artigen Schriftzug und blickt so versonnen hinab zum Rhein, als würde er die Reben im Steilhang am liebsten umarmen. Dann spricht er darüber, wo er mit Wegeler hin möchte. Die Weine waren auch in den vergangenen 30 Jahren schon gut, aber jetzt sollen sie auch jenes letzte Quäntchen Schliff und Profil bekommen, das ihre Weltklasse auch international darstellbar macht.

Am Ende des Tages steht Frenzel in seiner Küche, von den Schränken grüßen Trophäen herab, getrunkene Flaschen wie Chapelle Chambertin der Domaine Leroy, Haut Brion und Petrus in Magnumflaschen, auch eine Magnum 45er La Mission Haut Brion, 45er Höllenberg von der Staatsdomäne, Grange und Harlan. Als Frenzel eine in Streifen geschnittene Kalbsleber in der Pfanne brutzeln lässt, gießt er immer und immer wieder mehr und noch mehr Öl an. Fast scheint es, als wolle er die Temperatur in der Pfanne nicht mit dem Feuer regulieren, sondern mit Öl. Doch die Leber kommt am Ende kein bisschen fettig auf den Teller, sie ist ein kulinarischer Traum, außen kross gebraten und innen butterzart und rosa.

Der Mann weiß, in die Vollen zu gehen, stets im Dienst des Genusses.


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Ulrich Sautter
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