Laut einem Bericht der Welternährungsorganisation sind etwa 34 Prozent der weltweiten Fischbestände überfischt. Das heißt, es werden den Gewässern weit mehr Tiere entnommen, als nachwachsen können.

Laut einem Bericht der Welternährungsorganisation sind etwa 34 Prozent der weltweiten Fischbestände überfischt. Das heißt, es werden den Gewässern weit mehr Tiere entnommen, als nachwachsen können.
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Aquakultur: Fluch oder Segen?

Auch wenn man es nicht gerne hört: Nur mehr ein Bruchteil der Süßwasserfische, die auf unserem Teller landen, kommt aus Wildfang, das meiste stammt aus Zuchtbetrieben. Dass die Mehrheit der Konsumenten 08/15-Meeresfischen den Vorzug gibt, macht die Situation – auch ökologisch – nicht einfacher.

Der Karpfen ist ein genügsamer Fisch. Der Allesfresser liefert tierisches Eiweiß und Omega-3-Fettsäuren und ist dabei relativ fettarm. Andersherum begnügt er sich mit Futter aus Begleitprodukten der Landwirtschaft. Damit eignet sich der Fisch bestens für die heimische Zucht mit geringem ökologischem Fußabdruck. Karpfen ist gesund und nachhaltig. Aber: »Er hat bei uns ein Imageproblem, er gilt als modrig«, sagt Fabian Schäfer vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. »Außerdem werden viele Konsumenten von den Gräten abgeschreckt.«  

Boombranche Aquakultur

Nicht einmal 5000 Tonnen Speisekarpfen wurden 2019 in Deutschland in Teichen erzeugt, vor allem in Bayern, Sachsen und Brandenburg. Die zumeist familiengeführten Betriebe können sich schwer gegen die Konkurrenz durch andere, marktgängigere Fischarten wie den Lachs behaupten, heißt es im Nationalen Strategieplan Aquakultur. Von »länger währender Stagnation« ist darin die Rede. Forellenfische wie die Regenbogenforelle, die Lachsforelle und der Saibling liegen noch vor dem Karpfen. Doch auch hier beträgt die Jahresproduktion nur rund 10.000 Tonnen. Fischzucht an Nord- und Ostsee existiert praktisch nicht, mit Ausnahme von Muscheln. Und so werden in Deutschland 89 Prozent aller Fisch­erzeugnisse importiert. Die Aquakultur in Deutschland ist also weit davon entfernt, ihr Potenzial auszuschöpfen.    

Die heimische Süßwasser-Aquakultur steht unter anderem in Konflikt mit dem Umwelt- und Naturschutz. Und: »Fischfressende Tiere wie Kormoran, Fischotter und Fischreiher breiten sich aus«, erklärt Schäfer. Offene Systeme wie Teichanlagen – Hotspots der Biodiversität – bereiteten große Probleme. Schäfer: »Und auch die Folgen der Klimakrise wie hohe Temperaturen und Wassermangel wirken sich negativ aus.«

Obwohl das Fischsortiment im Fachhandel vielfältig ist und auch viele Süßwasserfische umfasst, beschränken sich die meisten Kundenwünsche auf Lachs oder Thunfisch.
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Obwohl das Fischsortiment im Fachhandel vielfältig ist und auch viele Süßwasserfische umfasst, beschränken sich die meisten Kundenwünsche auf Lachs oder Thunfisch.

Ähnlich sieht das Bild in Österreich aus. Hier kommt man auf etwa 800 Tonnen Karpfen und 2000 Tonnen Forellen aus Zuchtbetrieben im Jahr. Die Erzeuger vermarkten und verkaufen ihre Fische direkt. Der Großhandel spielt kaum eine Rolle, vor allem wegen der preisgünstigen Importware, die 94 Prozent des gesamten Bedarfs deckt. In der Schweiz bedient die einheimische Aquakultur gerade drei Prozent der Nachfrage, mehr als 96 Prozent werden importiert. Die Regenbogenforelle als wichtigster Zuchtfisch kommt lediglich auf 1200 Tonnen, der Egli, besser bekannt als Flussbarsch, auf 700 Tonnen. 

Diese Zahlen klingen vergleichsweise niedlich, wenn man sich das globale Volumen der industriellen Fischzucht vor Augen führt: Im Jahr 2020 waren es 87,5 Millionen Tonnen Fische, Krebse und Muscheln. Kein anderer Zweig der Lebensmittelindustrie ist in den vergangenen Jahrzehnten so schnell gewachsen. 

Die Welt liebt tierisches Protein, doch die Fischbestände der Flüsse, Seen und Ozeane decken den Bedarf schon lange nicht mehr. China ist weltweit der mit Abstand größte Aquakultur-Player. In Europa erkannte man das Potenzial recht spät, allen ­voran die Norweger mit ihren Fjorden. Der atlantische Lachs stieg zum beliebtesten Speisefisch in Europa auf. Aus einer Delikatesse wurde ein Discounter-Produkt für Menschen mit wenig Küchenerfahrung. Auf einmal gab es den Lachs auch im Sushi, was man in Japan so vorher gar nicht kannte.

Weltweit wurden im Jahr 2020 über 87,5 Millionen Tonnen Fische, Krebse und Muscheln in Aquakulturen wie dieser gezüchtet, Tendenz stark zunehmend. Das bringt zahlreiche ökologische Probleme mit sich. Das ASC-Siegel (unten) hat das Ziel, einen weltweit gültigen Standard für verantwortungsvolle, nachhaltig arbeitende Aquakultur-Betriebe 
zu entwickeln.
© Robert Günther / WWF
Weltweit wurden im Jahr 2020 über 87,5 Millionen Tonnen Fische, Krebse und Muscheln in Aquakulturen wie dieser gezüchtet, Tendenz stark zunehmend. Das bringt zahlreiche ökologische Probleme mit sich. Das ASC-Siegel (unten) hat das Ziel, einen weltweit gültigen Standard für verantwortungsvolle, nachhaltig arbeitende Aquakultur-Betriebe zu entwickeln.

Unterwasser-Fußabdruck

Doch die Massentierhaltung unter Wasser bringt zahlreiche Probleme mit sich. In Südostasien verschwanden mit dem Aufbau riesiger Shrimps-Farmen die wichtigen Mangrovenwälder, Ökosystem für viele Arten, Schutz vor Überschwemmungen, CO2-Speicher und Lebensgrundlage für Kleinfischer. In den offenen Aquakultur-Systemen an den Küsten sinken zudem die Futterreste und Fäkalien der Tiere einfach nach unten. Das kann zu einer Algenblüte führen und das Bodenleben beeinträchtigen. Wenn Zuchtfische ausbrechen, können sie auch Krankheiten auf wilde Populationen übertragen. In Chile entkamen 2018 rund 690.000 Zuchtlachse – ein massiver Eingriff ins Ökosystem.

Viele in Aquakulturen gezüchtete Arten werden noch dazu mit Fischmehl oder Fischöl gefüttert, das aus Wildfang stammt. »Aquakulturen sind in der heutigen Praxis keine nachhaltige Alternative zum Wildfang«, erklärt Mark Heuer, Fischexperte beim WWF. Beides sollte man allerdings nicht gegeneinander ausspielen, beteuert Wissenschaftler Schäfer. »Man kann sowohl in der Fischerei als auch in der Aquakultur Lebensmittel mit geringem ökologischen Fußabdruck erzeugen.« 

Vorteile bietet die Aquakultur auch beim Tierschutz. »Frisch gefangener Fisch stirbt in der Regel ohne Betäubung, wenn er aus dem Meer geholt wird«, sagt Ökologe Schäfer. Bei Fischfarmen habe man hier andere Möglichkeiten. Außerdem funktionieren Durchfluss- und Kreislaufanlagen im Inland unabhängig vom Standort. »Ich kann den Fisch dort produzieren, wo er gebraucht wird.« Das verringert die Transportwege und den CO2-Fußabdruck.

Bei »Frozen Fish International« werden in Deutschland im Schnitt jährlich 48.000 Tonnen Fischstäbchen produziert. Forscher arbeiten an Alternativen, um das Gleichgewicht  der Meere zu erhalten.
© Anna Krampitz / Bluu GmbH
Bei »Frozen Fish International« werden in Deutschland im Schnitt jährlich 48.000 Tonnen Fischstäbchen produziert. Forscher arbeiten an Alternativen, um das Gleichgewicht der Meere zu erhalten.

Für Verbraucher ist es allerdings schwierig, nachhaltige Produkte im Supermarkt zu erkennen. Bei dem sehr umfassenden Bio-Naturland-Siegel müsse man sich keine Gedanken machen, sagt Mark Heuer vom WWF. »Das EU-Bio-Siegel hingegen hat im Vergleich zu Naturland keine Sozialstandards und keinen so starken Gewässerschutz.« Das sei aber gerade bei Garnelen aus Asien und Südamerika wichtig. »Das ASC-Siegel ist viel breiter gefasst. Wir betrachten es als Mindest­standard, der eine gute Orientierung bietet.« Entscheidend ist auch die Fischart. »Eine gute Faustregel ist es, vorzugsweise Tiere vom unteren Ende der Nahrungskette zu essen, wie Algen, Muscheln und pflanzenfressende Fische«, rät der WWF-Fachmann. Am anderen Ende stehen Raubfische wie Dorade und Atlantischer Blauflossen­thunfisch. Lachs und Garnele liegen im Mittelfeld. »Wenn man Fisch kauft, sollte er aber auf jeden Fall zertifiziert sein und als Delikatesse für seltene Anlässe betrachtet werden«, rät Heuer. Also kein billiges Lachs-Sushi zwischendurch, sondern lieber einen heimischen Karpfen oder eine Forelle als Festmahl.


Alternativen zum Fisch aus Aquakulturen

»Bluu Seafood« – Fisch aus Zellen

Das Start-up züchtet Muskelzellen aus Stammzellen, die dem Gewebe lebender Forellen und Lachse entnommen werden, und reichert diese mit pflanzlichen Proteinen an. Fischstäbchen und Fischbällchen sind bereits marktreif, derzeit wartet man auf Zulassung in verschiedenen Ländern. »Wir wollen Anfang des kommenden Jahres in die ersten Restaurants in Singapur kommen«, sagt Geschäftsführer Sebastian Rakers. »Und wir arbeiten an weiteren Produkten wie Sashimi.« Echtes Fischfilet sei aber noch eine technologische Herausforderung.
bluu.bio

»Planteneers« – vegane Fischalternativen 

Fleischersatzprodukte auf pflanzlicher Basis wie Soja sind allgegenwärtig. Bei Fisch sieht das noch anders aus. Das Unternehmen »Planteneers« bietet eine Produktpalette auf Proteinbasis – von Schlemmerfilets über rohen Thunfisch bis Lachsfilet. Auf einem Cracker mit Sahnemeerrettich sei veganer Lachs nicht mehr von herkömmlichem Lachs zu unterscheiden, sagt Produktmanager Florian Bark. Das Marktpotenzial sei riesig. Der Verbraucher habe aber noch ein Problem mit den vielen Zusatzstoffen. Ziel ist es daher, die Zutatenliste deutlich zu verkürzen.
planteneers.com

Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2023

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Philipp Laage
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