Mit ihrer pinken Haarpracht sticht Cristina Bowerman aus der italienischen Köcheschar hervor. Ungleich schlichter wirkt ihr Restaurant »Glass Hostaria«, das in neutralen Farben gehalten ist.

Mit ihrer pinken Haarpracht sticht Cristina Bowerman aus der italienischen Köcheschar hervor. Ungleich schlichter wirkt ihr Restaurant »Glass Hostaria«, das in neutralen Farben gehalten ist.
© Struttura Films

Avantgarde der Kulinarik: Cristina Bowerman, die Quereinsteigerin

Die Italienerin Cristina Bowerman hat das Kochen erst mit Mitte dreißig für sich entdeckt. Seitdem sind zwei Jahrzehnte vergangen, in denen sie zur Spitzenköchin mit Michelin-Stern avanciert ist. Ihre schillernde Persönlichkeit und die Prominenz in der Gourmetwelt nutzt sie für vielseitiges soziales Engagement.

Es ist eigentlich paradox: In einem Land wie Italien, das für seine Küche und seine engagierten, fleißig kochenden Mütter bekannt ist, sind fast keine Frauen in den Führungspositionen der Spitzen­restaurants zu finden. Eine Ausnahme ist Cristina Bowerman: eine von insgesamt fünf besternten Küchenchefinnen im ganzen Land – und die einzige in Rom. Übrigens: In Österreich gibt es derzeit gar keine weibliche Köchin mit Sternen; bisher hat es Johanna Maier als einzige geschafft. Viel weiter vorne liegt da Frankreich mit aktuell 31 besternten Damen. Weltweit sind nur etwa fünf Prozent der Spitzenrestaurants in der Hand von Frauen.

Bowermans kulinarisches Zuhause ist die »Glass Hostaria« in Trastevere auf der rechten Tiberseite. Dieses ehemalige Arbeiterviertel mit dem Spitznamen »Dorf in der Stadt« zeichnet sich durch fotogene alte Wohngebäude aus. So alternativ wie bis in die Siebziger ist es nicht mehr, und längst streifen auch Touristen in Scharen durch die schmalen, von Efeu überhangenen ­Gassen. Trotzdem kann man sich wohl kaum einen besseren Ort vorstellen, um neu gedachte italienische Küche zu servieren und gehobene Gastronomie mit Understatement (auf Tischdecken wird verzichtet) glaubhaft zu präsentieren.

»Cucinata contaminata« nennt Bowerman ihren Kochstil, der offen für Einflüsse aus aller Welt ist. Hier ein Beispiel: Tatar vom Rind mit Sardellen, Nashi-Birnen, Kapern und Kaviar.
© Struttura Films
»Cucinata contaminata« nennt Bowerman ihren Kochstil, der offen für Einflüsse aus aller Welt ist. Hier ein Beispiel: Tatar vom Rind mit Sardellen, Nashi-Birnen, Kapern und Kaviar.

Kurvenreicher Berufsweg

Cristina Bowerman wurde 1966 geboren, und zwar im Dorf Cerignola in der süditalienischen Region Apulien. 1992 machte sie sich auf den Weg nach San Francisco, um ihr Jusstudium fortzusetzen. Allerdings wich dort die Passion für Paragrafen zunächst einem Gusto auf Grafikdesign. Beim Nebenjob in der Coffeeshop-Kette »Higher Grounds« konnte sie ihr Interesse fürs Kochen, das sie seit ihrer Kindheit begleitet, weiter ausleben. 

Jahre später – mittlerweile übersiedelt in die texanische Hauptstadt Austin – machte sie 2004 ihren Abschluss in Culinary Arts mit Schwerpunkt auf der Konzentration von Aromen. Damit waren die Weichen für den zweiten Karrierewechsel gestellt, und bei David Bull kam sie das erste Mal in Kontakt mit der gehobenen Küche.

Um ihre kulinarischen Wurzeln kennenzulernen und ihre persönliche Ausdrucksweise zu entwickeln, zog Cristina Bowerman 2005 nach Rom. Es sollte eine vorübergehende Station in ihrem Lebenslauf werden: Nach dem lehrreichen Einsatz im Sternerestaurant »Il Convivio Troiani« wollte sie in Austin ein eigenes Lokal gründen. Doch in der »ewigen Stadt« boten sich viele neue Möglichkeiten, darunter jene in der kurz zuvor eröffneten »Glass Hostaria«. Dieser Neuling im traditionellen Stadtteil Trastevere sprach ihr aus der Seele: Sowohl bei der Philosophie als auch beim gastronomischen Angebot ist es eine zeitgemäße und innovative Adresse. Cristina blieb – und startete mit 40 Jahren noch einmal richtig durch.

»Kontaminierte Küche«

Cristina Bowerman beschreibt ihren Stil als »cucina contaminata«: kontaminiert von Einflüssen aus aller Welt. Ist es denn verwunderlich, dass jemand, der sich auf lebensverändernde Übersiedelungen und Umschulungen einlässt, auch für kulinarische Bereicherungen besonders offen ist? Die »Glass Hostaria« ist berühmt für ihre innovative Küche, die traditionelle italienische Zutaten und Zubereitungsmethoden mit modernen Techniken und Geschmacksrichtungen kombiniert.

Kreationen wie Hummer mit Polenta und Rote-Bete-Yuba sowie Linguine mit geräuchertem Aal, Apfel und Miso zeugen von ihrem grenzenlosen Interesse an der Welt der Aromen. Doch so kreativ und wild Bowermans Bissen auch wirken mögen: Sie alle bauen auf einem sicheren Umgang mit den Klassikern der italienischen Küche auf. Ob Pasta, Risotto, Gorgonzola, Gelato, Fisch, Meeresfrüchte, Fleisch oder Gemüse: Ein großer Teil der hochwertigen Zutaten stammt aus der Heimat. Die exotischeren Nuancen kommen wohldosiert daher und werden durch professionellstes Kochhandwerk in die durchdachten Gerichte integriert. 

Immer wieder macht sich ihre Ausbildung im Bereich der Molekularküche bemerkbar. Unter den fünf Mitgliedern ihres Küchenteams ist der Ausspruch »dovresti lavorare alla restura« (»du solltest noch an der Textur arbeiten«) ein derart geflügeltes Wort, dass sie der Chefin eine Kette mit diesem Zitat anfertigen ließen. 

Einen Streifzug durch Bowermans einfallsreiche Küche verspricht das Degustationsmenü »Best of Glass« mit den acht gelungensten Gerichten der letzten 16 Jahre. Daneben gibt es ein vegetarisches Menü mit ebenfalls acht Gängen (je 125 Euro). Es ist außerdem möglich, einzelne Gerichte à la carte zu wählen.

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Donna Donnerwetter

2010 gab es den ersten Stern, den das Restaurant bis heute hält. Damit ist Cristina Bowerman die einzige weibliche Köchin in Rom mit einem Stern. Alle anderen vom Guide Michelin mit einem bis drei Sternen ausgezeichneten Lokale – aktuell 16 Stück – werden von Männern geführt. Aus der Menge herauszustechen, scheint genau ihr Ding zu sein: Mit pinken Strähnen in ihren kurzen Haaren vermittelt sie schon beim ersten Eindruck, dass sie gesehen und gehört werden möchte.

Das Ungleichgewicht der Geschlechter in der Welt der gehobenen Küche wurmt die Quereinsteigerin, die nicht nur ihre eigenen beruflichen Entscheidungen, sondern auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen gerne hinterfragt. Sie nutzt ihre Bekanntheit für diverse soziale Projekte und gibt ihr Wissen bei Vorträgen und Workshops weiter. Vor allem Mädchen und Frauen sollen von ihren Einsätzen profitieren. 

Eine Initiative, die Bowerman besonders am Herzen liegt, heißt »Drink Pink«: monatliche Events, die weibliche Künstler ins Rampenlicht stellen und deren Erlöse der Organisation »ActionAid« zugutekommen, die sich wiederum gegen häusliche Gewalt einsetzt. Außerdem hat Cristina Bowerman die Organisation »Fiorano For Kids« mitbegründet, die die Erforschung der therapeutischen Möglichkeiten bestimmter Ernährungsweisen bei der Behandlung von Epilepsie bei Kindern unterstützt. Und im vergangenen Jahr sprach sie beim »Prix Italia«, einem renommierten Hörfunk-, Fernseh- und Internetwettbewerb, über den Zusammenhang zwischen der Gleichberechtigung der Geschlechter und einem nachhaltigen Fortschritt in der Gesellschaft.

Streben nach Nachhaltigkeit

Neben ihrem Engagement für soziale Projekte ist Cristina Bowerman bemüht, den ökologischen Fußabdruck ihres Restaurants zu reduzieren. Die »Glass Hostaria« verwendet nur biologische und hauptsächlich lokale Zutaten, um die Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren. Das Restaurant ist auch ein Partner des Vereins »Food for Soul«, einer gemeinnützigen Organisation, die sich dafür einsetzt, dass alle Zugang zu gesundem Essen haben.

Sie verwendet recycelbare Materialien und setzt sich für die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung ein. Ihr Betrieb kommt ohne Plastik aus und trägt das Gütesiegel »Plastic Free Certification« – als zweiter landesweit. »Es hat ein Jahr gedauert«, sagt Bowerman über die Umstellung, denn: »Ich konnte keine Alternative zu Vakuumbeuteln finden. Beim Plaudern mit einem Kollegen bin ich auf ein alternatives Produkt gekommen. Der Austausch ist einfach wichtig.«

»When in Rome, do as the Romans do« – so lautet das Sprichwort. Cristina Bowerman scheint es nicht zu beachten. Ihre vielfältige Lebens- und Berufserfahrung sowie eine Portion Rastlosigkeit machen sie zu einer Avantgardistin in ihrem geografischen und kulturellen Kontext. Wo Frauen an der gastronomischen Spitze selten sind, hat sie sich durchgesetzt und rüttelt – mal ernst, mal schelmisch lächelnd – immer wieder am Status quo, in der Gesellschaft wie in ihrer eigenen Küche.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2023

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Lisa Arnold
Autor
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