Die Brandstifter: Flambieren liegt wieder im Trend

In Paris feiert das Hantieren mit Flammen ein Comeback. Falstaff hat die Hochburgen aufgespürt.

Zwei Restaurants sollen dabei abgebrannt sein. Beim Flambieren. In Paris. Vor vielen Jahren schon. So genau weiß das Alain Solivérès aber auch nicht, er hat nur einmal davon gehört. Heute ist das Abbrennen ja auszuschließen, denn das Personal ist achtsamer geworden, und außerdem steht immer einer dieser ­hässlichen roten Feuerlöscher herum. Alain Solivérès ist Küchenchef im Pariser Sterne­restaurant »Taillevent«, das man ohne Übertreibung unter die zehn berühmtesten Lokale der Welt einreihen kann. Die meisten Stammgäste kommen schon mehr als zwanzig Jahre in die Rue Lamennais 15 und wollen nur eines: schlemmen wie Gott in Frankreich. Hier sind sie richtig, denn im »Taillevent« wird das Klischee von Frankreich als einzige relevante Gourmetnation täglich neu aufgefrischt und aufgetischt.

Klassisch ist wieder hip: Das »Taillevent« führt den Trend in Paris an / © beigestellt
Ein populäres Dessert steht in dem alten Gourmettempel seit mehr als sechzig Jahren auf der Dessertkarte: Crêpe Suzette, das 
wohl bekannteste Flambiergericht überhaupt – wenn man es ordinär betrachtet, eine Art Pfannkuchen mit Orangensaft. Eine gute Crêpe Suzette lebt von ihrem fein abgeschmeckten, maximalflaumigen Teig, von 
der Qualität der verarbeiteten Orangen und von einer kleinen Zimtstange, die man in den Orangenlikör wirft, wenn er über der Crêpe in Brand gesetzt wird. Crêpe Suzette steht für typisch französische Küche, und in den alten Pariser Restaurants feiert diese gerade eine Art Wiederauferstehung. Grund dafür, da sind sich die meisten Lokalbesitzer sicher, ist vor allem der Eventfaktor des Flambierens – der Eventfaktor der Grande Cuisine im Generellen. Die Gäste wollen ein bisschen Theater. Nicht Käse, sondern Flambiertes schließt den Magen.

Im »Taillevent« zählt Crêpe Suzette seit 60 Jahren zu den Dessertlieblingen der Gäste / © beigestellt
Im »Taillevent« zählt Crêpe Suzette seit 60 Jahren zu den Dessertlieblingen der Gäste. / © beigestellt

Alt, aber »in«
»Gerade rechtzeitig« komme das Comeback des Flambierens, schreibt die Tageszeitung »Le Monde«, denn das Anzünden der Speisen am Tisch sei in den letzten Jahren kaum mehr praktiziert worden. Es ist mithin der auffälligste Teil einer Rückbesinnung auf 
alte klassische Speisen und Küchentechniken, die man in Paris, in ganz Frankreich, aber auch in London und New York bemerken kann.

Zum Beispiel kommt mit dem Flambieren auch ein anderes traditionelles Showinstrument zurück: die Entenpresse, eine Vorrichtung zum Auswringen der Blutentenkarkasse vor dem Gast. Das Pariser Spitzenrestaurant »Tour d’Argent« ist für diese Spezialität seit Jahrzehnten bekannt. Mit der Entenpresse und der Blutente kommen auch die Gänseleber, die schwarze Trüffel, der Froschschenkel und sogar die Eisbombe wieder. Diese Spezialitäten waren freilich nie ganz weg, doch wurden sie als angestaubte Relikte von jedem modernen Spitzenkoch gemieden. Die Wiederkehr ist nun oft bloß Parodie. Doch sie ist immer Teil einer ratlosen Antwort auf die kreative Leere zwischen der alles revolu­tionierenden Molekularküche und der ihr nachfolgenden ethisch-korrekten Nordic Cuisine.

»Omelette Norvégienne« im »Taillevent«: Eisdessert mit flambiertem Eischnee / © beigestellt
Zurück zum Anfang
Vor allem in Frankreich besinnen sich die Köche auf die erste kreative Küche der Welt, jene von Auguste Escoffier. Und man feiert die Tatsache, dass man als revolutionäre Nation auch das Essen revolutionierte. Mit Escoffier begann das, was man Spitzengastronomie nennt. Er kreierte Speisen, die dem Adel und der damals noch neuen Bourgeoisie zur Distinktionsbestimmung dienten. Dieser Leitfaden des kreativ gestalteten besseren Essens hielt mancherorts bis in die frühen 1970er-Jahre – im Londoner »Savoy Hotel« werkten noch 1975 mehr als sechzig Köche an den nur gering modernisierten ­Kreationen Escoffiers. Und das soll jetzt, nach vierzig Jahren, wiederkommen.

Es sieht so aus, als würde die rustikale klassisch-kreative Küche in abgemilderter, von der Nouvelle Cuisine verschlankter Interpretation dort Platz greifen, wo man sich nach einer neuen Küchenrichtung sehnt. Flambieren ist nicht auf Desserts beschränkt, flambieren kann man auch ein Krustentier-Ragout, wie man es manchmal bei Alain Ducasse im »Le Meurice« und im »Louis XV« in Monaco macht. Flambieren kann man Wildgerichte genauso wie Rinderfilets, Bressehühner oder Obst. Flambieren macht alle Speisen deftiger und nimmt den Grundprodukten immer einen gewissen Anteil des Eigengeschmacks. Flambieren kann also auch Produktfehler übertünchen. Das war mithin ein Grund, warum das Flambieren von modernen Köchen stets abgelehnt wurde und teils immer noch abgelehnt wird.
Flambieren heißt auch nicht einfach, Alkohol über eine Speise zu gießen und anzu­zünden. Flambieren verlangt Genauigkeit, wie man auch im »Taillevent« weiß, also 
die richtige Temperatur der Speise und des Alkohols – beide sollten annähernd gleich warm sein –, die Wahl der richtigen Pfanne – Kupfer macht das Feuer schöner – und des richtigen Alkohols – kein billiger Fusel, aber auch nicht der teuerste Cognac. Flambieren verlangt Konzentration auf den Moment; etwas, das man vor allem in gehobenen japanischen Restaurants beobachten kann, wo die Feuerprozedur am Teppan-Tisch zum 
festen Bestandteil zählt.

Die Besuchszahlen der alten Gourmettempel steigen nach Jahren wieder an. Das vermelden diese mit Vorsicht, denn der Trend zum Althergebrachten ist noch volatil. Trotzdem erinnert vieles an frühere Zeiten. Im »Jules Verne« am Eiffelturm bekommt man heute für Wochen keinen Tisch. Das war 
vor zwei Jahren noch anders. Gleiches gilt für das schönste Bahnhofsrestaurant der Welt, »Le Train Bleue«, für das »Ledoyen«, »Lasserre« und »Laurent«. Und für das »Lucas Carton« oder »Fermette Marbeuf«. In London feiern das »Kaspar’s Seafood« und das »Ivy« mit klassischer französischer Küche Erfolg. Und in Brüssel das »Commes Chez Soi«.

»Le Monde« hat eine sehr einfache 
Antwort auf den neuen Klassiktrend, das 
Feiern der alten Küchentechniken: Es sind die Babyboomer, die den Hype machen. Jene Generation, die die erste ist, die mehrheitlich in einer stabilen, genussorientierten Mittelschicht aufgewachsen ist. Mit der Fusions­küche und dem Molekularhype setzten 
sie sich von den Eltern ab. Jetzt wird die Generation selber alt und sehnt sich nach ihrer Kindheit, nach dem Herzhaft-Deftigen, das es damals in der Grande Cuisine gab.

Hier wird flambiert: Tipps und Adressen.

Text: Manfred Klimek

Aus Falstaff Nr. 08/2015

Manfred Klimek
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