Gustav Klimts und sein letztes Atelier in Wien Hietzing (r.)

Gustav Klimts und sein letztes Atelier in Wien Hietzing (r.)
© Shutterstock

Gustav Klimt: »Komme äußerst hungrig und bitte um ein feines Nachtmahl«

Die Sommermonate verbrachte der Künstler nicht im heißen Wien, sondern auf dem Land. Vor allem am Attersee fühlte er sich wohl. Hier malte er, schwamm, ruderte – und flirtete. Und nebenbei versuchte er auch noch, ein paar Kilo zu verlieren.

Gustav Klimt liebte Wien, aber nicht im Sommer. Da zog es ihn immer wieder an den Attersee. »Es ist entsetzlich scheußlich hier in Wien, alles verdorrt, heiß, greulich, dazu die viele Arbeit, der ›Rummel‹ – ich sehne mich hinaus wie noch nie – hoffe bestimmt längstens Samstag früh bei Euch zu sein«, schrieb er an seine Lebensliebe Emilie Flöge im Jahr 1901. Seit vielen Jahren schon verbrachte er die Sommerurlaube mit Emilie und ihrer Familie. Nach Fieberbrunn, St. Agatha und Golling entschloss sich die Gesellschaft 1900 erstmals, an den Attersee zu fahren. Von da an blieb man dem türkisgrünen See im Salzkammergut treu. Die Vielfalt der Landschaft, die Berge, Wiesen, Wälder und üppigen Blumengärten inspirierten den Naturburschen Klimt ungemein. So wurde der Attersee für Klimt, was Giverny für Claude Monet, die Provence für Paul Cézanne und Krumau für Egon Schiele war: eine Oase der Lebensfreude, des Genusses, der Geselligkeit und Schaffenskraft.

Ob in Seewalchen, Litzlberg, Kammerl oder Weißenbach, überall am Attersee gelang es dem Meister des Jugendstils, sich vom stressigen Stadtleben zu erholen. In diesen Sommerwochen bemühte er sich auch stets, einige seiner vielen Kilo zu verlieren. Denn Klimt neigte, wie er selbst feststellte, »zum Ansetzen«. Gastgeber wussten vom Appetit des Künstlers ein Lied zu singen – Klimts Freund und Weggefährte Carl Moll etwa. Der Maler hatte 1897 gemeinsam mit Klimt, Koloman Moser, Josef Olbrich und anderen Künstlern die »Wiener Secession«, die Vereinigung bildender Künstler Österreichs, gegründet. In Molls Villa auf der Hohen Warte war Gustav ein gern gesehener Gast. Auch Carl Molls Stieftochter Alma gefiel Klimt sehr, und er nahm jede Gelegenheit wahr, ihr näher zu kommen. Auch Alma, die wenige Jahre später Gustav Mahler und danach Franz Werfel heiraten sollte, war von dem Feingeist angezogen, sein Heißhunger allerdings irritierte sie: »Essen tut er wahnsinnig«, schrieb sie nach einer gemeinsamen Abendgesellschaft in ihr Tagebuch. Nicht nur ihr fiel seine Unersättlichkeit auf, auch die ebenfalls anwesende Schauspielerin Lilli Lehmann mokierte sich darüber: »Sie, Moll«, fragte sie den Gastgeber mit lauter Stimme, »frisst Ihr Präsident für die ganze Vereinigung?« Dem Kunsthistoriker Alfred Lichtwark waren die abendlichen Essgewohnheiten Klimts ebenfalls einige Zeilen wert: »Er nahm mit sichtlichem Behagen seine üppige Abendmahlzeit, stets zwei bis drei Portionen von jedem Gericht. Und war er bei Freunden geladen, so wurden Klimt immer zwei Platten mehr bereitgestellt.« 

Friederike Maria Beer-Monti und Gustav Klimt im Sommer 1916 in Weißenbach am Attersee.
Gemeinfrei / © Klimt-Foundation
Friederike Maria Beer-Monti und Gustav Klimt im Sommer 1916 in Weißenbach am Attersee.

Großer Meister mit Gewichtsproblemen

Der Maler liebte vor allem deftige Wiener Hausmannskost. Bratwürste mit Erdäpfeln, Krenfleisch, Schweinskarree mit Kraut und Knödeln, all das aß er mit Leidenschaft. Eine ganz besondere Schwäche hatte er jedoch für Süßes. Seinen Tag begann er am liebsten mit einigen Stücken Gugelhupf und reichlich Schlagobers in der »Meierei Tivoli« nahe dem Schönbrunner Schlosspark. Topfenstrudel, Brombeerbusserln und Spitzbuben, mit denen Emilie ihn immer wieder verwöhnte, konnte er ebenfalls nicht widerstehen. »Sie sind so gut und erwecken die angenehmsten Erinnerungen an den Sommer«, schrieb er ihr. »Ich glaube, ich bin dick geworden«, ließ er sie ein anderes Mal aus München wissen. Die sommerliche Schlankheitskur am Attersee, verbunden mit viel Bewegung, kam dem begeisterten Wanderer und Ruderer daher sehr gelegen. Und offenbar war er der Meinung, Emilie sollte ebenfalls mehr auf ihre Linie achten. Als sie 1908 schon Wochen vor ihm an den Attersee gefahren war, ermahnte er sie mehrfach, nicht über die Stränge zu schlagen: »Nochmals: Was macht das Anfangsgewichterl? Was die Rundung?« Ein Jahr später hatte er auf Mäßigung dann jedoch selbst keine Lust mehr. Rechtzeitig vor seiner Ankunft im gemeinsamen Sommerdomizil richtete er aus: »Komme äußerst hungrig und bitte um ein feines Nachtmahl.«

Die Klimt-Denkmal in Unterach am Attersee.
© Shutterstock
Die Klimt-Denkmal in Unterach am Attersee.

Die wertvolle Zeit am Attersee hatte Klimt nur für Emilie und ihre große Sippschaft, die gewissermaßen auch seine war, reserviert. Gustavs Bruder Ernst Klimt hatte 1891 Emilies Schwester Helene geheiratet. Doch schon ein Jahr nach der Hochzeit starb Ernst unerwartet. Nach dem Tod des Bruders nahm sich Klimt seiner Schwägerin an und wurde Vormund seiner Nichte Lentschi. So entstand eine enge Verbindung zur Groß­familie Flöge, vor allem aber zu Emilie. Die Beziehung zwischen der jungen Modeschöpferin und dem arrivierten Maler war intensiv und unkonventionell. Sie verbrachten viel Zeit miteinander, vertrauten und unterstützten einander, zusammengezogen sind sie jedoch nie. Und das hatte wohl sein Gutes. Der freiheitsliebende Klimt war kein Mann, der einer Frau treu bleiben wollte. Er hatte ständig Affären, meist mit mehreren seiner Modelle gleichzeitig. Emilie, die mit ihrem Haute-Couture-Salon auf der Mariahilfer Straße alle Hände voll zu tun hatte, nahm seine Ausschweifungen hin. Vielleicht, weil sie wusste, dass sie von allen Musen jene war, die Klimts Herzen am nächsten stand.

Lieber keine Briefe aus Wien

Für Mizzi Zimmermann, die jahrelang die Geliebte des Herzensbrechers war und mit ihm zwei Söhne hatte, waren die langen Wochen, in denen Klimt in illustrer Runde am Attersee verweilte, hingegen schwer zu ertragen. Noch dazu hatte er ihr unmissverständlich klar gemacht, dass sie ihm nur notfalls Briefe dorthin senden dürfe. Dennoch drängte sie ihn, ihr wenigstens zu berichten, was er denn die ganze Zeit so treibe. »Du willst eine Art Stundenplan wissen – die Tageseinteilung – nun die ist wohl sehr einfach und ziemlich regelmäßig. Frühmorgens, meist um sechs Uhr, ein wenig früher, ein wenig später, stehe ich auf. Ist das Wetter schön, gehe ich in den nahen Wald, – ich male dort einen kleinen Buchenwald (bei Sonne) mit einigen Nadelbäumen untermischt, das dauert bis acht, da wird gefrühstückt, danach kommt ein Seebad, mit aller Vorsicht genommen – hierauf wieder ein wenig malen, bei Sonnenschein ein Seebild, bei trübem Wetter eine Landschaft vom Fenster meines Zimmers. (…) So wird’s Mittag, nach dem Essen kommt ein kleines Schläfchen oder Lektüre – bis zur Jause. Nach der Jause kommt wieder die Malerei. (…) Hie und da kommt statt dieser Abendmalerei eine kleine Kegelpartie in einem benachbarten kleinen Ort – jedoch selten – es kommt die Dämmerung, – das Nachtmahl – dann zeitlich zu Bette und wieder zeitlich morgens heraus aus den Federn. Ab und zu ist dieser Tageseinteilung noch ein kleines Rudern eingeschaltet, um die Muskeln ein wenig aufzurütteln«, schrieb er Mizzi nach Wien. Ob dieser brave Bericht wirklich den Tatsachen entsprochen hat, ist fraglich. Dass Klimt Emilie mit keinem Wort erwähnt, ist aber wohl kein Zufall.

Frauen hin, Liebeleien her: Fest steht, dass Klimt während seiner Sommerfrische fleißig und produktiv war. Das belegen mehr als 20 Gemälde von bunten Wiesen, blühenden Obstbäumen, lichten Wäldern und dem glitzernden See. Ob am Steg, im Ruderboot oder beim Lustwandeln im Garten, der Maler war den lieben langen Tag in seinem bodenlangen blauen Malerkittel anzutreffen, der ihn wie einen Apostel aussehen ließ.

1916 verbrachten Emilie und Gustav ihren letzten gemeinsamen Sommer am Attersee. Im Jahr darauf entschloss sich der gesundheitlich angeschlagene Klimt zu einer Kur in Bad Goisern. Ein halbes Jahr später, am 11. Jänner 1918, erlitt der 55-Jährige einen Schlaganfall. »Die Emilie soll kommen«, rief er, als er ins Krankenhaus gebracht wurde. Am 6. Februar starb der große Künstler. Emilie verbrachte danach noch viele Sommer am Attersee. Dass sie ihn gerade dort besonders vermissen würde, hatte Klimt wohl erahnt, als er für sie in seinem letzten Lebensjahr ein kleines Gedicht verfasste: »Die Wasserrose wächst am See. Sie steht in Blüthe. Um einen schönen Mann ist weh! Ihr im Gemüte.«


Nichts mehr verpassen!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2023

Zum Magazin

Judith Hecht
Autor
Mehr zum Thema