Dürrenmatt liebte Wein, vor allem die Gewächse aus Bordeaux. 

Dürrenmatt liebte Wein, vor allem die Gewächse aus Bordeaux. 
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Kunst & Kulinarik: Friedrich Dürrenmatt und die Völlerei

In den Werken von Friedrich Dürrenmatt wird nahezu unentwegt gebechert und geschlemmt – genauso wie es der berühmte Schweizer selbst so gerne tat. Vor allem für Bordeaux-Weine hatte der Autor von Klassikern wie »Der Besuch der alten Dame« und »Die Physiker« eine besondere Schwäche.

Schweizer Weine mochte der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt ganz und gar nicht – im Unterschied zu seinem Kollegen Max Frisch, der eine Vorliebe für Ostschweizer Blauburgunder und Fendant, einen Weißwein aus dem Kanton Wallis, hatte. Weshalb Dürrenmatt den Weinen seiner Heimat nichts abgewinnen konnte, verstand Max Frisch ebenso wenig wie dessen Obsession für französische Weine. Tatsächlich trank Dürrenmatt, wenn er Wein trank – und das tat er oft –, fast ausschließlich Bordeaux.

Schon als junger Autor gönnte er sich immer wieder einige Flaschen Château Lynch Bages oder Château Talbot. Dabei konnte er sich solch edle Tropfen damals eigentlich gar nicht leisten. Doch beim Alkohol war der Genießer nicht bereit zu sparen. Zum einen schmeckte ihm Bordeaux am besten. Und zum anderen war er davon überzeugt, dieser Wein könne – im Unterschied zu anderen – seiner Gesundheit nichts anhaben, weil er kaum Restzucker beinhalte. Denn bereits im Alter von 25 Jahren hatten die Ärzte bei Dürrenmatt Diabetes diagnostiziert und ihm eingeschärft, sich an eine strenge Diät zu halten – und vor allem auf Alkohol zu verzichten.

Doch der junge Mann war ein schwieriger Patient. Sich seiner Gesundheit wegen dauernd zu mäßigen, war für ihn keine ernsthafte Option. Jede Form der Askese war ihm zuwider. Das hatte wohl mit dem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater, einem Pfarrer aus dem Emmental, zu tun. Gegen den rebellierte er schon als Knabe. Denn dem strenggläubigen Rudolf Dürrenmatt war Verzicht heilig und Ausgelassenheit ein Dorn im Auge. Feste Nahrung vermied er, weil er sich vor der Gärung der Speisen im Magen fürchtete. Und Alkohol lehnte der Pfarrer überhaupt strikt ab. Das ging so weit, dass er bei der Messe den Wein durch Traubensaft ersetzte, um nur ja seine Lippen nicht mit Alkohol zu benetzen.

Rebellion gegen den Vater

Friedrich war sowohl die Gottesfurcht als auch die asketische Haltung des Vaters verhasst. Sein Leben lang weigerte er sich, einem Gottesdienst beizuwohnen, und wann immer sich die Gelegenheit bot, brachte er seine Ablehnung gegen alles Klerikale zum Ausdruck. Doch der Widerstand gegen den Vater ging weit über das Religiöse hinaus. Es ist kein Zufall, dass sich Friedrich bald zu einem Lebemann entwickelte, der nichts mehr genoss als ein üppiges Festmahl, begleitet von erlesenen Weinen und einer dicken Zigarre zum Schluss.

In der Öffentlichkeit inszenierte sich Dürrenmatt nicht nur als Gourmet, sondern als Gourmand. Ein Filmporträt aus dem Jahr 1981 zeigt den Künstler in seinem Stammlokal, dem »Hôtel du Rocher« in Neuenburg. Der Wirt serviert ihm eine Berner Platte, auf der sich gigantische Mengen an verschiedenen Würsten, Kartoffeln und Sauerkraut türmen. »Esch das aues?« (»Ist das alles?«), fragt daraufhin Dürrenmatt. »Hesch z’wenig?«, fragt der Wirt besorgt und bietet ihm an, gleich noch ein Kotelett nachzureichen. »Zwöi Koteletts« korrigiert der Dichter: »De Schwizer isst immer z’wenig.«

Jede Menge kulinarische Motive gibt es auch in seinem literarischen Werk, dafür hat der Schriftsteller gesorgt. Ob in seinen Theaterstücken, Kurzgeschichten, Hörspielen oder Romanen – überall finden sich Tischszenen, Gelage und ausschweifende Tafelrunden. Meistens beginnen die geselligen Zusammenkünfte heiter und unbeschwert, kippen dann aber abrupt ins Ernste. Fast immer passiert bei Dürrenmatt, während geschmatzt und gebechert wird, etwas Entscheidendes, Skurriles oder Schreckliches. So schon bei seinem ersten Theaterstück »Es steht geschrieben« aus dem Jahr 1947. Spätestens nach der Uraufführung in Zürich wussten die Zuschauer, dass der junge Literat eine Passion fürs Essen hat.

Die Hauptfigur des Stückes, Bockelson, hält nämlich einen langen Monolog über ein Festessen, das aus 40 Gängen besteht: Saure Zwetschgen mit Spargelspitzen, grüne Bohnen mit Wodka, Froschschenkel, Haferbrei mit Lindenblütentee, Emmentaler, Lambrusco, rote Kirschen in Rum, aber auch Walliser Blindschleichen, syrische Heuschrecken mit wildem sibirischem Honig, Stutenmilch und Burgunderschnecken mit leichtgekochten Schwalbeneiern lässt Dürrenmatt den dekadenten Geistlichen verspeisen – und kippt damit das Ganze ins Groteske. Das Publikum konnte damit nichts anfangen und buhte den Autor aus. Einem Kritiker missfiel sogar der Anblick des Autors: »Er sieht so epikureisch aus, wie er schreibt.« 

»Die Wurst« wurde ihm fast zum Verhängnis

Dürrenmatt trug den Misserfolg mit Fassung und blieb sich und seinen Essens­szenen treu. Im Stück »Die Physiker« etwa beschäftigt die Wissenschaftler im Irrenhaus mehr die Speisenfolge als die Morde an den Krankenschwestern. Auch im Roman »Der Richter und sein Henker« wird ein opulentes Festmahl zur Schlüssel­szene: Während ausgiebig geschlemmt wird, entlarvt der Kommissar seinen eigenen Assistenten als Mörder. Und in der Kurzgeschichte »Die Wurst« wird es überhaupt makaber: Ein Mann erschlägt seine Frau und verwurstet sie. Er wird zum Tode verurteilt und will vor der Hinrichtung die letzte verbliebene Wurst, die als Beweis im Prozess gedient hat, essen. Sein Wunsch kann ihm jedoch nicht erfüllt werden, der Richter hat die Wurst selbst verzehrt. 

Diese Geschichte hätte Dürrenmatt beinahe sein privates Glück gekostet. Die Schauspielerin Lotti Geissler verehrte der Dichter, und um sie zu beeindrucken, las er ihr »Die Wurst« vor. Lotti war über seinen »abscheulichen und zynischen Humor« derart entsetzt, dass sie mit ihm nichts mehr zu tun haben wollte. Doch Dürrenmatt ließ sich nicht abwimmeln und bat sie, doch auch andere Texte von ihm zu lesen. Diese dürften eine versöhnliche Wirkung gehabt haben. Im Oktober 1946 heiratete das Paar und Lotti blieb seine Vertraute, Stütze und Lektorin bis zu ihrem Tod im Jahr 1983. 

Geteilt hat sie mit ihrem Mann auch die Liebe zum Alkohol. Dürrenmatt war nach dem großen Erfolg seines Stückes »Der Besuch der alten Dame« mit einem Mal alle Geldsorgen los. In Neuenburg baute er ein neues Haus mit einem großen Weinkeller, den es zu befüllen galt. Dabei hielt er sich erst gar nicht mit ein paar Kisten aus dem Bordelais auf, vielmehr kaufte er gleich ganze Kellerbestände auf. »Meine Witwenweine« nannte Dürrenmatt diese Schnäppchen. Denn es handelte sich dabei nämlich meist um Hinterlassenschaften von vermögenden Weinsammlern, deren Witwen nicht wussten, was sie mit all den verstaubten Weinflaschen in ihren Kellern anfangen sollten. Umso mehr waren sie froh, wenn jemand wie Dürrenmatt zur Stelle war und sie von dem »Ballast« befreite. So wurde Dürrenmatt nach seinen eigenen Worten »zum Besitzer des berühmtesten und berüchtigsten Rotweinkellers der Schweiz«. Sein Biograph und Freund Peter Rüedi konnte das bestätigen: »In seinem Keller hatte Dürrenmatt eine Zeitmaschine. Praktisch jedem Besucher konnte er eine Bouteille seines Jahrgangs dekantieren.« Dürrenmatt selbst hielt übrigens den Bordeaux des Jahrgangs 1928 für den besten.

Doch sosehr der Schriftsteller seine Ausschweifungen zelebrierte, der Diabetiker hatte für diese einen hohen Preis zu zahlen. Seinen kulinarischen Exzessen folgten bleierne Müdigkeit und depressive Verstimmungen. Ans Schreiben war in diesen Phasen nicht zu denken. Dennoch sah er seine Krankheit nie als Feindin, sondern mehr als Verbündete. In seinem letzten Gespräch mit Biograph Peter Rüedi kurz vor seinem Tod sagte er: »Wenn ich keinen Diabetes gehabt hätte, wäre ich an meiner Gesundheit schon längst verreckt.«

Am 14. Dezember 1990 starb der Schriftsteller mit 69 Jahren an Herzversagen. »Mein Sarg soll voller Cervelats (eine Schweizer Wurst, Anm.) und Kartoffelsalat sein«, hatte er immer wieder gesagt. Doch dazu kam es nicht. Dürrenmatts Leichnam wurde verbrannt und seine Asche auf seinem Anwesen in Neuenburg verstreut.


Dürrenmatt als Maler

»Soll ich malen oder schreiben?«, fragte der 20-jährige Friedrich Dürrenmatt seinen Vater 1941. Letztlich entschied er sich fürs Schreiben, weil er es als »Befreiung« empfand. Seine Leidenschaft fürs Malen und Zeichnen verlor er dennoch nie. »Meine Zeichnungen sind nicht Nebenarbeiten zu meinen literarischen Werken, sondern die gezeichneten und gemalten Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen«, gab er zu Protokoll. Viele Bilder zeigen kulinarische Motive, verkaufen wollte Dürrenmatt diese indes nie. Heute sind seine Werke im Centre Dürrenmatt in Neuchâtel zu sehen.


Friedrich Dürrenmatt – Der Unbequeme

Friedrich Dürrenmatt wurde am 5. Januar 1921 in Konolfingen, einem kleinen Dorf im Kanton Bern, geboren. Früh begann der Bub zu zeichnen und zu malen, allerdings »nie Landschaften oder etwas Schönes, sondern immer nur Katastrophen«. 1935 zog die Familie nach Bern, wo der Vater Pfarrer wurde. Nach Abschluss des Gymnasiums begann Friedrich Dürrenmatt Philosophie, Germanistik und Naturwissenschaften zu studieren – und zu schreiben. Zu dieser Zeit entstanden »Die Wurst« und »Es steht geschrieben«. 

1946 lernt er die Schauspielerin Lotti Geissler kennen und heiratete sie kurz darauf. Er brach sein Studium ab und verfasste seine ersten Krimis »Der Richter und sein Henker« (1950) und ein Jahr später »Der Verdacht«. Leben konnte er von seinen Texten zunächst aber kaum. Das änderte sich mit dem Theaterstück »Der Besuch der alten Dame«. Die Uraufführung fand 1955 in Zürich statt und bescherte dem Schriftsteller neben wirtschaftlicher Unabhängigkeit international hohes Ansehen. Für dieses und seine folgenden Werke »Die Physiker« und »Der Meteor« erhielt er zahlreiche Preise. 1958 landete Dürrenmatt auch mit seinem Drehbuch zu »Es geschah am helllichten Tag«, das mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe in den Hauptrollen verfilmt wurde, einen großen Erfolg. 

Mitte der 1960er-Jahre begann er Regie zu führen und inszenierte nicht nur eigene Stücke, sondern auch Goethes »Urfaust«. 1983 starb seine Ehefrau (das Paar hatte drei Kinder), im Jahr darauf heiratete er erneut. Am 14. Dezember 1990 starb Friedrich Dürrenmatt an Herzversagen.


Erschienen in
Falstaff Nr. 10/2022

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Judith Hecht
Autor
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