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Moët Hennessy: Ein Branchenprimus baut um

Moët Hennessy, Teil des Luxusgüterkonzerns LVMH, ist mit seinen 27 Marken ein Gigant im Wein- und Spirituosenmarkt. Alleine jede vierte Flasche Champagner stammt aus einem Haus des Unternehmens. Jetzt macht der Konzern kräftig Tempo beim Kampf für gesunde Böden und gegen Global Warming.

Arles in der Provence, Anfang Juni 2022: In einer Halle des ehemaligen Betriebshofs der Staatsbahnen SNCF findet ein großer Kongress statt. Alles hier atmet Industriegeschichte und wirkt dennoch auch neu, denn die Stiftung der Schweizer Kunstsammlerin und Pharma-Erbin Maja Hoffmann hat das Gelände in einen Veranstaltungspark verwandelt – und einen spektakulären Frank-Gehry-Tower dazugesetzt, der als Kunstmuseum dient. Doch in der früheren Lokhalle hat nun Moët Hennessy, Teil des mächtigen Luxusgüterkonzerns LVMH, für zwei Tage zum »World Living Soils Forum« geladen.

And now the floor is to you, scientists!

Dort beeindruckt zuallererst die Innenarchitektur, die das Unternehmen hat einbauen lassen: Im Mittelpunkt stehen vier Tribünen aus recycelbarem Holz. Wie die Viertel eines Kuchens bilden sie eine Art Arena, in deren Mitte Vorträge und Diskussionen stattfinden. Auf den Holzbänken finden rund 200 Besucherinnen und Besucher Platz. Für die Programmpunkte zwischen den einzelnen Plenumveranstaltungen werden die vier Kuchenstücke um 180 Grad nach außen gedreht: So können jeweils 50 Personen an vier unterschiedlichen Workshops teilnehmen. Die Moderatoren und Experten, die diese vertiefenden Sitzungen leiten, nehmen am Fuß jeder Tribüne auf mobilen Bänken Platz.

Im Juni 2022 kamen beim »world living soils forum« in Arles 200 Forschende, NGOs und Winzer zusammen, um Erkenntnisse auszutauschen und zu diskutieren.
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Im Juni 2022 kamen beim »world living soils forum« in Arles 200 Forschende, NGOs und Winzer zusammen, um Erkenntnisse auszutauschen und zu diskutieren.

Als Moët-CEO Philipp Schaus am Morgen des ersten Tages den Kongress eröffnet, begrüßt er nicht nur Mitbewerber wie etwa Repräsentanten von Pernod Ricard oder von Martell Mumm Perrier-Jouët, sondern auch zahlreiche Vertreter von NGOs und Umweltverbänden sowie Dutzende Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Schaus spricht in seinen Eröffnungsworten davon, dass Moët Hennessy die Initiative ergriffen habe, Nachhaltigkeits- und Umweltaspekte in der Landwirtschaft voranzubringen. Dies aber seien Themen, bei denen keiner alleine erfolgreich sein könne, gefordert sei die Beteiligung der gesamten Branche. »And now«, endete er seine Ansprache, »the floor is to you, scientists!«

Vernetzung

Es mag ungewöhnlich scheinen, dass sich ein markt­beherrschendes Unternehmen als Katalysator für Entwicklungen begreift, von denen auch die Konkurrenz profitieren wird. Doch die Tagung in Arles war natürlich keine karitative Veranstaltung, sie dient in erster Linie dem wohlverstandenen Eigeninteresse eines Konzerns, der sich handwerklichen Produkten verschrieben hat – und der auch ein sehr genaues Gespür dafür hat, dass ein Kippen natürlicher Systeme ganz unmittelbar die eigenen Geschäftsfelder bedroht.

Moët & Chandon: Die bekannte Champagnermarke und der ­nicht minder namhafte Cognac Hennessy sind Namenspaten für das Konglomerat Moët Hennessy von Getränkemarken bei LVMH.
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Moët & Chandon: Die bekannte Champagnermarke und der ­nicht minder namhafte Cognac Hennessy sind Namenspaten für das Konglomerat Moët Hennessy von Getränkemarken bei LVMH.

Bereits 2012 legte der Mutterkonzern LVMH ein Programm unter dem Namen »LIVE« (LVMH Initiatives For the Environment) auf, bei Moët beschleunigten sich die Dinge mit Antritt des Luxemburgers Schaus Ende 2017: Bereits im Februar 2020 kündigte dieser auf der Messe »Vinexpo/Wine Paris« an, dass alle Champagnermarken im Portfolio (Moët & Chandon, Dom Pérignon, Veuve Clicquot, Mercier, Ruinart, Krug) ab Ende 2020 in ihren eigenen Weinbergen auf den Einsatz von Herbiziden verzichten werden.

Sandrine Sommer ist als »Chief Sustainability Manager« bei Moët Hennessy für den Fortschritt von 27 Marken verantwortlich.
© Moët Hennessy
Sandrine Sommer ist als »Chief Sustainability Manager« bei Moët Hennessy für den Fortschritt von 27 Marken verantwortlich.

Auch fand auf dieser Messe ein erster Test mit Vorträgen und Paneldiskussionen statt: »Wir müssen Erkenntnisse teilen«, gab Schaus damals zu Protokoll, »und wir brauchen externe Experten, das sind alles komplexe Themen. Wir müssen also zusammenarbeiten, und wir müssen schnell sein.« Zeitgleich wurde eine Führungskraft als Chief Sustainability Manager eingestellt: Sandrine Sommer, die sich zuvor einen Namen beim kultigen Beautylabel Guerlain gemacht hatte, wo sie als Verpackungs­ingenieurin den Umbau der Produkte nach Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit eingeleitet ­hatte.

People First

Wie kriegt Sommer nun 27 verschiedene Häuser mit eigenen Arbeitsroutinen und Betriebskulturen auf einen einheitlichen Nachhaltigkeitskurs? »In jedem unserer Unternehmen gibt es Ansprechpartner und Mitarbeiter, die mit meinem Team und mir zusammenarbeiten. Mein Team pusht beispielsweise in allen Häusern die Frage Biodiversität, wir schauen mit den Verantwortlichen vor Ort, wo und wie sie ökologische Korridore einrichten können, die die Monokultur brechen.« So nähere sich der Standard, nach dem die Häuser arbeiten, Schritt für Schritt an. Sommer ist aber auch noch etwas anderes wichtig: »Das Klimaproblem drängt, und ebenso drängen soziale ­Probleme. Man kann das eine nicht vom anderen trennen. Daher ist mein Mantra: People first!«

Wir müssen Erkenntnisse teilen

So weit die Theorie. Doch wie sieht der Umbau konkret aus? Ein Beispiel, das an die soziale Thematik anknüpft, geben die Bodegas Terrazas de los Andes in Argentinien. Auf diesem 600-Hektar-Betrieb in einer strukturschwachen Region können die Lesehelferinnen und Lesehelfer ihre Kinder im Herbst mit ins Weingut bringen, wo Schulunterricht und Freizeitangebote für sie organisiert sind. Das Jahr über organisiert das Weingut Kunstkurse in 18 Schulen der Region, auch in entlegenen Bergdörfern. Die besten Arbeiten werden am Jahresende auf Grußkarten des Weinguts gedruckt.

 

In einigen Schulen können Schüler in speziell eingerichteten Baumschulen Patenschaften für einen jungen Baum übernehmen und »ihren« Baum später in einen öffentlichen Park pflanzen. In Grundschulen führt Terrazas de los Andes Recycling-Aktionen für PET-Flaschen durch – alles, um für die Belange des Umweltschutzes zu sensibilisieren. Älteren Schülern werden Praktikumsplätze im Weingut angeboten, bei denen sie Einblicke in die verschiedenen Arbeitsbereiche bekommen.

Zugleich treibt die Bodega den Umbau zur Nachhaltigkeit voran: Gerade eben wurden 86 Hektar nach den Kriterien der regenerativen Landwirtschaft zertifiziert, also für eine Art der Landwirtschaft, die den Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen minimiert. Bis zum Jahr 2026 soll dasselbe Zertifikat für die Gesamtfläche folgen. Auch hier ist Wissensvermittlung zentral: Ohne Fortbildungsprogramme für die Mitarbeiter:innen – ganz besonders, was den Umgang mit den raren Wasser­ressourcen angeht – wären auch solche Ziele nicht erreichbar.

Austernbänke, lebendige Böden

Ein ganz anderes Thema treibt die Whiskey-Destille Glenmorangie in den schottischen Highlands um: Durch die industrielle Ausbeutung der Austernbänke an der schottischen Ostküste sind im 19. Jahrhundert Hunderte Kilometer solcher Biotope verschwunden. Seit 2014 haben Wissenschaftler der Heriot-Watt University finanziert von Glenmorangie in drei Phasen die Wiederansiedelung europäischer Austern im Dornoch Firth unweit des Unternehmens vorangetrieben. Im Jahr 2021 wurden 20.000 Austern ausgesetzt – mit der Hoffnung, dass bis zum Jahr 2030 die Austernpopulation auf vier Millionen Exemplare angewachsen sein wird.

Ausgleichsflächen und tierisches Leben nahe des Weinbergs helfen, 
Biodiversität zu erhalten und zu steigern.
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Ausgleichsflächen und tierisches Leben nahe des Weinbergs helfen, Biodiversität zu erhalten und zu steigern.

Dann könnten die Bänke eine so große Ausdehnung erreicht haben, dass sie zum einen die Biodiversität des Fjords positiv beeinflussen, vor allem aber werden sie als Filter für das Meer­wasser dienen. Glenmorangie baut 97 Prozent seiner organischen Abfälle – etwa die Gerste der Whiskeyproduktion – in anaeroben Klärprozessen auf dem Gelände ab. Die Austern werden sich eines Tages um die restlichen drei Prozent kümmern, denn eine einzige Auster kann pro Tag bis zu 200 Liter Meereswasser reinigen. Überdies interessiert sich die Forschung auch dafür, ob Austern CO2 am Meeresgrund binden.

Gesicherte wissenschaftliche Kenntnis ist, dass gesunde Böden CO2 speichern. Die Initiative »4 per 1000« etwa, die sich beim Kongress in Arles präsentierte, geht davon aus, dass ein Aufbau organischer Masse in den obersten 30 Zentimetern der Böden um jährlich 0,4 Prozent (also um vier Promille) ausreicht, um den menschlich verursachten Anstieg von CO2 in der Atmosphäre zu stoppen. Derzeit sind jedoch viele Böden auf dem Planeten so leblos, dass sie sogar CO2 in die Atmosphäre abgeben, statt welches zu speichern. Und der Teufelskreis geht weiter: Böden, die keine Biomasse enthalten, erodieren schneller und sind weniger in der Lage, Feuchtigkeit zu halten, was wiederum den Wassermangel verschärft.

Gesunde Böden, bessere Produkte

All diese Überlegungen sind maßgeblich dafür, dass Moët Hennessy in der Wiederherstellung lebendiger Böden den wichtigsten Hebel seiner Initiativen sieht – zumal gesunde Böden auch bessere Produkte hervorbringen. Die erforderlichen Maßnahmen, etwa bei einer Bodenbearbeitung ohne Herbizide, beim Pflanzen von Bäumen und Sträuchern als Zwischenkultur in Weinbergen oder bei der Ausbildung kenntnisreicher und motivierter Mitarbeiter, kosten erst einmal Geld.

So ist es ein glücklicher Umstand, dass Moët Hennessy in Bernard Arnault einen Mehrheitseigner hat, dem diese Anliegen ganz offenkundig selbst am Herzen liegen. LVMH ist in der ungewöhnlichen Lage, trotz Börsennotierung irgendwie noch ein familiengeführtes Unternehmen zu sein. »Wenn wir ausschließlich Quartalszahlen im Auge haben müssten«, sagt Philippe Schaus, »wäre das für den Luxusbereich, in dem wir tätig sind, ein ­Desaster.«


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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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