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Die nachhaltige Revolution: Piper-Heidsieck enthüllt Zukunft des Weinanbaus

Von Champagnertradition bis zur bahnbrechenden Innovation: Kellermeister Émilien Boutillat enthüllt seine erste Cuvée »Essentiel Blanc de Noirs« in einem einzigartigen Rundgang durch die Geschichte von Piper-Heidsieck.

Émilien Boutillat steht bei schwülen 28 Grad, leichten Schönwetterwolken im Weinberg auf einer Weinkiste. Ein weißes Hemd, lange Chino, die rote Kappe und ein riesiger roter Regenschirm schützen ihn vor der Sonne. Um den Kellermeister herum: rund 50 Neugierige – Wein- und Champagnerbegeisterte aus aller Welt. Rund 24 Stunden lang tauchen sie in und um Frankreichs Champagner Hochburg Reims in das Universum von Piper-Heidsieck ein; besser, sie werden auf eine Neuheit vorbereitet, die sie laut Einladung nur verstehen können, wenn sie die Geschichte des Hauses hautnah erleben.

Es folgt eine Art Pilgerung durch die hauseigenen Weinberge von Courmas, im Herzen der Montagne de Reims. Auf dem etwa zweistündigen Durch- und Rundweg wird Émilien von Aurelia Jamain begleitet. Sie ist die Managerin des Weinbergs und kennt gefühlt jede Rebe der 16 Hektar großen Parzelle, die in etwa zu gleichen Teilen mit Pinot Noir und Pinot Meunier bepflanzt ist. Die Reben finden hier einzigartige Bedingungen vor. Neben dem Boden, der zu größten Teilen aus Lehm besteht, spielt – wie überall – das Klima die ausschlaggebende Rolle. Und davon gibt es in der Champagne gleich zwei Typen: ozeanisches Klima trifft auf Kontinentalklima. »Für die Region heißt das vor allem: Hier erlebt man alles«, erklärt Aurelia. Nicht zu kalte, aber auch nicht zu warme Winter, mal viel Regen, lange Trockenperioden, eiskalt oder bullenwarm – davon scheint die Natur und die Biodiversität hier ausgiebig zu profitieren. »Die Sonne scheint überdurchschnittlich viel und es regnet genau dann, wenn man den Regen braucht«, fügt Émilien hinzu.

Doch der Klimawandel sorgt verlässlich auch hier für unvorhersehbare Überraschungen. In diesem Jahr hieß das vor allem: Ein ungewöhnlich warmer und trockener Winter, in dem es in Frankreich wochenlang nicht geregnet hat, wurde von einem kalten und regenreichen Frühling abgelöst. »Es regnete fast die ganze Zeit von März bis Mai, weshalb wir mit kranken Weinreben zu kämpfen hatten«, erinnert sich Aurelia. Die Erlösung kam Mitte Mai. Die Sonne scheint seitdem beinahe ununterbrochen jeden Tag – perfekte Bedingungen für die Blüte, die gerade – Ende Juni – zu Ende gegangen ist.

Gute Konditionen führen zu guten Trauben

Hier und da versteckt sich noch eine Blume zwischen den saftig grünen Blättern. Die Trauben haben mittlerweile etwa die Größe von Linsen. Diese guten Konditionen führen normalerweise zu ebenso guten Trauben – und wie man sehen kann, reichlich vielen. Aurelia geht davon aus, dass Anfang September mit der Lese begonnen werden kann. In die Trauben hineinsehen und prognostizieren, wie der Wein schließlich wird, kann aber selbst der Kellermeister nicht. Bis zur Lese sind es schließlich noch ein paar Monate – und genug Zeit, sich alles anzuschauen, was sich in und um den Weinberg abspielt. Zwischen den Reben herrscht zurzeit Hochbetrieb. Es ist die Zeit der »Palissage«. Die Triebe werden voneinander getrennt – »die Reben können so besser atmen«, vereinfacht Aurelia den Prozess. Dieser Vorgang schützt sie zudem vor Fäulnis und Krankheiten. Wie bei der Traubenlese auch ist hier Geschick und Ausdauer gefragt: Die Arbeit wird vollständig von Hand durchgeführt.

»Ausprobieren, lernen, Fehler machen, neue Wege zu finden und den Weinbau der Zukunft kreieren«

Schon seit 2015 sind die Weinberge Piper-Heidsiecks – und viele weitere in der Champagne – mehrfach ausgezeichnet, und das abseits des Endprodukts. Die Zertifizierung VDC, »Viticulture Durable en Champagne« (Nachhaltiger Weinbau in der Champagne), verpflichtet unter anderem, die Umwelt in allen Belangen zu respektieren, zu erhalten und gleichzeitig aufzuwerten. Bis 2030 sollen 100 Prozent der Weinberge der Region als nachhaltig zertifiziert sein. Ergänzt wird die ausschließlich auf Winzer der Champagne zugeschnittene Zertifizierung durch das HVE (Haute Valeur Environnementale)-System. Im Fokus stehen vor allem die Biodiversität innerhalb des Weinbergs, umweltfreundliche Praktiken oder die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks.

 

Seit Anfang an verfolgen Émilien und Benoît die gleichen nachhaltigen Ziele.
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Seit Anfang an verfolgen Émilien und Benoît die gleichen nachhaltigen Ziele.

Bei Piper-Heidsieck will man über die Anforderungen der Auszeichnungen hinaus gehen. Der hauseigene Weinberg wird deshalb auch »Piper-Lab« genannt. In diesem Freilichtlabor will man »neue Türen öffnen, so viele wie möglich – und experimentieren, um die Zukunft des Weinanbaus zu gestalten, die jetzt und hier beginnt«. Émilien klingt euphorisch, schließlich wächst neben ihm vielleicht schon die Traube der Zukunft. Nicht mal einen halben Hektar groß ist die Brutstätte von »Voltis«, einer neuen Rebsorte, die durch verschiedene Resistenzen, den Konditionen der Zukunft besser gewachsen sein soll. Ob sie es wirklich ist, weiß niemand. Das einzige Ziel momentan ist es: »Ausprobieren, lernen, Fehler machen, neue Wege zu finden und den Weinbau der Zukunft kreieren«, fasst Émilien seinen ganzheitlichen Ansatz zusammen. Zu ihm gehört auch die Biodiversität in und um den Weinberg herum. Seit 2022 wurden nicht nur sämtliche Spezies in der Umgebung identifiziert, sondern auch überlegt, wie man die verschiedenen Ökosysteme dazu bringen kann, voneinander zu profitieren. Für den Weinberg heißt das vor allem »Leben in die Bude« zu bringen, scherzt Émilien. »Umso mehr Leben um ihn herum entsteht, desto positiver wirkt sich das auf den Weinberg aus«, erklärt er.

Dass man das Ökosystem sich nicht einfach selbst überlassen kann, zeigen nicht nur die Winzer und Arbeiter, die ab dem Frühjahr ständig den Weinberg pflegen. Kurz vor Ende des Rundgangs versperrt ein blauer Roboter den Weg. Als eines der ersten Unternehmen der Champagne setzt das Haus hier den »Bakus« der Firma »VitiBot« ein. Der völlig autonome und elektrische Weinbergsroboter hilft vor allem bei der Pflege der 16 Hektar großen Fläche und diese effektiver zu gestalten. Bis zu zehn Stunden am Tag bahnt sich der »Bakus« seinen Weg durch die Reben.

Als eines der ersten Unternehmen der Champagne setzt das Haus den »Bakus« der Firma »VitiBot« ein.
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Als eines der ersten Unternehmen der Champagne setzt das Haus den »Bakus« der Firma »VitiBot« ein.
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Das Haus auf den Kopf stellen

Piper-Heidsieck ist dank all dieser Anstrengungen seit 2022 durch ein weiteres Zertifikat ausgezeichnet: Mit dem »Benefit Corporation«, kurz »B Corp« Zertifikat, zeichnet die Non-Profit-Organisation »B Lab« Unternehmen für ihre positiv sozialen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen aus. Inzwischen sind weltweit über 4.000 Unternehmen, darunter »Weleda«, »Patagonia«, »Ecosia« und »Ben & Jerry's«, zertifiziert. Piper-Heidsieck, Charles Heidsieck und Rare Champagne erhielten als erste drei Häuser in der Champagne die B Corp-Zertifizierung.

Beim Lunch, umgeben von Pinot Noir, rekonstruiert CEO Benoît Collard den intensiven Prozess, bis es so weit war. Mehr als 200 Fragen zu Unternehmensführung, Mitarbeiter, Gemeinden und Umwelt mussten beantwortet werden. Seit 2015 hat man daran gearbeitet. »Es ist nun Teil der Philosophie von Piper-Heidsieck. Das Haus wurde einmal auf den Kopf gestellt.« Das zeigt sich nicht nur bei der Herstellung von Champagner. Auch alles, was sich rund um das Unternehmen – und auch um die große Enthüllung am Abend – abspielt, ist auf eine nachhaltige Zukunft ausgerichtet.

»Digital lässt sich das Haus nicht auf diese Art und Weise erleben, man muss es fühlen«

Vor allem die junge Generation lege da Wert drauf. Benoît erzählt, wie wichtig die Philosophie für die nächste Generation ist – auch wenn es darum geht, wie ein Unternehmen geführt wird und sich nach außen hin präsentiert. Er erinnert sich an eines der ersten Gespräche mit Émilien: »Die Frage Nummer eins war nach der Philosophie des Hauses und der Nachhaltigkeit«.

Unter diesem Gesichtspunkt erscheint das Mittagessen mitten im Weinberg der Philosophie ein wenig zu widersprechen. Fast 50 teils eingeflogene Weinexpertinnen aus aller Welt werden mitten im Ökosystem Weinberg bekocht? Auf diese Frage war Benoît vorbereitet. Natürlich. Die Anreise ausgenommen – »digital lässt sich das Haus nicht auf diese Art und Weise erleben, man muss es fühlen« – wird bei solchen Events ausschließlich mit lokalen Anbietern gearbeitet, die saisonal arbeiten und zur Philosophie des Hauses passen. Die Blumen: von der lokalen Floristin, die das bündelt, was zurzeit in und um Reims wächst. Die Küche: vorwiegend kalt. Der Kaffee: im Tal gebraut. »In den Weinberg soll so wenig wie möglich eingegriffen werden«, sagt Benoît. Und selbst die Reihen, durch die Émilien im Anschluss führt, sind genauestens abgezählt.

Der Rundgang durch die Weinberge ist für Benoit jedoch nur eine Komponente: »Man kann Piper-Heidsieck nicht verstehen, ohne in die Vergangenheit zu reisen«. Am Morgen wurde genau das getan – in flüssig.

Das vertikale Tasting durch fast 40 Jahre Piper-Heidsieck Geschichte in der »La Villa« im Headquarter des Hauses, durchlief auch Émilien Boutillat als er 2018 als Chefwinzer anfing. »Sie ist die perfekte Methode, um sich wirklich mit dem Stil von Piper-Heidsieck auseinanderzusetzen«, erzählt er, während eine Cuvée nach der nächsten ausgeschenkt wird. Für ihn, sind die Lebendigkeit, Frische und Mineralität das Hauptmerkmal eines jeden Champagner des Hauses. Sie gilt es beizubehalten. Die verschiedenen Zusammensetzungen von Pinot Noir, Meunier und Chardonnay, die Länge der Reifung, die Dosage – all diese Faktoren sind Teil der wilden Spekulation, die den ganzen Tag über anhält: Wie sieht nach all diesen Eindrücken die flüssige Zukunft Piper-Heidsicks aus?

 

Die Auflösung erfolgt am späten Abend im Herzen von Piper-Heidsieck. Rot pulsierendes Licht lässt die meterhohen Stahltanks leuchten. Auf den Gerüsten um sie herum spielen zehn Musiker – Blechbläser, Streicher und Holzbläser – eine von Antoine Berquet komponierte Hommage an Johann Sebastian Bach. Der französische Komponist übersetzt genau wie Bach seine Themen in Melodiefragmente, darunter die Worte »Piper«, »Champagne«, »Bubbles« und »Essentiel«. Zu den Klängen wird die neue Cuvée über den langen Steg feierlich zu den Gästen getragen. Die Spekulation hat ein Ende, viele haben es schon vermutet: Émilien Boutillat präsentiert die erste Cuvée, die vollständig von ihm kreiert wurde.

Émilien präsentiert stolz »sein Baby«: den »Essentiel Blanc de Noirs«.
Émilien präsentiert stolz »sein Baby«: den »Essentiel Blanc de Noirs«.

Mit 36 Jahren ist er immer noch der jüngste Kellermeister eines der großen Häuser der Champagne, aber er beweist bereits jetzt sein Gespür für Innovationen. »Sein erstes Baby«, der »Essentiel Blanc de Noirs« ist eine Hommage an die haupt- und gleichzeitig schwarzen Rebsorte des Hauses: Pinot Noir und Meunier. Die Cuvée stammt ausschließlich aus VDC-zertifizierten Parzellen. Die kürzeste Nacht des Jahres klingt im angrenzenden Tasting Room aus. Dieser erwartete und gleichzeitig unerwartete Blanc de Noirs, spiegelt perfekt die Zukunft Piper-Heidsiecks wider: Elegant, frisch, und lebendig – eine moderne Version, ohne den Stil der Maison zu verlieren.


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Anna Wender
Anna Wender
Redakteurin
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