© Piper-Heidsieck

»Er ist mein allererstes Baby« : Kellermeister Émilien Boutillat im Interview

Er wurde mit Champagner getauft: Bei Piper-Heidsieck arbeitet mit Émilien Boutillat der jüngste Weinmacher aller großen Häuser. Nun stellt der »Chef de Caves« seinen ersten eigenen Champagner vor.

Falstaff: Herr Boutillat, der »Essentiel Blanc de Noirs« ist so etwas wie ihr erstes Kind bei Piper-Heidsieck. Was ist sein Geheimnis? 

Émilien Boutillat: Der Blanc de Noirs ist tief in unserer Geschichte verwurzelt. Er besteht nur aus zwei Traubensorten: Pinot Noir und Meunier, die dadurch noch mehr hervorgehoben werden. Wir haben einen fruchtigen Pinot Noir mit viel Eleganz, Pflaumen- und Brombeeraromen und einem Hauch von Frische durch frische Myrtenblätter. Als extra Brut Champagner ist er Teil der »Essentiels«: Sie reifen lange, haben eine niedrige Dosage, also nur fünf Gramm Zucker pro Liter, was die Mineralität und den Salzgehalt betont. Insgesamt verkörpert er perfekt den Stil von Piper-Heidsieck: Lebendigkeit, Frische und Mineralität. Es ist ein unerwarteter Blanc de Noirs, eine moderne Vision, weniger kraftvoll, sondern elegant, frisch und lebendig.

Wie lange reift der Blanc de Noirs?

Die Trauben wurden 2019 geerntet, ein Jahr später wurde er abgefüllt und danach ist er drei Jahre gereift – plus sechs weitere Monate nach dem Degorgieren. Ab September kann man ihn kaufen.

Sie kamen erst 2018 zu Piper-Heidsieck. Das war eine schnelle Geburt!?

Nach meinem Beginn habe ich fast das gesamte erste Jahr mit unzähligen Verkostungen verbracht. Mein Team und ich sind tief in die Geschichte Piper-Heidsiecks eingetaucht, um das Haus besser zu verstehen. Für mich war sofort klar, dass wir etwas rund um den Pinot Noir und den Blanc de Noirs kreieren müssen. Die Idee war schnell geboren, aber ich musste den Grundwein erst probieren, um zu sehen, ob wir das, was wir erreichen wollen, damit auch umsetzten können. Im Frühjahr 2020 wussten wir, dass es funktionieren wird.

Hatten Sie Angst, dass die Leute die neue Version nicht mögen könnten?

Nein. Ich war stolz auf das Ergebnis. Aber natürlich ist es immer ein Risiko, eine neue Cuvée auf den Markt zu bringen. Der Blanc de Noirs ist noch immer eine Nische. Die Idee war, die Vielfalt des Champagners hervorzuheben und sich mehr auf Pinot Noir und Meunier zu konzentrieren. Alle kennen den Blanc de Blanc, aber der Blanc de Noirs ist oft etwas Neues. Wir machen Weißwein aus schwarzen Trauben. Das ist eine Besonderheit, die nur durch das Terroir der Champagne möglich ist, – durch die Tatsache, dass wir jede einzelne Traube von Hand lesen, und eine wirklich sanfte Pressung haben.

ALS ICH GETAUFT WURDE, HABE ICH EINEN TROPFEN CHAMPAGNER BEKOMMEN, SEITDEM FLIESST ER DURCH MEINE VENEN.

Volle Konzentration: Wetterextreme wirken sich auf den Weinberg, die Winzer und auf den Stil des Weines aus.
© Piper-Heidsieck
Volle Konzentration: Wetterextreme wirken sich auf den Weinberg, die Winzer und auf den Stil des Weines aus.

Was erwarten Sie von der Ernte 2023? 

Es ist viel zu früh, um das zu sagen (lacht). Der Anfang der Saison war schwierig. Es war kalt, nass und wir hatten Probleme mit Milben. Mitte Mai kam dann die Erlösung: Trockenes und sonniges Wetter, sodass alle Lichter momentan auf Grün stehen. Die Trauben scheinen perfekt zu werden. Wir haben gerade die Blütezeit beendet und sie ist unter perfekten Bedingungen verlaufen. So weit, so gut, aber es sind noch einige Monate bis September.

Die größte Herausforderung ist der Klimawandel?

Ja, und zwar nicht nur für uns, sondern für die gesamte Champagne und den Weinanbau allgemein. Wir erleben Wetterextreme: Frost und viel Regen zu Beginn der Saison, gepaart mit extremen Hitzewellen. Das hat Auswirkungen auf den Weinberg, die Winzer und auch auf den Stil unseres Weins. Wir müssen uns selbst anpassen, aber auch die Dinge, die wir im Weinberg und in der Kellerei tun, entsprechend verändern. Gleichzeitig müssen wir unseren ökologischen Fußabdruck reduzieren, um diese wunderbare Umgebung in der Zukunft erhalten zu können.

Sie sind in der Champagne und mit Champagner aufgewachsen. Dann zog es sie nach Neuseeland, Südafrika und Chile. Wann haben Sie gemerkt, wie besonders ihre Heimat ist?

Mein Vater ist Winzer. Ich bin im Weinberg aufgewachsen. Für mich war es das Normalste auf der Welt. Aber wie jeder Teenager wollte ich irgendwann fort, Frankreich und die Welt entdecken. Erst als ich zurückkam, wurde mir klar, dass das nicht normal ist. Ich habe so viele schöne Länder, Landschaften und Weinberge gesehen – so viele interessante Menschen kennengelernt. Als ich dann aber in meine Heimatstadt zurückkam, in dieses kleine Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, habe ich erst realisiert: Wow, ist das schön. Ich hatte fast vergessen, wie besonders es hier ist. Ich wusste, dass ich all die Erfahrungen und die Ideen, die ich im Ausland gesammelt habe, in der Champagne verwirklichen möchte. Ich wollte einen Twist und einige neue Ideen in diese alte historische Region mit ihren etablierten Häusern und Techniken bringen.

Können Sie sich an das erste Mal erinnern, als Sie Champagner getrunken haben?

Das sollte ich besser nicht sagen – ich war sehr jung (lacht). Aber als ich getauft wurde, habe ich einen Tropfen Champagner bekommen, seitdem fließt er durch meine Venen. Noch bevor ich aber Champagner trank, hat mein Vater mich an ihm riechen lassen. Ich glaube, wir schulen unsere Nase und unser Gedächtnis mit Dingen, die wir in unserer Kindheit riechen. Mit meiner Mutter habe ich gekocht, bin mit ihr in den Garten gegangen und habe an Blumen gerochen. Mein Vater hat mir hingegen Gläser mit Champagner hingestellt und mich die Unterschiede erriechen lassen. Das war ich ungefähr 10 Jahre alt. Aber getrunken habe ich ihn da noch nicht.

Der aufregendste Prozess bei der Herstellung von Champagner: Die Degustation
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Der aufregendste Prozess bei der Herstellung von Champagner: Die Degustation

Was lieben Sie an ihrer Arbeit?

Es dreht sich alles um Vielfalt. Ich liebe, dass ich keine zwei Tage hintereinander habe, die gleich aussehen. Ein Teil meines Jobs ist der Weinbau, ein anderer Teil die Weinherstellung, die Verkostung, Teamarbeit, das Projektmanagement, die Welt zu bereisen und der Welt zu zeigen, was Piper-Heidsieck ist und was wir tun. Es sind fast 360 Grad, das liebe ich so daran.

DIE TEAMARBEIT IST DER SCHLÜSSEL, IM CHAMPAGNER BUSINESS UND BEI PIPER-HEIDSIECK.

Warum sind Sie zu Piper-Heidsieck gekommen?

Ich war damals erst 32 Jahre alt und Piper-Heidsieck hatte bereits eine mehr als 230 Jahre alte Geschichte. Die Chance, diese Position nach Régis Camus, dem emblematischen Chef de Champagne, zu übernehmen, war unglaublich. Benoît Collards und meine Werte und Visionen passten dazu noch perfekt zusammen. Ich war von der Aufgabe und der Zukunft, die wir kreieren wollen, begeistert. Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit.

Wenn man in ein traditionelles Haus kommt, wird alles, was man neu macht, an dem gemessen, was vorher da war. Hat das Druck auf Sie ausgeübt?

Ja, aber auf eine gute Art und Weise. Das Vertrauen, das ich erhalten habe, ist erstaunlich und das gibt mir Mut, neue Dinge vorzuschlagen, wie den Blanc de Noirs. Nur wenige Monate nach meinem Einstieg habe ich die Idee dem Team vorgestellt und sehr positives Feedback bekommen. Die Teamarbeit ist der Schlüssel, im Champagner Business und bei Piper-Heidsieck.

Was ist der aufregendste Prozess bei der Herstellung von Champagner?

Ich liebe die Degustation. Wir treffen alle unsere Entscheidungen auf der Grundlage von Verkostungen, vor allem Blindverkostungen. Es ist technisch und wissenschaftlich, aber auch ein großes Vergnügen. Besonders diesen einzigartigen Moment mit dem Team zu teilen: die Tür zu schließen und in eine andere Welt einzutauchen, abgeschirmt von der Außenwelt und der Verrücktheit der Welt.

Kellermeister Émilien Boutillat und CEO Benoît Collard in den Weinbergen von Courmas.
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Kellermeister Émilien Boutillat und CEO Benoît Collard in den Weinbergen von Courmas.

Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade Wein machen?

Meine zweite Leidenschaft neben der Weinherstellung ist Improvisationstheater. Ich verbringe viel Zeit in meinem Tagesjob, aber ich habe auch eine Art Nacht-Job. Wir proben regelmäßig für eine Reihe von Aufführungen in Reims und anderen Orten.

Was trinkt ein Winzer außer Champagner und Wein?

Wasser (lacht). Nein, ich entdecke gerne neue Dinge. Aber manchmal brauche ich wirklich ein schönes kaltes Bier. In Frankreich gibt es immer mehr Craftbeers und auch in Reims wird viel gebraut.

Sie trinken täglich Champagner?!

Überwiegend spucke ich. Es ist wichtig, den Fokus nicht zu verlieren und sich konzentrieren zu können – und ich muss natürlich an meine Gesundheit denken. Deshalb spucken wir mehr am Tag, als zu trinken.

Was ist für Sie ein Champagner-No-Go?

Da gibt es kein No-Go. Es ist einfach eine Frage der Kreativität, der Freiheit und des Respekts vor dem Produkt. Das tun wir auch bei Piper-Heidsieck. Es gibt einige Winzer, die neue Dinge ausprobieren, die ein bestimmtes Terroir, oder den Meunier hervorheben, der so viele Jahre im Schatten stand. Erforschen Sie ihn! Es ist wie auf einem Spielplatz, so gut wie alles ist erlaubt.

Welcher Champagner spiegelt Sie am besten wider und warum?

Der Essentiel Blanc de Noirs, natürlich. Er ist mein allererstes Baby, das ich von Grund auf geschaffen habe. Er ist ein Symbol für die Verbindung zwischen der Geschichte seit 1785 und der Tatsache, dass wir schon immer innovativ sein wollten, um die Zukunft zu gestalten. Und er ist ein Meilenstein auf unserem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft, die wir gemeinsam mit unseren Winzern, der Umwelt und den Menschen gestalten wollen – ein wirklich wichtiger Schritt für das Haus.


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Anna Wender
Anna Wender
Redakteurin
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