Bei den Landwirten in den Hamptons darf alles so lange wie möglich wachsen – auch die Rüben sind überdimensional groß.

Bei den Landwirten in den Hamptons darf alles so lange wie möglich wachsen – auch die Rüben sind überdimensional groß.
© Angelika Ahrens

Paradiesische Vielfalt: Warum die »Farmstands« der Hamptons auf jede New York-Bucketlist gehören

Malerisch, charmant, einladend. Die »Farmstands« am Ende von Long Island vermitteln das typische East-End-Feeling und waren schon Kulisse für viele Filme. Sie bieten nicht nur frisches Obst und Gemüse der Saison, sondern sind ein One-Stop-Shop für Einheimische und das Who’s who der New Yorker Gesellschaft gleichermaßen.

Leuchtend gelbe Sonnenblumen, violetter Blumenkohl, saftig-grüner Salat. Wer bei »Bayview Market & Farms« in Aquebogue an der Straße hält, der kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Berge von prächtigem Gemüse türmen sich auf den Holztischen, drinnen wie draußen. Der »Farmers Market« bietet in Hülle und Fülle alles, was das Feinschmecker­herz begehrt oder begehren könnte. ­Romantik inklusive. 

Einkaufen ist hier an den Farmstands in den Hamptons am Ostende der Insel Long Island im US-Bundesstaat New York mit Glücksgefühlen verbunden. Bei den Reichen und Berühmten, den Rich and ­Famous, genauso wie bei den Unfamous, also den weniger Bekannten.

Der überdimensionale Blumenkohl auf dem alten grünen Lastwagen am Eingang steht symbolisch für das, was Katie und Paul Reeve hier in siebenter Generation anbauen. »Wir verkaufen unsere Produkte nicht genormt, wo eine bestimmte Menge in eine Kiste passen und alles eine bestimmte Größe haben muss. So können wir im letzten Moment ernten, wenn alles etwas größer ist, und es direkt vom Feld zum Stand bringen«, sagt Katie. Ihr Mann Paul baut direkt hinter dem Markt auf mehr als 600.000 Quadratmetern Obst, Gemüse und Mais an. Katie schnappt sich einen der Maiskolben, schält ihn und beißt hinein. »Den süßen Mais kann man auch roh essen.«

Jede Woche wird geerntet

Die erste Maisernte plant Paul jedes Jahr pünktlich zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli, dem US-amerikanischen Nationalfeiertag. Danach pflanzt er in der Folge 16-mal Mais, sodass er bis spät in den November hinein noch jede Woche frische Maiskolben ernten kann. Katie zeigt auf riesige lila-weiße Rüben und lacht: »Mein Mann hat dieses Jahr zum ersten Mal Langzeitdünger verwendet. Mal sehen, ob diese Rüben ein neuer Trend werden.« Ein weiterer Hingucker ist der violette Romanesco, der roh oder gekocht gegessen werden kann. Das ist etwas, was man nicht so oft im Supermarkt findet. Genauso wie Savoy-Spinat oder Savoy-Wirsing. Beide sind bei den Leuten sehr beliebt – und die Chefin hat für Interessierte auch noch Rezepttipps parat: In die lockeren, krausen Blätter des Wirsings rollt Katie gerne Fleisch. Er schmeckt etwas milder und süßer als Grünkohl.

Einen Tisch weiter warten Kohlsprossen, noch am Strunk und zum selbst Pflücken. Auch kleine Butternusskürbisse gibt es. Große kennt man, aber kleine? Und es sind keine Zierkürbisse. Der »Honeynut Squash« oder Honignusskürbis sieht aus wie ein Mini-Butternusskürbis, aber das Fruchtfleisch ist noch süßer, orangefarbener und insgesamt kräftiger im Geschmack. 

Pickups und Ferraris

Am Straßenrand parken Ferraris neben Pickups. Manch einer, der angehalten hat, zieht kurz darauf eine Art Beachbuggy oder Leiterwagerl durch die Reihen, überwältigt von der Fülle, und lädt darauf, was Platz hat. Das Auge isst (oder kauft) hier mit. Und der violette Romanesco kostet mit rund sechs Dollar schließlich nicht die Welt. 

Sofia etwa ist gerade auf dem Heimweg von der Arbeit. Sie nimmt Beefsteak-Tomaten, das halbe Kilo für drei Dollar. Sie sind genau richtig, nicht zu weich. Die hellroten fleischigen Ochsenherztomaten passen gut zu ihrem Abendessen, findet sie. Im Nebenraum hat Sofia schon frisches Brot und Käse ausgesucht. Für sie ist der Bauernmarkt ein Muss. Er ist für viele hier ein One-Stop-Shop: »Ich kaufe hier sehr oft ein. Es sieht alles so schön aus, frisch, und es ist so gemütlich. Ich fühle mich wie zu Hause«, erzählt Sofia. 

Tatsächlich bekommt man hier wirklich fast alles. Muffins und Obstkuchen backen Katie und ihre Mitarbeiter von »Bayview Market & Farms« selbst. Und weil die Familie Reeve an sieben Tagen in der Woche ein komplettes Vollsortiment anbieten will, liefert ein Fleischhauer aus Connecticut per Boot über das Meer regelmäßig frische Wurst. Ein Entenjäger bringt natürlich die berühmten Long Island Ducks, Milchbauern liefern frische Eier und Milch. Das Brot kommt vom örtlichen Bäcker.

Viele der Produkte werden im nahen »Food Business Incubator« der Stony Brook University hergestellt. Hier können Start-ups in einer professionellen Großküche produzieren und ihre Produkte lagern. Das Gründerzentrum wurde als Wirtschaftsmotor zur Förderung von Agrar-, Aquakultur- und Umweltindustrie im Osten von Long Island konzipiert.

Hollywood-Kulisse

Farmstands wie jenen von Katie gibt es hier am Ostende von Long Island häufiger. Und jeder Farmstand hat seinen eigenen Charme. Manche dienten bereits als Kulisse für Filme wie »Was das Herz begehrt« mit Jack Nicholson und Diane Keaton oder »Revenge«. 

Auch ganz andere Spezialitäten findet man hier: Einige Stände, etwa jener am Montauk Highway in Westhampton, bieten in den Sommermonaten frisch zubereitete Muscheln an. Besitzer John Carson holt die Muscheln regelmäßig selbst aus der Bucht. Außerdem bietet er selbstgemachten Honig an und eine Vielzahl an Apfelsorten. Neben Fuji und Jonagold gibt es seltene Sorten wie Winesap, die sich gut für Tartes eignen, aber hier auch für Cider verwendet werden. Die Äpfel sind süß, im Abgang würzig – und echte Vintageäpfel. Ihre Geschichte reicht bis in die amerikanische Kolonialzeit zurück. 

Erbe der ersten Siedler

Die Landwirtschaft auf Long Island vor den Toren Manhattans wurde durch die europäischen Siedler geprägt, die um das Jahr 1600 in die Region kamen. Die Ureinwohner, die vor der Kolonialisierung hier lebten, bauten vor allem Mais, Bohnen und Kürbisse an. Die »drei Schwestern« bildeten die Grundlage ihrer Ernährung. Die Europäer, vor allem die Holländer und Engländer, brachten eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Methoden und Kulturpflanzen mit. Sie bauten Obst, Getreide und Gemüse an, betrieben Viehzucht – und spielten damit eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der modernen Landwirtschaft auf Long Island. Die heutigen Städte entwickelten sich rund um die landwirtschaftlichen Aktivitäten.

Auch die Vorfahren von Paul Reeve, Betreiber von »Bayview Market & Farms«, kamen vor 200 Jahren in der Kolonialzeit mit dem Schiff aus England. Noch seine Eltern bauten vor allem Kartoffeln an – das war früher der Schwerpunkt der Landwirtschaft hier. Heute spielen für ihn andere Gemüsesorten eine Rolle. Bio lohnt sich zwar nicht, dafür muss der Boden bestimmte Kriterien erfüllen. Aber der einstige Gletscher hat einen fruchtbaren gut durchlässigen sandigen Lehmboden hinterlassen. Das Meerwasser, das Long Island von beiden Seiten umgibt, erwärmt das Land und hält die Temperatur auch im Herbst moderat. Das und viel Sonnenschein ermöglichen die sechsmonatige Erntezeit.

Im Juni öffnet das Erdbeerfeld, teilweise zum Selberpflücken. Erst Ende November fährt Paul Reeve mit seinen Crews die letzte Ernte ein. Im Frühjahr, rund um Ostern, geht es bereits wieder mit dem Spinat los.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 10/2023

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