Kwame Onwuachi mit seinem Team vor dem Lincoln Center auf der Upper West Side, der Heimstadt der New Yorker Philharmoniker. Hier ist auch das »Tatiana« untergebracht, Onwuachis aktuelles Restaurant.

Kwame Onwuachi mit seinem Team vor dem Lincoln Center auf der Upper West Side, der Heimstadt der New Yorker Philharmoniker. Hier ist auch das »Tatiana« untergebracht, Onwuachis aktuelles Restaurant.
© Tatiana

Kwamw Onwuachi: Der derzeit gefragteste Küchenchef in New York

Aus schwierigen Verhältnissen stammend ist sein Werdegang auch ein Stück afroamerikanische US-Geschichte.

Phönix aus der Asche: Mit 33 Jahren ist Kwame Onwuachi ganz oben angekommen. Die »New York Times« wählte sein Restaurant »Tatiana« zum besten Restaurant der Stadt, sechs Monate nach der Eröffnung im November 2022 gewann Onwuachi zudem den »One To Watch Award« von »World’s 50 Best«. Damit hat er gute Chancen, demnächst in die Liste der 50 besten Restaurants der Welt aufzusteigen, in den kulinarischen Olymp. Und das mit einer Küche, die Einflüsse aus der Bronx und das kulinarische Familienerbe aus Nigeria, Jamaika und Louisiana in außergewöhnlichen afrokaribischen Kreationen zusammenbringt: Egusi-Dumplings mit Felsenkrabbe, Piri-Piri-Salat mit Honeynut-Kürbis, Schwarzbohnen-Hummus mit Lamm.

Untergebracht ist das »Tatiana« im Lincoln Center for the Performing Arts in New Yorks Upper West Side, in der aufgemöbelten David Geffen Hall, dem legendären Konzerthaus, in dem die New Yorker Philharmoniker spielen. Die Renovierung des Gebäudekomplexes kostete 550 Millionen Dollar. Nicht immer war diese Gegend chic und teuer. Früher, als das Viertel noch San Juan Hill hieß, lebten hier Einwanderer aus Afrika und Puerto Rico. Doch in den 1950er-Jahren wurden sie vertrieben und ein Großteil der alten Häuser abgerissen.

 Im »Tatiana« werden die afrokaribischen Einflüsse von Kwame Onwuachi neu interpretiert.
© Tatiana
Im »Tatiana« werden die afrokaribischen Einflüsse von Kwame Onwuachi neu interpretiert.

Aufgewachsen in der Bronx

Die Bronx ist nicht allzu weit entfernt – und doch eine andere Welt. Hier wuchs Kwame Onwuachi auf. Seine Eltern ließen sich früh scheiden, der Vater schlug ihn. »Ich war ein ziemlich böses Kind«, sagt der Sohn über sich selbst. Also schickte die Mutter ihn zum Großvater nach Nigeria, zu den Igbo, einer der drei größten Volksgruppen des Vielvölkerstaates, von denen die meisten nicht in einer Überflussgesellschaft leben. Zwei Jahre blieb der Junge dort. »Ich habe nicht nur ­gelernt, meine Vorfahren zu respektieren, sondern auch die Erde und wo mein Essen herkommt«, erinnert sich Onwuachi heute. Seine Mutter war Köchin und oft außer Haus, also kochte die Schwester für ihn. Nach ihr, Tatiana, ist sein Restaurant benannt. Die Erfahrungen seiner Kindheit prägten Onwuachi und sein Wirken in der Küche, wo Teamarbeit zählt. Für das »Tatiana« engagierte er etwa einen Koch aus einem Casino in Yonkers ohne nennenswerten Lebenslauf. Onwuachis Motto: »Es geht darum, sich umeinander zu kümmern und füreinander zu sorgen.«

Als er seinerzeit aus Nigeria zurückkam, machte er zunächst schnelles Geld auf der Straße. Doch er fand den Absprung. Als Teenager verkaufte er in der New ­Yorker ­U-Bahn Süßigkeiten, um seine eigene ­Catering-Firma zu finanzieren. Er ging ans ­Culinary Institute of America, eine der renommiertesten Kochschulen der USA. In dieser Zeit arbeitete er im Drei-Sterne-Restaurant »Per Se«, danach im »Eleven ­Madison Park«, beides New Yorker Institutionen. Beim amerikanischen TV-Publikum machte sich Onwuachi 2015 durch die Realityshow »Top Chef« einen Namen. Sein Werdegang und seine lässige Art begeisterten. Nichts schien ihn zu stoppen.

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Dämpfer in D.C.

Dann kam Washington, D.C., wo Ende 2016 das »Shaw Bijou« eröffnet wurde, ein Edelrestaurant für die Hauptstadtelite, die zuvor monatelang auf das Lokal gewartet hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben war Onwuachi selbst Küchenchef. Und enttäuschte die Erwartungen. Der Preis für sein 13-gängiges Degustationsmenü erschien vielen anmaßend hoch, erst recht für einen Newcomer. Ein Kritiker der »­Washington Post« ließ 500 Dollar im Lokal und sehnte sich anschließend nach einer Pizza. ­Onwuachi stellte sein Menü um, senkte den Preis, doch da war es bereits zu spät. Nach nicht einmal drei Monaten musste das Lokal schließen, die Finanzierung ging nicht auf. Unbedingt innovativ hatte der junge und hungrige Aufsteiger sein wollen und dabei an den Wünschen der Gäste vorbeigekocht. Die Erfolgsstory bekam eine Delle, aus der Onwuachi jedoch – wie alle erfolgreichen Menschen – die richtigen Schlüsse zog. »Ich habe sehr viel gelernt«, erklärte er damals. Was man eben so sagt, wenn ein Prestigeprojekt scheitert.

Dass ihn die Kritik dann doch heftiger traf, als es zunächst den Anschein hatte, weil sie den Kern seiner Identität berührte, kann man in Onwuachis Biografie nachlesen. Sie heißt »Notes from a Young Black Chef«. Er sei sicher, schreibt er darin, dass die Reaktionen nicht so heftig ausgefallen wären, wenn seine Haut heller gewesen wäre. Oder wenn sein Essen mehr der New American oder der Nouvelle Cuisine anderer Spitzenrestaurants entsprochen hätte. Fine Dining und People of Colour, so kann man den Vorwurf lesen, passten für viele nicht zusammen. Doch vielleicht ist das nicht die ganze Wahrheit. Für das »Shaw Bijou« brauchte es Chuzpe, und sich selbst beschrieb Onwuachi als »dreist, draufgängerisch und ein wenig arrogant«. Wohl auch deshalb fiel dem Gastro-Esta­blishment eine gewisse Häme nicht schwer.

Neustart im Sklavenhafen

Onwuachis Geschichte erzählt von einem, der auf seinem Weg aus der Bronx nach oben viele Rückschläge hinnehmen musste. Und der sich stets damit auseinandergesetzt hat, was es heißt, in einem Land, das von Weißen dominiert wird, schwarz und ehrgeizig zu sein, statt sich brav in die Schlange zu stellen.

Aus der Asche, zu der das »Bijou« -zerfallen war, kehrte Onwuachi wie ein Phönix in den kulinarischen Himmel zurück. Im »Hotel InterContinental« im Washingtoner Viertel The Wharf eröffnete er das »Kith/Kin« mit afrokaribischer Küche. Hier hatten einst Sklavenschiffe angelegt, um Menschen wie ihn in Ketten nach Amerika zu bringen. »Ein Ort für Träumer«, schrieb Onwuachi, die daran glaubten, »dass ihre Kultur eines Tages als gleichwertig und bedeutsam akzeptiert wird«. Das Restaurant erhielt viel Lob und brachte dem Koch einen »James Beard Award« als »Rising Star Chef of the Year«. Bis zum Coronasommer 2020 blieb er, dann war es Zeit für ein neues Projekt: zurück zu den Wurzeln, nach New York City.

Vielleicht ist ein historisch schillernder Ort wie das Lincoln Center genau der richtige für den kulinarischen Ansatz, den Onwuachi verfolgt: die vertrauten kulinarischen Einflüsse seines afrokaribischen Erbes auf unfassbar spannende Weise neu zu interpretieren, in einem Team, das auf Augenhöhe zusammenarbeitet.

Das »Tatiana« sei nicht bloß ein Restaurant, sondern die Zukunft des Fine Dining, jubelte etwa das Magazin »Forbes«. Und Onwuachi selbst? Bleibt hungrig, ohne den Spaß an der Sache zu verlieren. Letztlich geht es ihm vor allem darum. Wenn die Gäste sein Restaurant verlassen, sollen ihre Wangen vor Lachen schmerzen, sagte er einmal. Noch heuer will er übrigens zurück nach D.C. – der nächste Meilenstein wartet.

»Soulfood«

Afroamerikanische Köche definieren mittels spezieller Zutaten, Aromen und Gewürze ihre eigene kulinarische Identität.

»Soulfood« lautet in den USA die inoffizielle Bezeichnung für afroamerikanische Küche. Sie ist so vielfältig wie die Bevölkerungsgruppe selbst. Ihr Ursprung liegt in der Zwangsmigration und Versklavung der Afrikaner ab dem 17. Jahrhundert. Afroamerikanische Küche entstand daher aus einem Mangel heraus, enthielt meist viel Fett und Zucker, um die früher oft eher minderwertigen Lebensmittel geschmacklich zu verbessern. Eher unliebsame Fleischteile wie Innereien, Schweinefüße und -ohren oder Hühnerflügel wurden überwiegend geschmort oder frittiert, Gemüse oft mit Schweineschmalz gedünstet. Und wie einst die europäischen Eroberer brachten auch die versklavten Afrikaner Gewürze, Speisen und Kochtechniken aus ihrer Heimat mit.

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2023

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