© Weingut Olinger

Weinguide Deutschland 2023: Das sind die Kandidaten zum Titel Newcomer des Jahres

Falstaff stellt aus Franken, Rheinhessen und Württemberg drei ausgewählte Newcomer, ihre Weine und weiteren Perspektiven vor.

Geradlinig und kompromisslos

Für den diplomatischen Dienst eignet sich Johannes Gröhl vermutlich nicht. Dafür erzeugt der 24-jährige Jungwinzer bemerkenswert individuelle Weine, in denen die pointierte Säure wie ein Kompass wirkt.

Johannes Gröhl ist ein Freund der klaren Worte. Botschaften zu verklausulieren und um den heißen Brei herumzureden, ist gar nicht sein Ding: Er war gerade mal 16 und hatte nach eigenen Angaben »noch keine drei Liter Wein produziert«, als er zu Hause den Aufstand probte. Da erklärte der Winzersohn seinem erfahrenen Vater Eckehart, dass man in Zukunft »die Weine anders und feiner« machen müsse. Im rheinhessischen Weinolsheim löste das »Riesendiskussionen« und auch Streitigkeiten aus. »Das kam nicht so gut an«, erzählt der forsche Jungwinzer. Der Vater konterte und gab ihm den Rat, »es doch gefälligst selbst zu machen«. Gesagt, getan. 2017 und 2018 erzeugte Johannes Gröhl seine ersten Weine, die auf Anhieb überzeugen konnten. Eine Zeit lang arbeiteten Vater und Sohn im Keller parallel an ihren eigenen Fässern, aber inzwischen habe er den internen Wettstreit gewonnen, sagt der 24-Jährige, der für den Ausbau der meisten Weine zuständig ist: Eckehart Gröhl kümmert sich nur noch um die Basis-Linie.

Sein Talent zeigte Johannes Gröhl zunächst in einer ganz anderen Disziplin: Er spielte leidenschaftlich gerne Fußball in der Jugend-Regionalliga und spielte sogar mit dem Gedanken, sein Geld als Profi zu verdienen. Beim Fußball habe er auch gelernt, klare Ansagen zu machen. »Wenn mich etwas stört, dann spreche ich es direkt an.« Bis zu siebenmal in der Woche trainierte er in Mainz, am Wochenende ging es um wichtige Punkte. Da blieb wenig Zeit für Nebensächlichkeiten, zu denen auch der Wein gehörte. Aber als Johannes Gröhl verletzt pausieren musste, veränderten sich die Prioritäten schlagartig. Mit 16 entschied er sich gegen den Fußball und fing an, »zu Hause zu schaffen«. Gröhl begann 2017 eine Winzerlehre, er vertiefte sein Wissen bei den Brüdern Rings in Freinsheim und bei Philipp Kuhn in Laumersheim, nach der Ausbildung holte er sich bei Matthias Knebel in Winningen weiteren Feinschliff. Die Lehr- jahre hätten ihm »die Augen geöffnet: Das war eine Stufe über dem, was ich von zu Hause kannte«, sagt Gröhl, der seit 2019 in Geisenheim studiert.

Im Weingut änderte Johannes Gröhl manches, um seine Vorstellungen umzusetzen: »Die Vorbereitung im Weinberg ist ein großer Punkt«, dazu zählt er frühes Ausschneiden und Halbieren der Trauben, er lässt früher lesen, »die Traubenhaut muss knackig sein«. Die Weine, die »nicht jedem gefallen müssen«, sind wie der Winzer: Geradlinig und mit Tempo ziehen sie am Gaumen auf mit einer Säure, die manchen Harmonie-Trinker verstören könnte: »Ich mache keinen Riesling für Grauburgunder-Trinker«, stellt Gröhl klar, es gehe aber nicht darum zu provozieren: Die Säure sei sein »Markenzeichen« und der Garant dafür, dass seine Weine gut reifen: Dabei denkt er auch an Rieslinge vom Roten Hang wie von Heyl zu Herrnsheim aus den 1990ern, die noch immer »großes Kino« seien.

Johannes Gröhl, nach eigener Einschätzung ein »ziemlicher Dickkopf«, hat keine Angst anzuecken, sein maischevergorener Riesling »Reh« mit einem guten Schuss Vin Naturel soll seine »Schlüsse aus Experimenten in den normalen Bereich« transportieren. Der Winzer arbeitet nach Intuition und Bauchgefühl: »Ich will keine Gärkurven am Computer studieren, sondern an die Fässer rangehen und mir eine Meinung bilden.« Er habe zwar überhaupt kein gutes Gedächtnis für Namen und schreibe sich fast gar nichts auf, könne sich aber an jeden guten Wein erinnern, den er bislang getrunken habe. Der draufgängerische Winzer will weiter auf einem stabilen Fundament aufbauen, das seine Eltern geschaffen haben: 25 Hektar gehören zum Besitz, darunter in Lagen wie Oppenheimer Sackträger, Niersteiner Pettenthal oder Hölle mit massivem Kalkuntergrund, »in dem Weinberg wachsen Steine«, vermutet Gröhl, der seine Zukunft in Weinolsheim sieht, auch wenn er in den Wintermonaten gerne andere Weinländer bereisen und noch »ein paar Wörter Englisch lernen« möchte. Nach den anfänglichen Differenzen haben sich die Wogen im Weingut Gröhl längst geglättet. Öfter habe der Vater ihn ermahnt: »›Johannes, das geht doch so nicht.‹ Jetzt lässt er mich machen.«


Beschwingter Schnellstarter

Früher saß Simon Hornstein gerne hinterm Schlagzeug, inzwischen gibt die großartige Natur mit Alpen-Panorama seinen Rhythmus vor: Der junge Winzer belebt den bayerischen Bodensee mit seinen Weinen.

Simon Hornstein ist mittendrin in einer lebendigen Bewegung, er fühle sich »gut und beschwingt«. Aber er wisse auch, »dass wir nur etwas Gutes schaffen können, wenn wir es gemeinsam umsetzen«. Hornstein, 29, redet von der kleinen Winzerszene am bayerischen Bodensee, die gerade »nach einer langen Durststrecke aufblüht«. Was für das große Ganze gilt, lässt sich auch für das Weingut am Hornstein behaupten: Seit der Winzer 2017 nach Nonnenhorn zurückkehrte, gewinnen die Weine von Jahrgang zu Jahrgang an Profil.

Der Winzerhof liegt nur zweihundert Meter vom Ufer des Bodensees entfernt. Weinbau betreibt die Familie zwar schon lange, aber das sei eine »komplizierte Geschichte«, da immer auch Obst angebaut wurde, die Weintrauben liefen nebenbei mit. Erst seine Eltern hatten 1999 angefangen, eigene Weine zu keltern. Angezogen fühlte sich Hornstein nicht von der Arbeit in den Weinbergen, er habe »nicht nur die romantische Seite des Weinbaus erlebt«. Als Jugendlicher spielte er lieber Schlagzeug in einer Jazz-Combo und konnte sich die Musik auch als weitere Perspektive vorstellen, aber dann kam über Nacht das »Wein-Fieber, das mich nicht mehr loslässt«. 2011 begann er die Ausbildung im Staatsweingut in Meersburg, seitdem habe er die Drumsticks nicht mehr angerührt. Das Studium in Geisenheim folgte 2013, die nächsten Herbste verbrachte er bei Sebastian und Paul Fürst in Bürgstadt und beim Weingut Gross in Ratsch – prägende Stationen, gerade in der Südsteiermark versuchte er, »die Herangehensweise aufzuschnappen, feinfühlig mit Böden und Klima umzugehen«.

Natürlich habe er sich auch noch »herumspülen lassen« in berühmten Weinregionen wie dem Burgund. Aber Hornstein will zurechtkommen mit den heimischen Gegebenheiten: Weinbergen mit leichten Böden und Cool-Climate-Verhältnissen. Dafür mussten erst einmal grundlegende Zweifel ausgeräumt werden: »Liefert das Terroir am See die Qualität von Wein, die ich möchte?« Die Frage ist eindeutig geklärt, die Grundlage dafür sind beinahe sieben Hektar Reben in den Lagen Nonnenhorner Seehalde und Sonnenbichl, es sind besonders Pinot Noir und Chardonnay, an denen der junge Winzer hängt. Die Seehalde ist die »Heimatlage«, in der auch der Hof steht, die kargen Böden bergen runde Kiesel und Süßwassermuscheln. Sonnenbichl dagegen ist der Weinberg mit festerem Boden, gebrochenen Steinen und mit höherem Ton- und Kalkgehalt. Die Reben stehen am See auf 400 Metern Höhe, im Herbst kühlen die Temperaturen ab, was zu einem »filigranen und feinen Weincharakter« führe. Der Weinbau wird vor allem durch die Alpen bestimmt, viele Regenwolken bleiben an den Gipfeln hängen, »die Weinberge sind auch im Hochsommer grün«.

Simon Hornstein ist nach wenigen Herbsten noch dabei, »die Lagen zu evaluieren und die Unterschiede zu begreifen. Ich bin noch am Anfang der Entwicklung.« Den Chardonnay aus dem Sonnenbichl baute er im Jahrgang 2020 zum ersten Mal separat aus, das ergab gerade mal ein Barrique. Das Kelterhaus ist unscheinbar, aber die Traubenlese »ist bei uns sehr spektakulär« und wird mit peniblem Aufwand betrieben. Sogar ein Lesetisch wird mitten in den Weinbergen platziert, »damit wir möglichst wertige Trauben bekommen«. Deshalb könne er die Kellerwirtschaft immer mehr zurücknehmen. Hornstein setzt auf Ganztraubenpressung, der Most wird mit reichlich Trub spontan vergoren, »ich versuche einen langen Ausbau ohne Schwefel auf der Vollhefe«.

Die »grundlegende Stilfrage« sei geklärt, sagt Simon Hornstein, die werde ohnehin durch die Böden und das relativ kühle Klima vorgegeben: »Seewein« sei eine passende Umschreibung für seine Stilistik und Arbeit, die er vor einem großartigen Panorama ausüben kann: Wenn die Reben austreiben, blickt er auf schneebedeckte Berge, am Ende der Lese sind die Gipfel auch wieder weiß gepudert. Hornstein will seine Weinberge noch auf zehn Hektar erweitern, »um mehr Spielraum zu bekommen«. Er geht überlegt, aber trotzdem in Siebenmeilenstiefeln voran: »Die wilde Fahrt geht weiter.«


Kopf im Himmel, Füße auf dem Boden

Wein und Kulinarik sind für den fränkischen Winzer Nicolas Olinger eine untrennbare Einheit, die auch seinen Blickwinkel als Winzer verändert hat: Schon im Weinberg fange er an zu überlegen, was man zu seinen Weinen essen könnte.

Das Leben habe viel mehr Genuss zu bieten, seit er die Faszination der Kulinarik und das genussvolle Zusammenspiel von Essen und Wein für sich entdeckte, sagt Nicolas Olinger. Inzwischen plant der Winzer aus Iphofen seine Urlaube anhand von verheißungsvollen Speisekarten in Städten wie Marseille oder im Baskenland. Gerne macht er auch mal einen Abstecher zu Spitzenköchen wie Felix Schneider im Nürnberger Restaurant »etz«. Das erweitere auch seinen Blickwinkel als Winzer, wenngleich er sich manchmal bremsen müsse: »Ich esse viel zu viel«, sagt der Franke, »ich mag es, wenn der Tisch vollsteht mit vielen Speisen.«

Nicolas Olinger zählt zur lebendigen Weinszene in Iphofen, wo neben etablierten Betrieben auch junge Winzerinnen und Winzer auf sich aufmerksam machen. »Aber große Töne zu spucken, liegt uns Franken nicht«, sagt der 33-Jährige, der das Weingut Gebrüder Müller – Familie Olinger leitet, das in der stimmungsvollen Altstadt von Iphofen liegt. Olingers Großvater – einer der Gebrüder Müller – war aus dem Osten des Steigerwalds nach Iphofen gezogen, um Fässer herzustellen und nebenbei Wein auszubauen. Schon als Kind habe er zu Hause »mitgewurstelt« und seinem Vater Josef geholfen, aber den Reiz des Winzerberufs entdeckte Nicolas Olinger erst viel später: »Wein war überhaupt nicht hip, wir hatten eine ältere Kundschaft und viel Literware.« Aber bei einer Verkostung habe er schlagartig verstanden, dass Wein mehr sein könne, als er lange vermutete.

Im Bio-Weingut Burrlein in Mainstockheim begann er 2008 seine Winzerlehre, sofort stellte er auch im Weingut seiner Eltern auf biologischen Weinbau um, das seit 2020 auch offiziell zertifiziert ist. Olinger fing 2014 an, in Geisenheim zu studieren, seinen ersten Jahrgang kelterte er 2015, drei Jahre später sei er dann »voll eingestiegen«. Seit einer Reise nach Neuseeland und einem mehrwöchigen Aufenthalt in Marlborough sei er »open minded«, sagt Olinger: Neuseeländische Winzer würden ihre Lockerheit auch bei der Arbeit behalten. Inzwischen aber lebe er »liebend gerne« in Europa, die Wege nach Italien und Frankreich seien kurz – was der Gourmet gerne auch für seine kulinarischen Exkursionen nutzt.

Halbe Sachen kennt der zielstrebige Nicolas Olinger nicht, wenn er etwas angeht, dann richtig: »Ehrgeizig sollte man schon sein im Leben«, sagt er. Nach der Winzerlehre habe er »alles gelesen über Wein, was ich in die Finger bekommen konnte«. Seinen Wissensdurst konnte das freilich nicht stillen, Olinger zog nach Berlin, um sich zum Sommelier ausbilden zu lassen und seinen »Horizont zu erweitern«. Im Sterne-Restaurant »Philipp« in Sommerhausen sammelte er praktische Erfahrungen, er arbeitete auch einige Monate im Weinladen St. Pauli. In der Nachbarschaft lernte er den Gastronomen Fabio Haebel kennen, der ihm viele Zusammenhänge erklärt und ihn inspiriert habe, »Sachen zu durchdenken. Er hat mich mit seiner Leidenschaft für die Gastronomie angesteckt.«

Inzwischen bewirtschaftet Nicolas Olinger 17 Hektar Weinberge auf »100 Prozent Gipskeuper«, Silvaner ist die wichtigste Rebsorte für ihn. Besonders hängt der Winzer an den alten Reben im Iphöfer Kalb, die »seit 50 Jahren jedes Wetter aushalten, von minus 20 bis plus 40 Grad«. Olinger ist am liebsten bei seinen Reben, er fühle sich an die Scholle gebunden, »die Natur ist mein Arbeitgeber«. Im Keller setzt er auf einen »entspannten Ausbau« mit Spontangärung und langem Hefelager, seine Weine haben »etwas fast burgunderhaft Weites und Getragenes«, wie während der Verkostung bemerkt wurde. Silvaner sei »kein Marktschreier«, aber wecke regelmäßig die kulinarische Fantasie: »Ich denke schon im Weinberg darüber nach, was man dazu essen könnte. Durch die Kulinarik setze ich mich viel intensiver mit Wein auseinander.« Nicolas Olinger wird im November 34, er sehe sich aber als echter Newcomer: »Ich fühle mich manchmal noch als kleines, neues Lichtlein«, was ihn weiter antreibe, seine Ziele zu erreichen, ganz nach der Devise: »Kopf im Himmel und die Füße auf dem Boden.«


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Rainer Schäfer
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