Thront auf einem Quarzit-Kegel, der geologisch gesehen ein Vorposten des Taunus ist: Schloss Johannisberg, umrundet von seinen Rieslingreben.

Thront auf einem Quarzit-Kegel, der geologisch gesehen ein Vorposten des Taunus ist: Schloss Johannisberg, umrundet von seinen Rieslingreben.
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Weinguide Deutschland 2023: Schloss Johannisberg hat die Kollektion des Jahres

Ein vergleichsweise neues Team und ein ziemlich alter Weinberg: Schloss Johannisberg krönt den Aufstieg der letzten Dekade mit Weinen, die sich den Titel »Kollektion des Jahres« verdient haben. Falstaff gratuliert!

Legendenstatus kann eine Bürde sein, und Schloss Johannisberg ist eine Legende: ältestes reines Rieslingweingut der Welt (seit 1720), Geburtsort der Spätlese (1775), historischer Besitz von Persönlichkeiten, die ihrerseits Legenden sind – früher des Fürsten von Metternich, heute der Familie Oetker. Fürst Metternich, der 1816 Schloss und Weingut im Nachgang des Wiener Kongresses zum Geschenk bekam, hatte die Idee, unterschiedlich süße Weine aus unterschiedlich reifen Trauben separat abzufüllen und sie mit verschiedenen Lackfarben zu siegeln: ein Geniestreich, dessen Berechtigung und Sinnhaftigkeit sich bis zum heutigen Tag erhalten hat. 

Stefan Doktor gehört nicht zu der Art von Leuten, die sich von Legenden aus der Ruhe bringen lassen. Respekt und Verantwortung empfindet er schon, aber Doktor, das wird bei einer Begegnung mit ihm rasch deutlich, ist ein Macher. Er verlässt das Nebengebäude, in dem sich die Weingutsverwaltung befindet, lässt den Schlosshof zur Linken liegen und schreitet geradewegs Richtung Weinberg. Die Fassade des Westflügels zur Linken, die Schlossschänke zur Rechten, führt ein gepflasterter Fußweg zum Scheitelpunkt des Hangs: In einem Halbrund von östlichen bis westlichen Richtungen schmiegen sich die Reben ans Relief des rund 70 Meter ­hohen Kegels, auf dem das Schloss thront. 50 Hektar an einem Stück – bis zu genau jener Linie, an welcher der Hang beginnt, flach auszulaufen. Der Rebenteppich zieht sich noch weitere 30 Höhenmeter und Luftlinie weitere anderthalb Kilometer hinab bis zu Vater Rhein, doch diese Reben gehören nicht mehr zum Schloss, dessen Weinberg seinen natürlichen Grenzen seit mehr als 300 Jahren, vermutlich seit der Gründung des vormaligen Benediktinerklosters im zwölften Jahrhundert treu geblieben ist.

Das Team v. l.: Marcel Szopa, Weingutsleitung, Michel Städter, Leiter Weinbau, Stefan Doktor, Weingutsleitung, Gerd Ritter, Kellermeister.
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Das Team v. l.: Marcel Szopa, Weingutsleitung, Michel Städter, Leiter Weinbau, Stefan Doktor, Weingutsleitung, Gerd Ritter, Kellermeister.

Hier zeigt Doktor, der seit 2008 auf dem Johannisberg tätig ist und das Weingut seit 2016 gemeinsam mit dem Weintechno­logen Marcel Szopa leitet, in die einzelnen Flurstücke und erläutert, wo in diesem Patchwork typischerweise die besten ­Trauben für welches Prädikat wachsen. »Der Gelblack stammt eher von den Par­zellen im weniger steilen Hangfuß, Kabinett Rotlack und der trockene Bronzelack häufig aus dem westlichen und höher gelegenen Teil des Hangs und der trockene Goldlack aus den Parzellen, in denen die Reben am tiefsten im Taunusquarzit wurzeln. Mit Jahrgang 2022 haben wir die Umstellung auf Bio-Bewirtschaftung begonnen, um noch einen Schritt weiter zu gehen, den natürlichen Bedingungen Ausdruck zu verleihen.« 

Perfektionismus und Teambuilding

Die Bedeutung des Weinbergs war nicht immer so groß auf dem Johannisberg, Doktors Vorgänger Christian Witte übernahm bei seinem Amtsantritt 2004 einen Weinberg, der aus Rationalisierungsgründen fast komplett von Fremdunternehmen bewirtschaftet wurde. Das Arbeiten mit eigenen Teams legte den Schalter um, und diese Phase der neuen Wertschätzung für den weinbaulichen Aspekt bekam jüngst weiteren Aufschwung dadurch, dass 2018 Michel Städter als Leiter des Außen­betriebs engagiert werden konnte. Städter hatte fast über zehn Jahre lang das für seine Burgunder berühmte Weingut Chat Sauvage geleitet und sich dabei einen Ruf als Perfektionist erworben. Überdies kannte er Schloss Johannisberg bereits sehr gut, denn er hat hier einst eine Winzerlehre absolviert.

Michel Städter.
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Michel Städter.

Städters Engagement kommt zu einer Zeit, in der gleich mehrere Faktoren den Aufschwung auf dem Johannisberg beschleunigen: Zum einen konnte gerade ein neues Kelterhaus eingeweiht werden, das ein detailgenaueres Arbeiten ermöglicht. Zweitens ist ein Weinberg, der so viele Höhenlagen und Expositionen vereint und dadurch Handlungsoptionen eröffnet, den Herausforderungen der Erderwärmung sehr gut gewachsen. Drittens wurde gerade eine Tröpfchenbewässerung installiert, um unerwünschten Trockenstress abfedern zu können. Viertens setzt sich in der öffentlichen Wahrnehmung die Erkenntnis durch, dass die Phase teils eher mittelmäßiger Weine aus den Achtziger- und Neunzigerjahren nachhaltig überwunden ist. Stefan Doktor, der eine sportliche Karriere als Rennrodler hinter sich hat, scheint zudem ein Meister in den Disziplinen Sportsgeist und Teambuilding zu sein: »Bei der Assemblage des Silberlack Großen Gewächses machen die Kellermeister und Michel Städter jeder sein eigenes Cuvée, und diese verschiedenen Versionen probieren wir dann alle zusammen blind, bevor wir entscheiden, welche Assemblage gefüllt wird.«

Die aktuelle Kollektion

Wie stets bei einer Kollektion des Jahres ist es ein ganzes Bündel von Eigenschaften, das in herausragender Weise erfüllt sein muss: Es müssen qualitative Spitzen vorhanden sein, Verlässlichkeit auch an der Basis ist gefordert und stilistische Kohärenz quer durch das gesamte Sortiment. Die aktuellen Weine von Schloss Johannisberg erfüllen das bereits mit zwei »Gelblack«-Gutsrieslingen, die die ganze Faszination von Lage und Weingut ins Glas bringen. Die trockenen Weine steigern sich in Mineralität und Phenolik von Stufe zu Stufe bis zum phänomenalen Goldlack 2019, der ohne Frage einer der zehn besten deutschen Rieslinge der letzten Jahre ist. Bei alledem bleibt stets der Charakter von Schloss Johannisberg gewahrt, die Phenole sind niemals schroff, sondern fügen sich harmonisch in die von großem Aromenpotenzial geprägten, ­wahrlich edlen Geschmacksbilder ein.

Die Fässer im historischen Keller stammen alle aus Eichenholz, das im gutseigenen Forst wächst.
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Die Fässer im historischen Keller stammen alle aus Eichenholz, das im gutseigenen Forst wächst.

Bei den fruchtsüßen Weinen ist die Grünlack Spätlese so saftig und spannungsvoll, dass man fast übersieht, dass sie immerhin 89 Gramm Restzucker besitzt. Ein wahrer Klassiker für Dekaden der Reife! Die Rosalack Auslese bezaubert mit ihrer geradezu leichten Eleganz, und Beerenauslese und Trockenbeerenauslese sind Textbuch-Exempel ihrer Prädikate darin, wie sie neben Süße und Viskosität auch die mineralischen Komponenten konzentrieren. 
Eine Sensation eigener Art ist die Auslese »Ex bibliotheca subterranea Fass Nr. 374«, die in der vor allem als Flaschenlager dienenden Schatzkammer im zweiten Untergeschoss des Kellers in einem Fass aus Johannisberger Eiche vergoren und gereift wurde. Der Wein scheint nicht nur die Kühle des Naturgewölbes geatmet zu haben, er packt auch ein Maximum an Mineralität und stoffiger Spannung in ein Auslese-Format. Auf eine eigentümliche Weise »trockener« – und ­unverkitschter – kann ein edelsüßer Wein nicht schmecken. Eine Glanzleistung!

Der Schlosskeller, der noch aus der Gründungszeit der Benediktinerabteil stammt, ­bietet neben den vielen Fässern aus gutseigener Eiche auch direkten Einblick in den Boden, der diese Weine so einzigartig macht. An einer Stelle ist die Kellerwand mit einem Fens­ter durchbrochen und gibt den Blick frei auf den Fels: Schichten von tiefrotem, bröseligem Quarzit, der auch graue, geschieferte Flächen einschließt. Ein rarer Glücksfall der Geologie für unvergessliche Glücksmomente im Glas.


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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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