© Gina Müller

Wissenschaft: Genießer sind eher satt

Längst nicht mehr nur in den USA, auch bei uns wachsen die Portionen mitunter in Richtung »Supersize Me«. Glücklicher
wird man davon allerdings nicht und fürs Sattsein brauchen wir oft weniger als angeboten.

Seit 1970 hat sich in den USA das Angebot an größer dimensionierten Portionen in den Supermärkten verzehnfacht, seit 1960 sind Speiseteller um ein Drittel größer geworden, ebenso sind die Portionsangaben in Rezeptbüchern gestiegen. Aber nicht nur dort, auch bei uns wurden vor allem in der Gastronomie die Portionen größer, und im Handel hat der Anteil von Großpackungen zugenommen.

Heikel ist das insofern, weil eine Portion eine normale, durchschnittliche Verzehreinheit suggeriert und wir dazu neigen, unsere Mahlzeiten in den vorgegebenen Portionen aufzuessen – unabhängig von deren Größe und Energiedichte (= Kalorien pro 100 Gramm Lebensmittel). So essen wir zwar bei doppelter Portionsgröße nicht immer alles auf, aber im Schnitt führt sie zu einem Kalorien-Plus von bis zu 42 Prozent. Man könnte nun glauben, dass wir von kalorienreichen Speisen zumindest schneller satt sind. Doch das ist nicht der Fall.

Das liegt zum einen daran, dass sich die physiologische Sättigungsregulation verzögert bemerkbar macht, und zwar erst etwa nach 15 Minuten. Zum anderen ist unser Sättigungssensor einfach zu ungenau. »Für unsere gefühlte Sattheit machen 20 Prozent mehr oder weniger Energie bei gleichem Volumen keinen Unterschied«, sagt Arnd Florack, Professor für Psychologie an der Universität Wien. Trotz erhöhten Kaloriengehalts hören wir also nicht früher zu essen auf. Umgekehrt fühlen wir uns aber auch bei gleicher Portionsgröße, jedoch mit weniger enthaltenen Kalorien, gleich satt. Und das kann man sich zunutze machen.  

Große Portionen: ein wachsendes Problem

Im Kampf gegen Übergewicht und Adipositas sehen daher viele Institutionen die Portionskontrolle als eine der wirksamsten Maßnahmen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) streicht die Bedeutung von kleineren Portionsgrößen ebenso hervor wie die WHO-Regionalbüros für Europa. Sie empfehlen, beim Kochen auf die Portionsgrößen zu achten und sie gegebenenfalls zu verkleinern. Auch das McKinsey Global Institute erachtet die Portionskontrolle als effektivste Massnahme zur Bekämpfung von Übergewicht und als wirksamer als spezifische Steuern, Werbemaßnahmen oder eine Lebensmittelkennzeichnung.

»Es braucht keine großen Portionen, um satt zu werden. Das Gehirn signalisiert uns bei kleineren Tellern und weniger Kalorien genauso ›aufgegessen‹. Fixe Routinen und Rituale helfen zusätzlich, ebenso wie bewusster Genuss – und sich für das Essen Zeit zu nehmen.«

Sich selbst austricksen

Aber wie schafft man es, dass man weniger isst und sich trotzdem gleich satt fühlt? Fünf Punkte gilt es dafür zu beherzigen:

  1. Die 20-Prozent-Regel anwenden! Also gleich viel essen, aber um 20 Prozent weniger Kalorien aufnehmen. Das bedeutet: die Energiedichte reduzieren. Dafür muss man einerseits den Anteil kalorienarmer Komponenten wie Gemüse in die Höhe schrauben, andererseits bei Energieträgern, vor allem Fett und Kohlenhydraten, einsparen.
     
  2. Dem Essen Aufmerksamkeit widmen: Normalerweise verringert sich nach einiger Zeit – und sogar schon vor der Sättigung – das Verlangen, von einer Speise weiter zu essen. Dieser Mechanismus, die sogenannte Habituation, funktioniert aber nur, wenn man das Essen bewusst wahrnimmt. »Sind wir zum Beispiel durch Fernsehen beim Essen abgelenkt, findet Habituation nur im verringerten Masse statt«, sagt Psychologe Florack. Wir essen also weiter, selbst wenn wir eigentlich gar nicht mehr möchten. In solchen Situationen hilft es, bewusst zu portionieren und nicht aus der Grosspackung zuzulangen.
     
  3. Adäquate Portionsgrößen: Als Orientierung für »die richtige Portionsgröße« bietet sich grundsätzlich die eigene Hand an. Denn sie wächst proportional mit der Körpergröße mit. So können als eine Portion ein Daumen Butter, ein Zeigefinger Käse oder eine Faust an Obst und Gemüse gelten. Bei Brot, Fisch und Fleisch eignet sich eine Scheibe in der Größe der Handfläche. Nüsse, Trockenfrüchte, Süßigkeiten sowie Beilagen umfassen idealerweise etwa eine Handvoll.
     
  4. Kleinere Teller, kleineres Besteck, schmale Gläser: Auf großen Tellern unterschätzen wir die Menge der Speisen und essen deshalb mehr als von kleinen Tellern. In einem Experiment zeigte sich zudem: Eiscreme mit dem großen Löffel geschleckt, lässt einen um etwa 15 Prozent mehr essen als mit kleinem Löffel. Und weil wir bei Trinkgläsern dazu neigen, die vertikale Dimension zu fokussieren, wird aus weiten Gläsern um bis zu 88 Prozent mehr (Saft und Limonade zum Beispiel) getrunken als aus schmalen hohen Gläsern mit demselben Volumen.
     
  5. Auf Routinen setzen: Mit Automatismen muss man nicht mehr überlegen, ob man etwas will oder soll, sondern zieht eine einmal getroffene Entscheidung durch. Menschen, die sich erfolgreich selbst regulieren, gestalten und wählen Situationen so, dass es ihnen leichtfällt, sich »gesund« zu verhalten. Sie gehen zum Beispiel gesättigt und gut geplant einkaufen und vermeiden so heisshungerbedingte Spontaneinkäufe. Sie verführen sich nicht selbst zum Essen, indem es gut sichtbar immer und überall greifbar ist. Sie trinken als Basis kalorienfrei, sie nehmen im Kino die kleinen oder mittleren Popcorn, sie präferieren komplexe Kohlenhydrate wie Vollkorn, die länger satt halten, sie vergrößern ihre Portionen mit Gemüse, sie nehmen sich Zeit zum Essen und vieles andere mehr. Und vor allem: Sie genießen mehr und essen und trinken lieber weniger, aber besser.

Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2022

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Marlies Gruber
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