Das Weingut F.X. Pichler in der Wachau setzte gemeinsam mit architekten TAUBER neue Maßstäbe in Sachen moderne Weinbauarchitektur.

Das Weingut F.X. Pichler in der Wachau setzte gemeinsam mit architekten TAUBER neue Maßstäbe in Sachen moderne Weinbauarchitektur.
© LOXPIX

2000er-Jahre: Best of Wein-Architektur

Zu Beginn des neuen Jahrtausends manifestierte sich das wachsende Qualitätsbewusstsein im österreichischen Weinbau auch in neu gestalteten Weingütern. Für die Falstaff Jubiläumsausgabe haben wir einen Rückblick gemacht.

Fährt man heute entlang der Weinstraße im Médoc durch die weltberühmte Appellation, reiht sich ein schmuckes Château ans nächste. Das Gros dieser repräsentativen Bauten ist in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, und die oft im Ensemble errichteten Schlösser wurden für die meist in Paris lebenden, häufig neureichen Weingutsbesitzer als Sommersitze errichtet. Doch Reblauskatastrophe, zwei Weltkriege, die Ölkrise und viele weitere Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich in den folgenden 100 Jahren auf dem Sektor der Weingüterarchitektur wenig Zählbares getan hat. Es scheint, als hätte erst der weinkulturelle Boom in der Neuen Welt diesbezüglich eine neue Dynamik ausgelöst, die schließlich Europa erreicht hat und nicht zuletzt auch in Österreich in den vergangenen 20 Jahren einen wahren Baurausch unter den Winzern bewirkt hat.

»Heute ist es schwer vorstellbar, welch enorme Emotionen mancher Bau bei einem konservativen Betrachter ausgelöst hat«, erinnert sich Fred Loimer aus Langenlois, dessen um das Jahr 2000 von Architekt Andreas Burghardt konzipierte neue Weinkellerei – vor Ort meist als »schiache schwoaze Kistn im Weingarten« verunglimpft – die Gemüter erhitzte. Als sich dann im Jahr darauf über Langenlois die Konturen des revolutionären, skulpturhaften »Loisiums« abzuzeichnen begannen, das der amerikanische Stararchitekt Steven Holl mitten in die Weingärten setzte, war bei vielen Einheimischen bereits ein Anflug von Stolz zu hören – schließlich versprachen die dazugehörende Weinerlebniswelt »Kellerwelten« und das Hotel eine gewisse Umweg-Rentabilität.

Der New Yorker Stararchitekt Steven Holl pflanzte das monumentale «Loisium» mitten in die Weingärten von Langenlois.
© Loisium
Der New Yorker Stararchitekt Steven Holl pflanzte das monumentale «Loisium» mitten in die Weingärten von Langenlois.

In den 1990er-Jahren erwachte in der internationalen Weinwelt das Bedürfnis, auch bei den Weingütern erstklassige und damit repräsentative Architektur mit den praktischen Bedürfnissen qualitativ anspruchsvoller, moderner Arbeitsweisen zu verbinden. Wer es sich leisten konnte, holte dafür renommierte Architekten, denn schon bald wurde der Marketingwert erstklassiger Baukunst erkannt. Als frühes Beispiel dieser Entwicklung kann der im Jahr 1987 eingeweihte, kreisrunde Fasskeller von Château Lafite-Rothschild in Bordeaux gelten, den der Spanier Ricardo Bofill realisierte. Sein Pendant fand der Bau übrigens Jahre später im kalifornischen Napa Valley im nicht minder spannenden Weingut Opus One.

Die internationale Architektur-Elite hat sich längst in den Dienst der zahlungskräftigen Winzerkönige gestellt und teilweise monumentale Gebäude entworfen, darunter Größen wie Zaha Hadid (für Viña Tondonia), Santiago Calatrava (Bodegas Ysios), Renzo Piano (Rocca di Frassinello), Mario Botta (Petra), Frank Gehry (Marqués de Riscal), Christian de Portzamparc (Cheval Blanc), Chien Chung Pei (Lynch-Bages) oder Philippe Starck (Carmes Haut-Brion). 

Österreich als Vorreiter

Vielleicht etwas weniger spektakulär, aber in ihrer Zeit doch einzigartig, hat sich auch im Osten und Südosten Österreichs in den späten Neunzigern eine neue Szene für zeitgenössische Architektur im Weinbau entwickelt. Bereits anlässlich einer ersten Werkschau zum Thema »WeinArchitektur« wurde 2005 konstatiert: »Mit der neu definierten Bauaufgabe hat sich in Österreich eine eigene Architektursprache entwickelt, die sich zwischen sensiblen Annäherungen an traditionelle Bauformen und selbstbewussten Interpretationen heutiger Anforderungen bewegt.« Das Phänomen »Vom Keller zum Kult« hatte damals bereits volle Fahrt aufgenommen – und es hält bis zum heutigen Tag an. Auch wenn die Entwicklung ihren Nukleus im niederösterreichischen Langenlois hatte, so verlagerte sich das Hauptgeschehen zunächst ins Burgenland und danach in die Steiermark. Es gibt zwei Gründe dafür, dass der Trend in Niederösterreich erst mit einer gewissen Verzögerung ankam: Dank des EU-Beitritts Österreichs im Jahr 1995 profitierte das einst strukturschwache Burgenland als sogenanntes »Ziel-1-Gebiet« in besonders hohem Maße. 

Die inkludierte großzügige Förderung der Landwirtschaft aus Brüssel sorgte für entsprechende Mittel, die die Verantwortlichen in dem einen oder anderen Weinbaubetrieb über einen Neubau oder zumindest eine Neugestaltung nachdenken ließen. Und so schossen bald Projekte in teilweise unerwarteter Dimension aus dem Boden, und man bestaunte die neuen Weingüter von Gernot Heinrich und Gerhard Pitt­nauer in Gols, die fast sakral anmutende Bariquehalle bei Josef Umathum in Frau­enkirchen oder die vinologische Schaltzentrale des Newcomers Leo Hil­linger in Jois.

Bereits in der ersten Hälfte der sogenannten Nuller-Jahre wurden von Dutzenden heimischen Architekten von Neusiedl im Norden bis Deutsch Schützen teilweise spektakuläre Bauten errichtet, die sich keineswegs als »Luftschlösser auf den Weinbergen« herausstellten – darunter so monumentale Gebäude wie der Arachon-Reifekeller in Horitschon im Mittelburgenland, der es mit dem Weingut Dominus im Napa Valley allemal aufnehmen kann. Das Faszinierende an dieser Entwicklung lag insbesondere in der Rasanz, mit der in nur wenigen Jahren Dutzende neue Weinkeller samt Repräsentationsräumen entstanden. Die österreichischen Winzer waren von Weinbauern zu Weinbauherren geworden. 

Burgenland, modern: das Weingut Esterházy in Trausdorf.
© webnfoto.com/Andreas Hafenscher
Burgenland, modern: das Weingut Esterházy in Trausdorf.

Neue steirische Klassik

Diese Entwicklung setzte sich in der Steiermark, ebenfalls durch effektive Förderungen aus EU, Bund und Land befeuert, mit ähnlicher Vehemenz fort. Man muss sich dabei vor Augen halten, dass dieses Weinbaugebiet von den heimischen Konsumenten außerhalb der Bundeslandgrenzen erst im Jahrzehnt davor überhaupt wahr- und ernst genommen wurde. Und schon kurz darauf setzten die zwischenzeitlich enorm gewachsenen Leitbetriebe ein Zeichen und investierten für die nachfolgenden Generationen. Im Vulkanland errichtet die Familie Neumeister auf zwei Etappen ihr Weingut in Straden. Und die Mitglieder der STK-­Gruppe wie Tement, Polz, Lackner-Tinnacher oder der Newcomer Erwin Sabathi stellten sich an die Spitze einer Weinarchitekturbewegung, die sich später bis hin zu kleinen Buschenschanken neuer Prägung fortsetzen und neben den bewahrenswerten, traditionellen Baukörpern in friedlicher Koexistenz aufblühen sollte. 

Das spacig gestaltete Weingut von Erich Scheiblhofer in Andau im Burgenland.
© Scheiblhofer
Das spacig gestaltete Weingut von Erich Scheiblhofer in Andau im Burgenland.

Niederösterreich holte auf

Inzwischen hatte auch in Niederösterreich eine rege Bautätigkeit eingesetzt, aufgrund der vorhandenen Substanz wurde und wird hier allerdings mehr um- und zugebaut, völlige Neubauten entstanden nur, wo Betriebe so stark wuchsen, dass sie ihren angestammten Standort verlassen mussten. Sogar in den als sehr konservativ geltenden Ecken des Landes wie in der Wachau blieben die Winzer nicht untätig, Rudi Pichler in Wösendorf etwa war hier Pionier und wagte sich an große Vorhaben. Das Weingut F.X. Pichler in Oberloiben oder auch jenes von F.J. Gritsch in Spitz sind Exponenten der modernen Form, ohne im Widerspruch zum Weltkulturerbestatus der Region zu stehen. Andere wieder wie Alzinger oder Högl fanden zu einer weniger plakativen Formensprache und wurden dafür mit dem Staatspreis ausgezeichnet. Maßgeblich an der Entwicklung der modernen Wachauer Weinarchitektur beteiligt war das Kremser Büro architekten TAUBER, das für die Planung und Ausführung der Weingüter F.X. Pichler, Rudi Pichler, F.J. Gritsch und Alzinger verantwortlich zeichnete. 

Die neue Weinarchitektur hatte ohne Zweifel einen positiven Effekt auf die österreichische Weinkultur. Die Weingüter sind nicht nur Sinnbilder für die Überwindung der Probleme der Achtziger, sie sind zu Bühnen der Weinqualität gewachsen. Eine neue, meist urbane Generation von Konsumenten konnte und kann über diese Schnittstelle mit einer ebenso neuen, modernen Generation von Winzern auf Augenhöhe kommunizieren. Und so wurde auch die Sicht auf den Beruf des Weinmachers und seine Stellung in der Gesellschaft eine andere. Für den Stellenwert des heimischen Weins im internationalen Kontext war diese Entwicklung ebenso unverzichtbar wie beflügelnd.

Auch international tut sich viel...

Rund um den Globus haben inzwischen zahlreiche weltbekannte Architekten aufsehenerregende Weingüter entworfen.


Erschienen in
Falstaff Jubiläums Spezial 2020

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Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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