Kohl und Kraut: Köstliches Wintergemüse

Kohl und Kraut: Köstliches Wintergemüse
© Ian Ehm

Best of: Rezepte mit Kohl und Kraut

Im Winter gibt's bei uns kein frisches Gemüse? Weit gefehlt! Robert ­Brodnjak erntet im Weinviertel den ganzen Winter köstliche Blätter und Wurzeln.

Wer bei winterlichen Feldern nur an grau-braunen Schlamm und eisige Tristesse denkt, der hat Robert Brodnjaks Kohl-Acker noch nicht gesehen. Im November und Dezember, wenn die Temperaturen endlich regelmäßig unter null Grad fallen, verwandelt dieser sich nämlich in einen bunten Miniatur-Urwald.

Gut ein Dutzend verschiedene Kraut- und Kohlsorten gedeihen hier. Einige, wie der Butterkohl »Goldberg«, bilden dann dicke, leuchtend hellgrüne Köpfe, andere spitze, rote Kegel, wie der Spitzkohl »Kalibos«. Das Blaukraut »Diepholzer Dickstrunk« schimmert wie eine lila Disco-Bowlingkugel, und die Zierkohle »Rote und Weiße Feder« sehen überhaupt aus, als ob hier Paradiesvögel wüchsen. 

Der Schwarzkohl erinnert mit seinen krausen Blättern auf hohen, nackten Stie­len an kleine, dunkelgrüne Palmen, der buschige Grünkohl »Westländer Winter« an groß gewordene Krause Petersilie. Am exotischsten sieht vielleicht der Kohl »Flower Sprout« aus: dunkelgrün-violett, mit Blättern wie ein Urzeitfarn und einem dicken Stiel, aus dem kleine, federnartigen Triebe sprießen. 

Gärtnerei Krautwerk

Brodnjak ist Betreiber der Gärtnerei Krautwerk und einer der innovativsten ­Gemüsebauern des Landes. Vor seinem Stand auf dem Wiener Karmelitermarkt ­stehen jeden Samstag lange Schlangen von Menschen, die sein Gemüse kaufen wollen, und viele der berühmtesten Köche der Hauptstadt  – von Lukas Mraz (»Mraz und Sohn«) über Heinz Reitbauer (»Steirereck«) bis hin zu Paul Ivic (»Tian«) – gehören zu seinen Kunden. 

Ein wesentlicher Grund für den Erfolg: Während ein Gutteil der Konkurrenz im Winter mit dem Verkauf aufhört, geht es für Brodnjak in der kalten Jahreszeit mit­unter erst so richtig los. »Der Geschmack vieler Kohlgemüse wird erst interessant, wenn es kalt wird«, sagt Brodnjak. »Sie werden komplexer, süßer und verlieren ein wenig der sonst gar zu intensiven Kraut- und Kohligkeit.« ­Manche, wie die Kohl­sprosse, brauchen überhaupt erst einmal ordentlichen Frost, bis sie ihre Bitterkeit verlieren und köstlich werden. 

Spitzenköche lieben Kraut und Kohl

Mraz serviert in der kalten Jahreszeit etwa Grünkohl-Ceviche, knusprigen Grünkohl in Molkesauce oder Austern und Beinfleisch mit Grünkohl. Die oben erwähnten Flower Sprouts landen bei ihm in Currysauce unter frittiertem Karpfen. Heinz Reitbauer im »Steirereck« adelt Brodnjaks Kraut in einem Gericht mit Zwiebel und Kaviar. Und im »Tian«, Wiens einzigem vegetarischen Restaurant mit Michelin-Stern, wird Brodnjaks Spitzkohl überhaupt zum Star eines Ganges: Zwölf Stunden bei 90 Grad geschmort, wird er mit eingekochtem Krautsaft lackiert und mit Krautpüree serviert.

Notnahrung oder Delikatesse?

Obwohl sie klimatisch so perfekt nach Mitteleuropa passen, waren Kraut und Kohl bei uns lange als Notnahrung für harte Winter verschrien. Dabei können sie ganz wunderbar sein: Roh haben viele einen herrlichen Biss und eine verführerische Schärfe, die seine Esser daran erinnert, dass Kohl und Kraut zur Senffamilie gehören. Gegart entwickeln sie eine geschmackliche Üppigkeit, die so manchem Braten Konkurrenz macht. Besonders erfreulich ist, dass sie eine ausgesprochene Affinität zu Feuer haben: Leicht angekokelt und mit zarter Rauchnote werden sie zu einer zart-bitteren, herbstlichen Delikatesse, die nasskalten Nebel schnell vergessen oder – noch besser – herbeisehnen lässt.

Winterliche Köstlichkeiten

Kohl und Kraut sind nicht die einzigen winterlichen Köstlichkeiten in Brodnjaks Angebot: Bis zu 30 verschiedene Gemüse erntet er in der kalten Jahreszeit. Er gräbt Haferwurzeln aus, die lange, dünne Haare an ihren gelben Wurzeln haben, kräftig nussig und ganz leicht nach Meeresfrüchten schmecken, oder Kerbelwurzeln, klein und rund mit einem Aroma wie süße Maroni. Er pflückt Tatsoi, einen Verwandten des Pak Choi, mit dunkelgrünen, dicken Blättern, der ganz dicht am Boden wächst, oder würzig-scharfe Asia-Salate. 

Das alles geht nur mit viel Liebe, Handarbeit, und sehr gut gepflegtem Boden. Gerade Kohl und Kraut sind für Biobauern schwierige Gemüse, weil der Schädlingsdruck sehr hoch ist. Soll heißen: Sie schmecken nicht nur uns, sondern auch den Insekten und Schnecken sehr gut. Um sie erfolgreich anzubauen, braucht es einen gut aufbereiteten Boden mit genug Humus, guter Gründüngung und reichlich Biodiversität: Auf dem wachsen gesunde Pflanzen, die stark genug sind, sich selbst gegen Schädlinge zu wehren, ganz ohne Pestizide. 

Um für noch mehr Abwechslung zu sorgen, verkauft Brodnjak seine Kohlvielfalt nicht nur frisch, sondern vergärt sie auch zu köstlichem klassischem Sauerkraut oder neu-österreichischem Kimchi. »Mein Großvater kommt vom Balkan, ich bin mit Kraut aufgewachsen«, sagt Brodnjak. Bis heute erinnert er sich gern an den Geruch von Sarma, des im Ganzen vergorenen Krauts, auf den kroatischen Märkten – auf seinem Hof riecht es mitunter ähnlich wie in seiner Kindheit.

Obwohl die Nachfrage nach dem Gemüse deutlich größer ist als das Angebot, soll Krautwerk keinesfalls wachsen – Brodnjak und seine Frau überlegen sogar, wieder etwas von ihrer Fläche abzugeben. Das soll den organisatorischen Aufwand reduzieren und dafür sorgen, dass sie weniger Papierkram erledigen müssen und mehr Zeit draußen verbringen können. »Ich bin viel lieber am Markt oder am Feld als im Büro«, sagt Brodnjak. Vor allem, wenn das Feld so prächtig ist wie sein Kohl-Acker. 


Info

Robert Brodnjak verkauft sein winterliches Gemüse jeden Samstagvormittag an seinem Stand am Wiener Karmelitermarkt.

Erschienen in
Falstaff Rezepte 04/2020

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Tobias Müller
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