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Bierabsatz in Deutschland: »So einen Anstieg der Kosten haben wir in den letzten Jahrzehnten nie erlebt«

Der Bierabsatz ist im vergangenen Jahr um 4,5 Prozent gesunken. Mögen die Deutschen etwa ihr Bier nicht mehr? Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds, ordnet ein.

Falstaff: Laut Daten des Statistischen Bundesamtes ist der Bierabsatz in Deutschland im Jahr 2023 um 4,5 Prozent gesunken. Welche Faktoren sehen Sie als Hauptgründe für diesen Rückgang? Schwören die Deutschen etwa ihrem Lieblingsgetränk ab?

Holger Eichele: Bier bleibt in Deutschland Nationalgetränk – und doch gibt es einen Trend, den wir bei vielen alkoholischen Erzeugnissen beobachten können, nicht nur hier in Deutschland, sondern quer durch Europa. Der Rückgang des Konsums liegt insbesondere an der Alterung der Gesellschaft, hat also demographische Gründe, aber wir stellen auch ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein fest. Wein, Sekt, Bier oder Spirituosen geraten unter Druck, weil viele Menschen ihre Lebensgewohnheiten ändern, auch was das Ausgehen am Abend betrifft. Diese Entwicklung ist nicht überraschend und auch noch nicht abgeschlossen. Es ist davon auszugehen, dass sich das in den kommenden Jahren weiter verschärft. Was aber neu und in diesem Ausmaß überraschend ist: die massive Konsumzurückhaltung der Verbraucher. Dass die Menschen wegen der Inflation weniger Geld ausgeben, macht nicht nur dem Handel, sondern auch der Gastronomie zu schaffen – und damit auch unseren Brauereien.

Welche Kosten belasten die Brauereien besonders?

Der Anstieg der Produktionskosten bleibt natürlich eine große Herausforderung. Man darf nicht vergessen: Die gesamte Lebensmittelbranche befindet sich seit drei Jahren permanent im Krisenmodus. Erst die herben Verluste während der Coronapandemie mit den Lockdowns, die dafür sorgten, dass Fassbier über Monate unverkäuflich war. Und dann die explodierenden Kosten durch die russische Invasion in der Ukraine. Das ist eine große Belastung für die gesamte Wirtschaft, natürlich auch für die Brauereien. Von Braumalz über die Beschaffung von Hopfen bis hin zu  Glasflaschen – auf breiter Front sind die Kosten gestiegen. Da haben wir noch gar nicht über Logistik, Energie und Personal gesprochen. Einen solch dramatischen Anstieg der Kosten haben wir so in den letzten Jahrzehnten noch nie erlebt.

Das Jahr 2023 wird als rabenschwarzes Jahr für die deutsche Brauwirtschaft bezeichnet. Wie wirkt sich dieser Absatzrückgang auf die deutschen Brauereien aus?

Zum Rückgang der Handelsumsätze und dem flauen Gastro-Geschäft kommt hinzu, dass sich die stark gestiegenen Kosten schon lange nicht mehr im Bierpreis widerspiegeln. Wir müssten als Branche dringend die Preise erhöhen. Das können wir aber nicht, weil sich die großen, vermachteten Handelskonzerne dagegen sperren. Wir erleben leider seit Jahren einen ruinösen, rücksichtslosen Preiskampf der großen LEH-Konzerne zulasten der gesamten Lebensmittelwirtschaft. Oft sind die Hersteller der Lebensmittel in der Defensive, müssen fürchten, dass ihre Produkte aus den Regalen verbannt werden, sollten sie die Preise erhöhen. Die Situation ist absurd: Wie will man einem Kunden im Supermarkt erklären, dass ein in Deutschland mit Handwerkskunst und besten regionalen Zutaten gebrautes Bier durchgehend billiger verkauft wird als ein simpler Softdrink mit US-Rezeptur? Das versteht kein Mensch. Wir wünschen uns mehr Wertschätzung für unser Produkt. Diese Wertschätzung drückt sich natürlich auch im Preis aus. Aber ob letztendlich eine Brauerei sich dazu entscheidet, ihre Preise zu erhöhen oder nicht, diese Abwägung muss sie selbst treffen.

Müssen wir eine Massenschließung von Brauereien befürchten?

Nein, die Braubranche ist eine sehr resiliente und widerstandsfähige Branche. Die meisten Betriebe haben sich den immensen Herausforderungen der vergangenen Jahre erfolgreich gestellt. Da ist Großartiges geleistet worden. Allerdings befürchten wir durchaus eine Trendwende: Immer mehr Brauereien stehen unter Druck, mit dem Rücken zur Wand. Die Coronakrise ging nahtlos in eine Energie- und Preiskrise über. Jede Woche ereilen uns schlechte Nachrichten, jede Woche sperrt ein Betrieb zu. Wir müssen befürchten, dass die Zahl der Brauereischließungen in den nächsten Jahren noch zunimmt.

Holger Eichele ist seit 2013 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds, des größten Verbands der deutschen Brauwirtschaft. Zuvor war Eichele Sprecher des Bundesministeriums für Ernährung sowie Hauptstadtkorrespondent und Büroleiter der Mediengruppe Ippen.
Holger Eichele ist seit 2013 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds, des größten Verbands der deutschen Brauwirtschaft. Zuvor war Eichele Sprecher des Bundesministeriums für Ernährung sowie Hauptstadtkorrespondent und Büroleiter der Mediengruppe Ippen.

Wie versuchen die Brauereien, dieser Herausforderung zu begegnen und den Trend umzukehren?

Ein großer Trend ist die Digitalisierung. Dann beobachten wir auch eine stärkere Hinwendung zur Region bei einigen Betrieben, während andere sich immer erfolgreicher international aufstellen. Und natürlich: Vielfalt. Viele Brauereien haben ihr Angebot deutlich erweitert, insbesondere um alkoholfreie Biere und Biermischgetränke. Aber auch das Sortiment der Erfrischungsgetränke wächst. Immer mehr Traditionsbrauereien in Deutschland wandeln sich zu modernen, breit aufgestellten Getränkeherstellern.

Welche Initiativen oder Veränderungen könnten Ihrer Meinung nach dazu beitragen, die deutsche Brauwirtschaft zu revitalisieren und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen?

Digitalisierung, Spezialisierung, Regionalisierung und Globalisierung sind die Megatrends. Aber ein Geschäftsmodell kann natürlich nur gelingen, wenn ein Unternehmen genug Fachkräfte hat. Das ist eine große Herausforderung für die Brauwirtschaft. Wir müssen im Wettbewerb um die klügsten Köpfe die Nase vorn haben, müssen deutlich machen, wie interessant unsere Produkte sind und welche Chancen wir Berufsanfängern in unseren Betrieben bieten können.

Also geht es darum, dem Kunden wieder zu zeigen, was für ein wertvolles Produkt Bier ist?

Bierbrauen ist eine Jahrtausendealte Handwerkskunst und nicht ohne Grund Teil des immateriellen UNESCO-Kulturerbes in Deutschland. Aber Bier hat nicht nur Geschichte, sondern auch Zukunft, das sieht man an den modernen Betrieben, der Hightech made in Germany beim Anlagenbau, den zahllosen Innovationen und der Kreativität der Brauerinnen und Brauer.

 

Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Fußball-WM oder EM im eigenen Land bedeutende Impulse für den Biermarkt setzt

 

Brauereien müssen Wege finden, wie sie das neue Trinkverhalten der jüngeren Generationen begleiten können.

Die Gewohnheiten wandeln sich. Aber mit alkoholfreiem Bier haben wir eine erstklassige Alternative für alle Menschen, die Bier lieben und auf Alkohol verzichten wollen. Es hat Gründe, warum kein Segment in der Brauwirtschaft in den letzten zehn Jahren so stark zugelegt hat wie alkoholfreie Biere: Weil sie kalorienarm sind, oft auch isotonisch, weil sie super schmecken, weil man sie ohne Reue genießen kann, rund um die Uhr. Deutschland ist weltweit führend in der Produktion von alkoholfreien Bieren.  Seit 2007 hat sich das Volumen verdoppelt, bald ist jedes zehnte Bier, das in Deutschland gebraut wird, eines ohne Alkohol. Das zeigt: Innovation ist auch in so einer traditionsreichen Branche wie der Brauwirtschaft möglich, wir gehen mit der Zeit und nehmen die Wünsche der Verbraucher ernst.

Setzen sie Hoffnung auf eine Erholung durch die Fußball-Europameisterschaft? Könnte die Nationalmannschaft dabei helfen, den Trend umzukehren?

Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Fußball-WM oder EM im eigenen Land bedeutende Impulse für den Biermarkt setzt. Wichtig wäre dafür, dass wir 2024 einen Sommer erleben, der diesen Namen auch verdient. Und dann wäre es nicht schlecht, wenn wir eine erfolgreiche Nationalmannschaft bilden könnten, die nicht schon im Achtelfinale ausscheidet. An uns soll’s nicht liegen, wir sind vorbereitet, haben hervorragende Biere für alle Fans und freuen uns sehr auf die EURO 2024.

Der Export von Bier ging ebenfalls zurück, sowohl in EU- als auch in Nicht-EU-Staaten. Hat deutsches Bier etwa an Beliebtheit verloren? Welche Maßnahmen könnten helfen, den Exportmarkt wieder anzukurbeln?

Deutsches Bier genießt nach wie vor einen herausragenden Ruf im Ausland. Es wird auf der ganzen Welt ausgeschenkt und geliebt. Aber wir können uns von weltwirtschaftlichen und geopolitischen Entwicklungen leider nicht abkoppeln. Wir hoffen, dass wir mit einer baldigen Erholung der Weltwirtschaft auch wieder positivere Entwicklungen im Export erleben.


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Moritz Hackl
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